Lonely in Battlefield: Wieso mir mein Lieblingsfranchise endgültig das Herz bricht

Die Battlefield-Marke bietet seit knapp zwanzig Jahren klare Reize. Es gab Veränderungen, doch die Idee blieb immer die gleiche. Damit ist jetzt Schluss.

Mit Battlefield 2042 sollte sich die langjährige Spielereihe eigentlich selbst die Krone aufsetzen, doch die Zeremonie droht im Desaster zu enden. Dankt der König am Ende ganz ab?

Die Hand am Joystick, ein hastiger Blick über die Schulter, dann ein Ruck nach hinten. Mit Schallgeschwindigkeit rast ein Jetpilot gen Stratosphäre. Verfolgt von einem gegnerischen Piloten löst der Fliegerheld seinen Schleudersitz aus und wird von seinem Jet weg katapultiert. G-Kräfte sollten ihn eigentlich zerreißen oder zumindest ohnmächtig machen. Entgegen aller Gesetze der Natur zückt der Typ aber eine Bazooka und zerschießt den Verfolger zu einem Feuerwerk aus Tausend kleinen Einzelteilen. Die Geschichte endet aber nicht hier. Der Pilot koordiniert seinen freien Fall mit dem Jet und ihm gelingt das Unmögliche: Er steigt wieder in das Cockpit ein und fliegt weiter.

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Das war ein magischer Moment. Und nach drei Minuten Geballer und Explosionen der absolute Höhepunkt des Battlefield 2042 Reveal Trailers. Magisch nicht nur, weil die Aktion jeden realistischen Spielansatz schelmisch weglächelt. Sondern vor allem, weil DICE, das Studio hinter der Battlefield-Reihe, hier in Cut-Scene-Ästhetik den „Rendezook“ nachahmt — ein in der Community legendärer Actionmove, der Top Gun in den Schatten stellt.

Rendezook

Ren|dez|vous (Substantiv) [ʁɑ̃deˈvuː]

1) Treffen oder Verabredung mit amourösen Absichten
2) übertragen: Treffen jeglicher Art, auch in technischen Zusammenhängen wie das Andocken von Raumfähren an Stationen im Weltraum

Ba|zoo|ka (Substantiv) [baˈzuːka]

Tragbares Gerät zum Abschießen von Raketen kleinen Kalibers, das meist von zwei Mann bedient wird.

Rendezvous mit einer Bazooka: Dinner for one.

Die Anfänge des Manövers reichen zurück zum ersten Teil der Reihe, Battlefield 1942. Doch erst die Jets von Rendezook-Erfinder „stun_grav“ machten es mit Battlefield 3 populär. Der Rendezook steht stellvertretend als Paradebeispiel für die Actionsequenzen, die Spieler*innen seit vielen Jahren liebevoll mit dem Stempel „Only in Battlefield“ versehen. Eine absolute Ehrung für jeden Clip, da es sich um die wunderschönen Zufälle und oft schwer zu kombinierenden Spielmechaniken handelt, die sich im Chaos der Sandbox-Schlachtfelder ergeben. 

Battlefield 2042 Ego-Shooter

Plattformen
PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series
Release
19.11.2021
Entwickler
EA DICE
Publisher
Electronic Arts
USK
ab 16

Das ist wie bei dem Infinite-Monkey-Theorem: Lasse ich einen Affen endlos auf einer Schreibmaschine herumtippen, erhälte ich irgendwann Shakespeare. Und wenn Tausende Spieler*innen sich gegenseitig an die Gurgel wollen, ergibt sich irgendwann Kunst, die kein anderes Videospiel bietet. Only in Battlefield. 

Dass die Entwickler*innen dieses Meme aufgreifen und bespielen, klang in vielerlei Hinsicht spannend. Die Aktion funktionierte gleichzeitig als Entschuldigung für vergangene Fehltritte und Versprechen für die Zukunft. Als wollte man sagen: “Wir verstehen euch. Wir richten das. Fühlt euch sicher in unseren Händen.” 

Monate zogen ins Land. Nun ist Battlefield 2042 da. DICE sollte dieses Versprechen nicht halten können. Battlefield 2042 ist ein leeres, dysfunktionales und zielloses Spiel geworden, welches nicht nur als Shooter-Erfahrung enttäuscht, sondern die eigene DNA ändert, verrät und droht, zur Unkenntlichkeit zu mutieren. 

A Brief History of Battlefield

Ja, Verrat ist ein starkes Wort. Es grenzt sicherlich an Theatralik.  Doch wenn der Schuh passt… Es handelt sich nicht nur um Verrat am Spieler, sondern an den eigenen Idealen. Der oben erwähnte Trailer ist unterlegt mit einem Remix von Mötley Crües “Kickstart my Heart”. Und so fühlte es sich an. Anerkennung der Fanwünsche, Kommunikation mit Memes, Verständnis für Kritik. Plötzlich schien wieder alles möglich, die Zukunft hoffnungsvoll, das Herz pochte aufgeregt. Nach Jahren an mittelmäßigen bis schwer enttäuschenden Einträgen im Franchise sollte nun endlich der gebührende Nachfolger erscheinen, den die Community seit zehn Jahren herbeisehnt. Ein Titel, der anderen Größen des FPS-Genres zeigt, wer immer noch die Number One ist. Battlefield 2042 – Der Erlöser der Herzen, The Return of the King, Jesus höchstpersönlich, mindestens. 

Sascha Brittner

War früher einmal Pro-Gamer und erzählt heute noch jedem davon, der nicht schnell genug weglaufen kann. Schreibt und podcastet über Popkultur auf seinem Blog PewPewPew.

Das Spiel wurde aber eher ein “Kick in the Nuts”. Veteran*innen haben sich an diese Enttäuschungen gewöhnt. Passionierte Battlefield-Fans sind ebenso beherzt wie deprimiert. Es ist berechtigtermaßen eine gefährliche Mischung. Ich bin so einer. Ich habe jeden Teil der Reihe hinter mir und Battlefield professionell gespielt, was ungefähr so beeindruckend wie eine Kreisauswahl in der D-Jugend ist. Aber ja, professionell. Das heißt, ich habe damit Geld verdient, wenn auch nicht viel. Das heißt, ich habe Zeit mit Strategieplanung und anderen jungen Männern im Teamspeak totgeschlagen, wenn auch zu viel. 

Ein Blick auf die Geschichte des Franchises offenbart das volle Maß der Enttäuschung angesichts des desaströsen Zustands von Battlefield 2042. Battlefield 1942 ist heute kaum spielbar, doch war im Jahr 2002 eine Revolution. Wichtige Nebeneinträge wie Vietnam oder die Mods Desert Combat bewiesen, dass mit dem Spiel ein eigenes Genre geboren wurde und es sich nicht um eine Eintagsfliege handelte. Mit Battlefield 2 kam dann viel zusammen, was Battlefield bis heute ausmacht, wie zum Beispiel Spielersquads. Darauf folgte Battlefield 2142, ein futuristischer Volltreffer und eSports-Hit mit bis heute unterschätzten Angeboten wie dem Titan Mode. Parallel dazu versuchte sich DICE an Storytelling in Einzelspielerkampagnen oder Konsolenangeboten – Battelfield: Bad Company war geboren. Alles mittelmäßig, doch das Core-Gameplay war da und funktionierte.

Um 2010 herum peakte das Franchise mit Battlefield: Bad Company 2 und BF3 – Spiele, die bis heute als der Gold-Standard der Reihe gelten. Trotz Startproblemen und umstrittenen Neuheiten, wie der zu realistischen Suppression zum Trotz, wurden die Spiele Hits.

Mit Battlefield 4 traten zum ersten Mal größere Probleme auf. Der Netcode spinnte. So retteten sich Spieler*innen hinter Ecken, wurden aber trotzdem erschossen, weil ihre Hitbox hinterherlaggte. Game-breaking Shit. Großer Tumult entstand auch um die Battlepacks und EAs Lootboxen-Problem, welches das Jahrzehnt im größeren Rahmen mitbestimmen sollte. Die Reaktion folgte prompt: 

„Wir bei DICE arbeiten engagiert an der Verbesserung des Battlefield 4 Spielerlebnisses für unsere Spieler. Probleme im Bereich des sogenannten „Netcodes“ sorgen aktuell dafür, dass Battlefield 4 für manche Spieler nicht optimal zu funktionieren scheint.

DICE braucht lange, doch zusammen mit einem neu eingerichteten Community Test Environment gelang das Comeback. Durch eine kontinuierliche Feedbackschleife und neue Patches mauserte sich Battlefield 4 zum Fanfavoriten. Bis heute. Da verzeihe ich auch gerne ästhetische Fehltritte wie den Ableger Hardline, der kaum zwar noch irgendwo die wiedererkennbaren Gameplay-Mechaniken von Battlefield bot, aber mehr mit Michael Manns Heat als einem Schlachtfeld gemein hatte. Über Geschmack lässt sich streiten.

Wenn Spielende jetzt den Start von Battlefield 2042 verteidigen, dann liegt das vor allem an den letzten Einträgen: Battlefield 1 und Battlefield V. Beide Spiele hatten einen schlechten Start, bei Battlefield V schienen die Probleme schon mit dem Reveal Trailer zu beginnen. Doch auch diese Spiele haben inzwischen Fans gefunden. Battlefield 1 vermag es wie kaum ein anderer Titel, eine immersive und beklemmende Atmosphäre aufzubauen und konnte berührenden Einzelspielermissionen überzeugen. Battlefield V wehrte sich lange gegen sein Schicksal, „1942 in HD“ zu werden. Es ging um Debatten über weibliche Spielermodels, fehlende Kriegsschauplätze wie Stalingrad oder Omaha Beach, französische Soldaten kamen gar nicht erst vor. Gerade als das Spiel mit dem Pazifik-Update zurück zu seinem Potenzial und der Größe des Franchises fand, stellte DICE die Entwicklung des Titels ein. Die Kapazitäten würden benötigt für Größeres, so die Begründung. Ein ähnliches Schicksal ereilte die verspätete Erfolgsgeschichte um Battlefront II, ebenfalls ein DICE-Durchhänger, der durch die nachgelieferte Arbeit auf großes Gefallen nicht nur bei Star-Wars-Fans fand.

Hoffnung im Keim erstickt

Schade, aber verschmerzbar. Schließlich war klar: Es wird am neuen Battlefield-Titel gearbeitet. Die ersten Gerüchte ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es soll sich um einen modernen Shooter handeln. Ein modernes Setting, riesige Maps, die Spielerzahl soll sich auf 128 verdoppeln, erste beeindruckende Destruction-Simulationen wurden angeteaset. 

Das Sounddesign ist grottig

Drei Jahre dauerte die Entwicklung des neuen Titels offenbar. Angesichts dessen ist es schlicht atemberaubend, wie schlecht Battlefield 2042 ist. Es hilft nicht, um den heißen Brei herum zu reden: Das Spiel ist einfach unfertig und wurde in so einem beschämenden Zustand veröffentlicht, dass er die Marke auf Jahre schädigen wird. Die Performance ist selbst mit den besten Grafikkarten mies, es gibt eine Bandbreite an game-breaking Bugs, dem Gameplay mangelt es an Flow, viele Neuheiten brechen mit dem Kern der Reihe. Das Sounddesign – ehemals eine Markenzeichen der Reihe – ist grottig. Jahrelang bekannte Features, ob relativ neu oder historisch gewachsen, fehlen plötzlich ohne gute Begründung.

Die Liste ist lang. Und selbst wenn DICE wieder einmal das Spiel im Laufe des nächsten Jahres flicken sollte, schön wird es nicht. Die noch zu erbringende Arbeit ist geradezu monumental. Es gleicht einer Herz-OP am wachen Patienten. 

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Eigentlich aber ist der Patient schon tot. Dead on arrival, quasi. Ein Day One Patch mag da schon diverse Kritikpunkte beheben, doch vor DICE liegt ein Berg an Arbeit. Aktuell fehlt zum Beispiel ein Serverbrowser. Das hauseigene Web-Social Battlelog? Fehlanzeige. Es ist unklar, ob der nervige Kerl im Chat ein Pro oder Noob ist. Es fehlt nämlich ein Scoreboard. Allgemein scheitert toxische Kommunikation aber schon an dem fehlenden All-Chat, der teamübergreifende Beleidigungen erst ermöglichen würde. Vielleicht also eher ein Feature.

Die Bewegungsabläufe wurden im Großen wie im Kleinen drastisch reduziert. Ich kann mich nicht mehr nach links oder rechts lehnen, ebensowenig eine Waffe auf einer Kante fest montieren oder im Kriechen zielend nach vorne vorwagen. Die Größe der Karten und hohe Anzahl der Spieler*innen vermitteln nur auf dem Papier epische Schlachten. In Wahrheit laufen eigentlich alle eher einen Marathon zwischen Flaggen und werden dann binnen Sekunden abgeschossen, weil Wallhacks und Spotting-Drohnen dafür sorgen, dass niemand auf der Minimap mehr geheim ist. Flankieren? Unmöglich. Die Minimap vergrößern, um den Spawn taktisch klug auszuwählen? Für DICE scheinbar ein unnötiges Feature.

Battlfield 2042 wird ohne Team-Deatchmatch veröffentlicht, der Strategie-Modus Hazard Zone bietet keinen Teamchat, Spieler*innen können weder Revive-Animationen abbrechen noch werden Medics in der Nähe angezeigt. Ohnehin egal, denn keiner übernimmt mehr diese Rolle. 

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Enthalten sind etliche unnötige Schnörkeleien. Bei jedem Spawn prüft meine Figur ihre Waffe, reine Kosmetik, wodurch ich jedoch nicht direkt zoomen kann. Angesichts der oft heiß umkämpften Spawnpunkte ein unglaubliches Ärgernis. Nervig auch: Nach modernen Establishing-Shots à la Warzone werden alle zwangsweise in der Teambasis gespawnt. Dann gilt es, einen Kilometer zur ersten Flagge zu laufen, sofern ich keines der Vehikel finde. Killstreaks sind als Infanterie kaum möglich. Stattdessen bin ich besser beraten, mir eines der neuen Hovercrafts zu bestellen und Gegner zu überfahren. Dazu kommt die völlig verquere Balance. So braucht es drei Schüsse eines Tanks, um ein Hovercraft zu zerstören. Gleichzeitig gibt es eine neue Bestelloption für Fahrzeuge. Der richtige Drop macht damit Hochhausdächer plötzlich zu uneinnehmbaren Festungen.

Weniger Waffen, weniger Bonuspunkte, weniger Maps, weniger Gadgets

Die Entwickler*innen adressierten die Probleme in einem langen Twitterthread zum Starttag und versprachen Besserung. Aber die Balance ist nicht das einzige Problem. Snipern fehlt ein Rangefinder, Messern bringt keine Dogtags mehr, obwohl diese prominent im Trailer gefeaturet wurden. Insgesamt gibt es weniger Waffen, weniger Bonuspunkte, weniger, Maps, weniger Gadgets, weniger Weapon Attachments. Ein talentierter Rapper könnte aus der Liste wohl einen Disstrack schreiben.

Bock auf Breakthrough? Tja, Pech gehabt. Zum Beginn der Runde fehlen die Spawnpoints.

Besonders die hohe Spieler*innenzahl überfordert DICE deutlich. Zwar wurden höchst immersive Terrains erzeugt, die Texturen erscheinen im richtigen Licht fast fotorealistisch. Ein Gefühl für die nur wenigen und sich stark ähnelnden Karten erschloss sich bisher jedoch nicht. Nahezu alle Maps trennen die Spielenden auf weit verteilte Flaggen auf. Dazwischen oft schlicht karger Fels oder ein bisschen Schlamm. Was kurioserweise dazu führt, dass Battlefield 2042 kleiner und eben nicht episch wirkt. Natürlich habe ich auch keinen Bock auf Granatentennis in engen Gängen, wie auf den legendären Maps Operation Locker oder Metro. Aber wo ist der Mittelweg?

Und da wären dann noch die größeren Brocken. Das Setting von 2042 ist das eines dritten Weltkriegs inmitten einer fortschreitenden Klimakatastrophe. In einem vor dem Start veröffentlichten Kurzfilm waren überflutete Großstädte zu sehen. Die Trailer vermitteln bittere Überlebenskämpfe um die letzten Ressourcen. Menschen müssen fliehen, werden staatenlos, es herrscht politisches Chaos.

Das präsentierte Gameplay suggiert aber FunFunFun: “What a time to be alive” und ein durchaus realistisches Konfliktpotenzial der Zukunft passen nicht zusammen. Dabei geht es aber gar nicht darum, ein solch mögliches Szenario zu zeichnen. In der Realität lässt 2042 jeglichen originellen Charme vermissen. Die Atmosphäre gleicht einfach keinem Kriegsszenario, sondern eher einem Hero Fight aus Overwatch mit Battlefield-Anstrich auf leergefegten Maps. Nichts erinnert an Zukunft oder die dramatischen Folgen des Klimawandels. Da hilft auch nicht der große Tornado, der einmal pro Runde über die Karte fegt. Battlefield 4 diente 2042 als offensichtliche Guideline, doch wo sind dann die Levolutions? Jene von Spielerinnen und Spielern aktivierten Trigger, die beispielsweise zu einem Dammbruch führen, wodurch die halbe Map geflutet wird. Eben genau die chaotischen, dramatischen Veränderungen, die uns auch in der Realität bald drohen, wenn die Menschheit nicht große klimapolitische Durchbrüche erringt. Das würde nicht nur Spielspaß erzeugen und für Herausforderungen sorgen, sondern auch thematisch passen und zu denken geben.

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Gemeinschaft ist das Kernprinzip von Battlefield

Für all die fehlenden Elemente lässt sich sicherlich teilweise auch die Pandemie als Begründung heranziehen. Das größte Problem ist aber eine bewusste Design-Entscheidung, die nicht einfach so zurückzunehmen ist. Es gibt in Battlefield 2042 keine typischen Klassen mehr, sondern sogenannte “Specialists”. Das Stein-Schere-Papier-System aus Klassen wie Recon, Medic, Assault und Support wandelte sich immer mal wieder über die Jahre, einzelne Gadgets wechselten den Besitzer, doch die Marke blieb sich im Großen und Ganzen gleich. Battlefield, das war immer Spiel für Spieler*innen, die den digitalen Krieg aus der einfachen Rolle erleben wollten. Gemeinsam musste es gelingen, zusammenzuarbeiten, eine Strategie zu entwickeln und den Gegner in die Knie zu zwingen. Einzelne “Only in Battlefield”-Momente mögen durchaus gut auf YouTube wirken, aber nicht auf dem Schlachtfeld zu siegreichen Handlungen führen. Einzelgänger*innen können eine gute K/D erspielen und trotzdem verlieren. Gemeinschaft ist das Kernprinzip von Battlefield. 2042 schafft das mit dem neuen System an Spezialisten ab. Und womöglich auch sich selbst. 

Beim Extraction Royale Modus „Hazard Zone“ gilt es, abgestürzte Satelliten zu bergen. Spannender wird es nicht mehr.

Desaster mit Ankündigung

Das ist ein Desaster mit Ankündigung. Schon die Beta funktionierte nur bedingt. Normalerweise werden die Highlights eines neuen Battlefield-Titels in mehreren Testphasen vorgestellt. Von den drei bekannten Spielmodi war in dem BF 2042-Beta-Wochenende nur einer enthalten: Im traditionellen Conquest-Modus müssen zwei verfeindete Teams auf einer großen Map Flaggen erobern und halten. Vom ebenfalls leicht davon abgewandten Modus Breakthrough fehlte jede Spur. Ebenso blieben die zwei großen Neuheiten unter Verschluss, die die Gefahr mit sich bringen, die Player Base aufzuspalten. Mit „Hazard Zone“ rennt DICE dem nächsten Shooter-Trend nach. Obwohl die Kombination von Battle Royale und Battlefield in Form von „Firestorm“ vor wenigen Jahren scheiterte, versucht sich der schwedische Entwickler nun am Extraction Royale Genre. Hunt Showdown und Escape from Tarkov lassen freundlich grüßen. Wie auch schon Firestorm wird Hazard Zone nicht free-to-play sein.

Der große Clou von 2042 könnte immer noch Battlefield: Portal werden. Darin können alte Titel der Reihe in der neuesten Version der hauseigenen Frostbite Engine gespielt werden. So können ergraute Spieler plötzlich wieder durch die Wüstenkarte El Alamein wandern oder bei der Battle of the Bulge mitwirken – und alles wieder in der Grafik, wie das noch in nostalgischen Erinnerungsfetzen hängen geblieben ist. Portal bietet aber nicht nur eine Retroreise, sondern ermöglicht es Spielern eigene Spielmodi und -szenarien nach dem Setz- und Sandkastenprinzip zu erzeugen. Soldaten von der Schlacht um Verdun aus Battlefield 1 gegen die hochmodernen Marines aus Battlefield 3 oder alle gegen alle und jeder hat nur eine Granate als Waffe – alles möglich. Reine Messerrunde? Bazooka-Royale? Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

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Das klingt nach dem feuchten Traum aller Battlefield-Fans. Wenn einem also weder das neue Battlefield gefällt und wer nichts an aktuellen Trends auszusetzen hat, könnte einfach alte Titel in neuester Grafik genießen. Könnte, denn auch zur Beta cockblockt DICE die Spielenden und veröffentlichte nur All Out Warfare, auf einer Map, in einem Modus, mit wenigen Waffen, reduzierten Features und einer nicht endenden Welle an Bugs und Glitches. Schnell machte ein Gerücht die Runde: Der Beta Build soll nicht Monate alt sein, wie von DICE erklärt, sondern in leider relativ realistischen Zügen den damals aktuellen Entwicklungsstand des Spiels darstellen. DICE knickte ein, verschob den Starttermin und kündigte Verbesserungen an. 

Die Beta war erst die zweite Hiobsbotschaft. Die gerade erwähnten Spezialisten die erste. Hier blieb DICE auch standhaft. In einem Statement hieß es: „…wir sehen Spezialisten als die nächste Evolution des klassischen Klassensystems an, welches einzelnen Spielern nicht nur eine größere Wirkung ermöglicht, sondern auch die Teamkooperation in neue Höhen hebt.”

Die Spezialistin Sundance ermöglicht den Einsatz eines Wingsuits statt eines Fallschirms. Wieso sollte man noch eine andere Figur spielen?

Ein spezielles Problem

Diese Interpretation der Realität könnte nicht weiter entfernt von der Wahrheit sein. Spezialisten stellen nicht die nächste Evolutionsstufe da, sie sind eine groteske Mutation des ehemaligen Klassensystems, die die DNA des Franchises im Kern bedroht. Indem die Limitierungen des Klassensystem über Bord geworfen werden, kann nun jeder alles. Ganz gleich, welche Auswahl getätigt wird, jeder “Specialist” kann jede Waffe auswählen. DICE etablierte nach der Beta zwar eine Einteilung der Figuren in grobe Klassen, aber eine wirkliche Konsequenz hat das nicht. Im Prinzip handelt es sich um Cosmetics.

Dazu darf tief in die Spielkiste gegriffen werden, denn alle Gadgets stehen zur Verfügung. Und natürlich besitzt jeder Specialist eine Spezialfähigkeit. Der französischen Elitesoldatin Sundance werden zum Beispiel neben ihrem Wingsuit drei besondere Granaten für Tanks, Infanterie oder EMPs mitgegeben werden. Zusätzlich vermag sie noch einen Raketenwerfer und ein Maschinengewehr auszurüsten. Oder Granaten und ein Scharfschützengewehr. Oder oder.

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Koordination, Teamplay, Strategie. Glück und Skill.

Der hohe Grad an Individualisierung klingt zunächst einmal verheißungsvoll. Natürlich macht es Spaß, aus einem Heli zu springen, mit dem Wingsuit über die halbe Map zu gleiten und mit C4 auf nichtsahnende Spieler unter sich zu werfen. Einmal, zweimal, ja, vielleicht auch ein drittes Mal. Doch ist das noch Battlefield? Wenn plötzlich alles möglich ist, alle Spieler*innen speziell sind, wird dann nicht das Außergewöhnliche zur Normalität?

Im Kleinen entsteht Großes. Wenn ich an epische Momente zurückdenke, fallen mir Matches ein, in denen ich eine Flagge gegen einen Tank behauptete und dem Team dadurch zum Sieg verhalf. Oder wie wir den Gegner zum Beginn der Runde in eine Falle locken konnten und das Spiel für uns drehten. 

Koordination, Teamplay, Strategie. Glück und Skill. Das sind die Tugenden des Battlefields, die sich Spieler auch abseits des eSports aneignen können. Das Game Design ist dazu ausgelegt, dass solche Momente natürlich entstehen. Durch die begrenzten Möglichkeiten des Einzelnen werden die Spieler durch positive Verstärkung zu Zusammenarbeit erzogen. Natürlich gibt es immer noch die Camper, die Sniper, die Einzelgänger. Im Vergleich zu anderen Spielen bot Battlefield aber oft den Gegenentwurf. Es ist daher geradezu tragisch, wie sehr das System der Spezialisten sich grundlos und verhängnisvoll an Hero-Shootern und anderen Trends orientiert, statt der inneren Stimme zu folgen. Statt die Mindesterwartungen langjähriger Fans zu erfüllen, wird versucht, eine neue Zielgruppe zu erschließen. Die Rechnung geht nicht auf und DICE verliert beide Gruppen.

Alles nur PR: Solche Explosionen sucht man im Spiel vergebens.

Bis jetzt gibt es zehn Spezialisten. Dabei wird es sicher nicht bleiben. Werde ich für neue Figuren bezahlen müssen? Die Infrastruktur dafür ist gelegt, der Shop existiert. Noch ist er leer, doch bald wird sicher mit neuen Kostümen oder Outfits Leuten das Geld aus der Tasche gelockt. Lootboxen durch die Hintertür. Ironischerweise ist das vielleicht auch nicht die schlechteste Idee. Bereits in der Beta entwickelte sich ein Meta, denn manche Spezialisten sind einfach besser als andere. Somit liefen gefühlt drei Playermodels über die Karte und töteten sich gegenseitig. Mehr Immersionsbruch geht kaum. Dazu haben sie peinliche Catchphrases, die am Ende des Matches immer und immer wieder abgespult werden: “Hey, don’t mind me, hehe.” – oder so, lächelt Webster Mackay, der in der Klimaapokalypse aufwuchs, am Ende einer Runde.

Wen das alles noch nicht stört, darf sich gerne mit einigen Spezialfähigkeiten anderer Heldinnen und Helden herumschlagen. Der bullige Dozer kommt zum Beispiel mit einem Riot Shield daher, welches nicht nur die Kugeln seiner Gegner abwehrt, sondern auch die Patronen zurückreflektiert. Webster McKay schwingt sich mit einem Grapling Hook wie Spider-Man durch die Karte. Dabei dienen ihm Bäume, Gebäude oder Fahrzeugen als Anknüpfpunkte. Hier eröffnen sich völlig neue Wege über die Karte. Und da wäre noch eine Spezialistin, die Gegner in der Umgebung auffinden kann. Nicht auf dem Radar, sonderm im HUD werden gegnerische Spiele in einem begrenzten Radius durch eine rote Umrandung angezeigt. Es kommt einem Wallhack gleich. Ironischerweise entschärfte DICE das vermeintlich zu starke 3D-Spotting in Battlefield V.

Des Kaisers neue Kleider

Battlefield 2042 ist ein kaputtes Spiel. Ähnlich kaputt erscheint mir inzwischen die Beziehung vieler Fans zum Franchise selbst. Die Zuversicht, dass das Spiel über die kommenden Jahre nochmal die Kurve bekommen wird, ist ja schon das eigentliche Problem. Die Erwartungen sind so weit heruntergeschraubt, dass ein dysfunktionales und schlecht designtes Spiel von vielen trotz allem gekauft wird. Die Begründungen reichen dabei sicherlich von “Es gibt ja noch Portal.” über “Es kann ja nur besser werden.”

Mit ein bisschen Galgenhumor fühle ich mich an Donald Trumps legendären Coca-Cola-Tweet erinnert. Analog lässt sich sagen: „I’m not happy with the Battlefield company DICE–that’s okay, I’ll still keep playing that garbage.“ Aber dafür ist mir die Lage dann doch zu ernst. Denn erneut fehlen zum Release wieder jede Menge weitere Features wie eine Aufnahmefunktion, dedizierte Server oder eine Spectator-Funktion. Es ist offensichtlich, dass DICE kein Interesse daran hat, Battlefield wieder zum eSports-Titel zu verhelfen. Sie könnten wenigstens nicht den Spielerinnen und Spielern im Weg stehen, die es dennoch versuchen wollen.

Mit diesem neuen Titel hat sich der vermeintliche König selbst enttarnt. Wo soll das noch enden, wenn schon das vermeintliche Comeback wieder nur im Desaster endet? Das Spiel erscheint bereits jetzt gekillt. Es ist kalt und nackt, die Seele scheint Battlefield 2042 komplett verlassen zu haben. EA verheizt das Franchise und hätte den Release in den März verlegen sollen. DICE kann oder will sich nicht wehren. Die Investor*innen forcieren den Release. Crunch. 

Es ist eine hausgemachte Tragödie.

Only in
Battlefield.

34 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for lnhh lnhh says:

    Klasse Post, bin froh, meine PS5 Version doch ungeoeffnet retourniert zu haben :sweat_smile:


    @Mirko
    Irgendwas stimmt mit den full-width images und der caption nicht.

    Das Bild erscheint erst, wenn ich
    image

    die margin einmal deaktiviere/reaktiviere.

    Dann aber auch gleich in voller breite bei einen 3440 Monitor

  2. Wie bei den meisten Online-Shooter ist es ein Wunder, dass diese Spiele trotz ihrer Komplexität überhaupt noch veröffentlicht werden. Portal ist dabei ein ziemlich interessanter Ansatz. Danke für den Artikel.

  3. Perfekt geschrieben 100%! Ich bin wirklich schockiert über den Release.
    Wie die Spezialisten so offensichtlich bei Apex geklaut wurden (Bloodhound - Scan, Grapple - Pathfinder).
    Mir kommt es oft so vor als hätte DICE NULL Selbstbewusstsein. Sie haben wirklich alles was bei Warzon, Apex, Overwatcht gut funktioniert einfach über Battlefield gestülpt und es wirklich grauenerregend.
    Und ich finde das ist auch nicht mehr zu Patchen, das Grundgerüst des Spiels ist einfach total kaputt. Diese Marketingfixierung auf 128 Spieler war schonmal ein großer Fehler. Lieber weniger Spieler*innen auf der Karte dafür VOLLE Karten und ordentliche Zerstörung. Dafür hab ich mir keine NextGen Konsole gekauft.
    Ich war soooooo gehyped, die Beta hätte aber Warnung genug sein sollen. Nun verstaubt es hier und ich schaue vlt nochmal rein wenn es ein paar kleinere Modi gibt. Schade Schade Schade :frowning:

  4. Es tut mir leid für die Spieler*innen, ich selbst aber bin ein wenig dankbar für das Desaster. Weil: Sonst hätte ich nicht diese ersklassige Zerstörung lesen können.

  5. Avatar for lnhh lnhh says:

    Das der Redakteur selber Battlefield auf (sehr) hohem Niveau spielt / spielte, gab dem Bericht fuer mich eine besondere Relevanz - gerade bei Skillspielen/Shootern ist es meines Erachtens nach besonders wichtig, dass „man weiss, ueber was man schreibt“.

  6. Avatar for Mirko Mirko says:

    techniker ist informiert

  7. Wahrscheinlich nutzen die Entwickler:innen eine Form der Avantgarde, die wir noch gar nicht greifen können: Statt die 2042 drohenden Katastrophen im Spiel abzubilden (dieser Billo-Tornado, wtf?), wird einfach das Produkt selbst zur eigentlichen Katastrophe erhoben.
    Crunchtime, fehlender Support und weitere Enttäuschungen, für die wir auch noch bezahlen - das spiegelt unsere soziale und wirtschaftliche Realität doch treffend.

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