Vor über zwei Jahrzehnten hat ein kanadisches Studio ein Videospiel angekündigt, das nie erscheinen ist. Ich trauere ihm heute noch hinterher.

Es liegt in der Natur des Menschen, immer das haben zu wollen, was er nicht bekommen kann. Ich weiß nicht, ob das nur eine dumme Binse ist, oder ob das tatsächlich mal wissenschaftlich erforscht und nachgewiesen wurde, aber das ist an dieser Stelle auch egal. Für mich trifft das jedenfalls zu – zumindest in einem ganz speziellen Fall. Denn mindestens ein bis zwei Mal im Jahr denke ich an Digital Extremes‘ Dark Sector – und verdrücke dann eine Tränchen, da ich dieses grandiose Spiel nie spielen werde. Ja, sicher, der ein oder andere wird sich nun denken: „Idiot! Kauf’s dir doch bei Steam, gibt’s dort für 9,99 Euro!

Stimmt schon. Aber dieses 2009 veröffentlichte Game ist leider nicht das Dark Sector, das ich meine, auch wenn es durchaus von Digital Extremes entwickelt wurde.

Extrem digital.

Das Dark Sector, das ich meine, wurde am 11. Februar 2000 angekündigt. Das war als ich, wie viele andere auch, wie besessen die Arena-Shooter Unreal Tournament und Quake 3 Arena spielten – vor allem Unreal Tournament. Eine Zeit also, in der es noch LAN-Parties und ISDN-Internet gab – und ich noch so etwas wie Hand-Augen-Koordination besaß, und bei einem Death Match einem Gegner quer durch die halbe Map mit einer Sniper Rifle einen tödlichen Treffer verpassen konnte. All das war der Grund, warum ich von der Ankündigung von Dark Sector so gehyped war. Denn die kanadische Truppe von Digital Extremes hatte Unreal Tournament gemeinsam mit Epic Games fabriziert – und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass es sich so spielte, wie es sich spielte: zackig, schnell und mit ordentlich…

WUMMS!

Laut Digital-Extremes-Gründer James Schmalz sollte Dark Sector eine „geistige Weiterentwicklung“ von Unreal Tournament werden. Man wollte ein follow-up des Arena-Shooter-Konzepts liefern, das Unreal Tournament so erfolgreich machte, aber auch eine vollkommen eigenständige Welt mit eigener Optik und vielen neuen Ideen beinhalten. Die Erde, so die Idee, sollte in Schutt und Asche liegen. Die wenigen überlebenden Menschen haben sich auf Raumstationen und Außenposten auf den Jupitermonden und dem Mars verstreut und streiten nun um die letzten Ressourcen. Kopfgeldjäger sind die einzigen, die noch für so etwas wie Recht und Ordnung sorgen.

Was Digital Extremes vollmundig in seiner Pressemitteilung versprach, war nicht weniger als der „next step in the first person action gaming experience“. Sicher, ja, ja, das ist PR-Gelaber. Aber aus den wenigen konkreten Ansagen und den einzelnen Konzeptzeichnungen, die das Studio zur Ankündigung und verschiedene Videospielmagazine in den kommenden Monaten veröffentlichten, zeichnete sich in meinem von Unreal Tournament besessenen Gehirn das Bild eines fantastischen, nein, eines mehr als fantastischen Mehrspieler-Shooters! Der Messias in Arena-Shooter-Form! Oder so ähnlich.

Im Kern sollte Dark Sector ein klassischer aber knallharter Arena-Shooter sein, angesiedelt in einem herrlich siffigen und rauen Science-Fiction-Kosmos. Space-Biker mit Cyberbierbäuchen, augmentierte Kopfgeldjägerinnen mit Okular-Implantaten und vernarbte Söldner mit Jetpacks sollten da mit Fusionsgewehren und Raketenwerfern gegeneinander antreten. Dazu steuerbare Mechs. Außerhalb der Matches sollte sich ein Raumschiff besteigen lassen, um zum nächsten Kopfgeldauftrag – sprich: zum nächsten Match – zu gelangen. Auf besonders gute Spieler*innen sollten andere Spieler*innen ein Kopfgeld aussetzen oder diese gezielt zu einem 1-on-1 herausfordern können.

It’s dangerous to go alone. Take this!
Handstaubsauger oder Lasergewehr? Wir werden es nie erfahren.

Gemeinsam mit anderen Spieler*innen sollten sich Syndikate bilden lassen, die gemeinsam Teamschlachten in einer Arena oder dem Weltraum um die Vorherrschaft auf Außenposten und Raumstationen kämpfen sollten. Nach und nach hätte Dark Sector immer weiter ausgebaut und um neue Spielmöglichkeiten, Arenen, Waffen, Charaktere und Fahrzeuge erweitert werden sollen. Games-as-a-service winkt im Hintergrund!

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Das alles klang fantastisch. Bis von Digital Extremes nach ein bis zwei Jahren plötzlich nichts mehr zu Dark Sector zu hören war. Wie mir ein ehemaliger Digital-Extremes-Entwickler vor Jahren sagte – auf offizielle Interviewanfragen hatte mir das Studio leider nie geantwortet –, wäre das Projekt eine „wilde Wette“ gewesen – und zwar auf die Zukunft des Ego-Shooter-Genres, den Erfindungsgeist von Digital Extremes und die Entwicklung der Videospieltechnologie. Der Arena-Shooter-Teil sei für die Truppe natürlich kein Problem gewesen. Aber viele andere Aspekter von Dark Sector: Da hätte niemand gewusst, ob das mit der Technologie dieser Tage so überhaupt umsetzbar gewesen wäre, wie mir der Entwickler anvertraute.

Der eigentliche Todesstoß für Dark Sector soll aber ein anderer gewesen sein: der plötzliche Erfolg und die internationale Aufmerksamkeit, die mit Unreal Tournament und der Ankündigung von Dark Sector kamen. Statt Publishing-Angeboten für das durchaus riskante Projekt Dark Sector hätte das Studio vor allem verlockende Anfragen bekommen, andere Studios bei der Entwicklung zu unterstützen – wie eben Epic Games bei Unreal Tournament. Angebote, wie sie niemand einfach ablehnt, der Gehälter und Miete für ein Büro bezahlen muss. Allem voran half die Truppe erneut Epic Games – zunächst bei Unreal Championship für die erste Xbox, dann Unreal Tournament 2003 und dann Unreal Tournament 2004.

Damit schien Dark Sector tot und begraben … und war es auch. Jedenfalls das Dark Sector, auf das ich mich so intensiv freute.

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Aber es war nicht das Ende für Dark Sector als Videospiel. Oder als Name für eines. Denn 2005 stellte Digital Extremes unter dem gleichen Titel auf der E3 einen grafisch beeindruckenden Mix aus Third-Person-Shooter und Stealthgame vor. In einem über sieben Minuten langen Trailer schleicht der in einen Nano-Anzug gehüllte Agent Hayden durch eine Raumstation nahe dem Pluto, weicht Cyborg-Wachen aus und streckt einen Kampfroboter nieder. Es war nicht mein Dark Sector, aber auch eines, für das ich mich begeistern konnte. Kein Wunder daher, dass auch dieses Dark Sector sterben musste, um dann erneut wiederbelebt zu werden.

Michael Förtsch

Schreibt eigentlich über Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, das Internet, Science-Fiction und wurde immer wieder gezwungen, die Blockchain und NFTs zu erklären. Er lebt derzeit im Wallfahrtsort der WASTED-Community.

Im Jahr 2006 zeigte Digital Extremes nämlich dann das Dark Sector, das sich heute für 9,99 Euro bei Steam kaufen lässt, einen dreckig-braunen Semi-Apokalypse-Schleich-Schlächter in einem fiktiven Sowjetreich, den ich gespielt und von Herzen gehasst habe. In Teilen zu Unrecht, wie ich heute eingestehen muss. Das Spiel hat seine Momente. Aber es ist eben nicht das Dark Sector, das es hätte sein sollen – und das nahm ich diesem Videospiel einfach übel.

Aber wie es scheint, konnte auch Digital Extremes das Original und auch dessen futuristische Schleich-Science-Fiction-Wiederbelebung wohl nie wirklich vergessen. Das ein oder andere Waffen- und Kulissen-Design, wurde mir gesagt, fand seinen Weg in das 2005 erschiene Pariah, das erste alleinig von Digital Extremes gestemmte und vollkommen zu Unrecht vergessene Videospiel. Mehrere ursprügliche Ideen und Konzepte fanden sich 2012 in der geschlossenen und ein Jahr später in der offenen Beta des Free-2-Play-Experiments und heute sehr erfolgreichen Action-MMO-Shooters Warframe wieder. Ebenso basieren die Designs für die titelgebenden Kampfanzüge auf Konzeptzeichnungen, die Jahre zuvor für Dark Sector angefertigt worden waren. Das ist immerhin auch etwas – und ganz cool.

Leise schluchz.

Trotzdem. Schade.

13 Kommentare


Kommentare

  1. Okay, jetzt vermisse ich das Spiel auch. Selbsthilfegruppe?

  2. Avatar for 314nes 314nes says:

    Ab 3:50 im verlinkten Video sieht man wo sich Warframe Inspiration für Tenno und Gegner geholt hat <3

  3. Hmmm? Wo habe ich gegendert?

  4. Genau! Es wurden mal auf einer Messe noch eine längere Fassung und mehrere alternative Fassung des Anzugs gezeigt, die aber, fürchte ich, nie veröffentlicht wurden.

  5. Avatar for Jagoda Jagoda says:

    Get over it.

    (auch mit Zeichenlimit)

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