The Gunk: Entschlacken, aber richtig

Eine andere Welt ist möglich. Wenn Jan den Staubsauger finden kann.

Kurz vor Weihnachten erscheint im Xbox Game Pass ein Wohlfühl- und Liebhabespiel für Menschen, die Schleim mögen. Und für Menschen, die gern saubermachen. Auch Menschen, denen beim Saubermachen die Action fehlt, dürfen sich angesprochen fühlen.

Wir leben in einer Zeit des Schmodders. Die Welt fühlt sich verstopft an, irgendwie verkeilt. In den toten Winkeln der Psyche wuchern Staubmäuse. Die achtlos ins Klo geworfenen Feuchttücher unseres Lebens haben sich in all den Jahren zu einer Barrikade aufgetürmt. Undefinierte Pampe, die Menschen in ihrem Bauchnabel oder Abfluss finden, heißt auf Englisch “Gunk“. Und den Traum davon, sie wegzumachen, die Welt wieder zu befreien, erfüllt das gleichnamige Spiel: The Gunk ist Therapie mit dem Staubsauger.

The Gunk Action-Adventure

Plattformen
PC, Xbox One, Xbox Series
Release
16.12.2021
Entwickler
Image & Form
Publisher
Thunderful Publishing
USK
ab 16
Links
imageform.se

Rani und ihre Freundin Becks suchen in ihrem wacklig finanzierten Raumschiff nach Verdienstchancen. Auf einem unscheinbaren Planeten entdecken sie eine blubbernde, wabernde Masse. Innerhalb von Sekunden stellt die unerschrockene Rani fest, dass sie die einfach wegsaugen kann. Statt einer rechten Hand hat Rani einen multifunktionalen Roboter, den sie zärtlich ‚Pumpkin‘ nennt. Und so fantastisch hat bisher kein mir bekanntes Putz- und Renovierspiel die Hausarbeit inszeniert: Ziehen Spieler*innen am rechten Trigger, verzerrt sich der Raum vor Rani, alles schmilzt auf sie zu, der Controller brummt und puckert, der Gunk zieht sich widerwillig zusammen, und pladdert dann doch auseinander und fällt wie in einen Trichter in den Robo-Handschuh hinein. Der aufgesaugte Gunk ist weg, und die Welt wird schlagartig schön.

Ein guter Teil der Spielzeit geht fürs Saugen drauf.

Saugen statt Ballern

The Gunk liefert die ultimative Machtfantasie für Menschen wie mich. Vor zwanzig Jahren habe ich es geliebt, in Unreal Tournament gute Freunde mit der Flak Cannon aus nächster Nähe zu überraschen. Es ging um die Freude am möglichst spektakulären visuellen Feedback – ein Klick, und die Giblets hüpften schmatzend davon. Heute will ich immer noch staunen, aber ich kann mit meinen Aggressionen besser umgehen. Die Pubertät ist vorbei. Dafür verbringe ich erheblich viel mehr Zeit damit, die Wohnung zu saugen. Und nie saugt der Sauger so richtig. Er ist mir immer zu schwach, bis ich die Leistung so weit aufdrehe, dass ich nicht nur Staub anhebe, sondern auch das Laminat. Dann ist er zu stark.

Pumpkin dagegen saugt nie so stark, dass er den Level kaputt machen würde. Kommt er Gegenständen zu nahe, erschaudern sie. Sind es wertvolle Ressourcen – oder Gunk – dann werden sie aufgesaugt. Sind sie Gegner, hält der Pumpkin sie mit seinem Unterdruck fest. Ansonsten aber bleiben sie stehen. Saugen ist also nie falsch. Rani läuft langsam durch die vollgeaschte Schmodderwelt und richtet den Pumpkin auf alle dunklen Ecken. Wenn sie den Raum endlich leer hat, dann wird die Welt von einer grünen Welle erfasst und plötzlich stehen überall unmöglich bunte Pflanzen herum. Diese optische Belohnung kommt überraschend und sie wirkt anfangs ziemlich unlogisch. Sie bleibt auch unlogisch – aber sie fühlt sich berechtigt an, als hätte ich sie mir mit meiner Fleißarbeit verdient.

Die Plattformeinlagen sind gnädig kurz und immer noch besser als in Psychonauts 2.
Aus den eingesaugten Ressourcen baue ich mir Upgrades. So bleibt das Spiel bis zum Schluss eher einfach.

Das Spiel sieht verschwenderisch gut aus

Gespielt habe ich auf der Xbox Series S, und da sieht das Spiel verschwenderisch gut aus. Immer wieder quetscht sich Rani durch irgendeinen Felsspalt und sie erblickt schon wieder neue düster glühende Gunklandschaften, knallbunte Paradiese, archäologische Schätze. Die Welt wirkt nicht echt, aber lebendig, sie erinnert an hochwertiges Plastikspielzeug, Pixar-Filme und Claymation. Das Spiel ist nicht direkt für Kinder gestaltet worden, es ist aus mir völlig unklaren Gründen sogar frei ab 16, aber die Bildsprache wirkt kindlich. Der Gunk ist dunkel und gruselig, die aufgeräumte Welt bunt und schön. Zumindest bei mir funktioniert das einfach: Wenn ich einen Raum aufgeräumt habe, dann schmilzt in der grünen Wunderwelle auch mein Zynismus. Ich freue mich, weil es wieder heil ist. Dann stapfe ich mit Rani in den nächsten Gunkraum.

Auch Rani bleibt regelmäßig stehen, um zu staunen, wie es hier aussieht.

Quantitätsmatrix

Das klingt nicht direkt abenteuerlich, und es fühlt sich beim Spielen auch nicht so an. Alles steuert sich so, wie in ungezählten Action-Adventures und 3D-Plattformern zuvor. Saubermachen, Hüpfen, Klettern, Kämpfen und Rätseln sind hier eher eine schöne Beschäftigung als eine Herausforderung. Es gibt zwar Gegner im Spiel, aber die bleiben spärlich und vergleichsweise harmlos. Fast alle Rätsel erschöpfen sich darin, leuchtende Riesenkugeln auf Ziele zu schleudern. Entweder sprengen sie den Weg frei, oder sie wachsen zu nützlichen Kletterpilzen. Am schwierigsten bleibt die Orientierung, weil es keine genaue Karte gibt.

Wohlfülrituale

The Gunk folgt einem einfachen Rhythmus. Rani erreicht einen neuen Ort, sie macht den Gunk weg, dann sucht sie den Weg zum nächsten Ort und saugt unterwegs Ressourcen ein. Findet sie heraus, wo es weitergeht, dann errichtet sie einen Schnellreisepunkt. Sie springt zurück zu ihrer Freundin Becks, plaudert kurz, craftet sich an der Werkbank aus den gesammelten Ressourcen ein kleines Upgrade und springt zurück ins Abenteuer.

Irgendwas mit Freundschaft und Umweltschutz

Aufregung soll in dieser gleichmäßigen Schleife eher die Geschichte liefern; aber nicht zu doll. Rani ist eine Draufgängerin, ihre Freundin Becks bleibt im Raumschiff und macht sich am Funkgerät Sorgen. Die beiden reiben sich ein wenig, aber der Plot zündet nicht besonders. Es gibt nicht eine unerwartete Wendung, nicht einen originellen Einfall, nur nahe liegende Klischees. Irgendwas mit Freundschaft und Umweltschutz.

Die Geschichte wird auch mal düster. Wurde sie deswegen von der USK ab 16 freigegeben?
Auch bei den Rätseln steht eher die Aussicht im Vordergrund.

Umso bemerkenswerter funktioniert das Ganze. Ich bin gekommen, um sauberzumachen, bin dann aber doch wegen Rani und Becks geblieben. Die Sprecherinnen Fiona Nova und Abigail Turner schaffen es meistens, dass ich ihnen den überraschungsarmen Dialog genauso abnehme. Ich mag die Konflikte schon von weitem kommen sehen, aber ich glaube dran. Und wenn ich ehrlich bin, brauchen Videospiele genau solche Geschichten: Verkrampft originelle Plottwists hat das Medium genug. Glaubwürdige Menschen bleiben die Ausnahme.

Und wenn dann (SPOILER) nach weniger als 10 Stunden die Freundschaft siegt und der Abspann läuft, dann sitze ich vor dem Fernseher wie unter einer Kuscheldecke. Ich habe ganz viel ekligen Schmodder weggeräumt und kann nachher gar nicht mehr sagen, woher und wohin. Doch ich fühle mich leichter. Für ein paar Tage fallen mir die Staubmäuse in der Wohnung gar nicht mehr auf.

Fazit

Punkte: 82

Jan Bojaryn

Jan Bojaryn schreibt für Tageszeitungen und Kulturzeitschriften über Videospiele und vergleichbar wichtige Themen.

Wahnsinnig gut gemeint sind in letzter Zeit viele Spiele. Aber nur wenige fühlen sich dabei auch gut an und nicht banal oder langweilig. Der Gunk dagegen hat etwas Neues entdeckt, das mindestens so viel Spaß macht, wie der gute, alte Blattschuss mit der Schrotflinte. Danke, lieber Gunk!

The Gunk

Saugleistung: 82%

Höhe in Disketten
24,07 m
Spieltiefe
25 bar
Ist das noch Indie?
65%
Gewalt
0,15 Doom
Eleganz
8,6
Metascore-Abweichung
11

11 Kommentare


Kommentare

  1. Hat so einen Spaß gemacht, diesen Dreckstext so lesen. Müllt uns bitte weiter mit solchem Stoff zu. Dieser Schmutz tut einfach gut.

  2. Avatar for Fabu Fabu says:

    Staubsaugen ist voll mein Ding. Mindestens 2x die Woche. Ich sollte Gunk also spielen.

  3. @Fabu mindestens 2x die Woche voll so:
    Vacuuming Diarrhea Planet GIF by Infinity Cat Recordings

    BTW noch ein Tipp für @cneeb und junge Eltern, also Fans von Ready Parent One:
    Vacuuming Fathers Day GIF by America's Funniest Home Videos

  4. schubidu. Dank Deines inspirierten Artikels hab ich mich grad getraut, die Xbox-PC-App zu installieren und nun also doch den Game Pass mal zu testen (schaurige Erinnerungen an Games for Windows Live wurden heldenhaft niedergerungen), bei 1,- € für 3 Monate schien das Risiko es wert^^
    Für genau solche liebschönen, freundlich leichten Games hab ich mir in letzter Zeit ´nen Radar wachsen lassen, der grad ganz heftig gepiept hat.
    Besten Dank!
    oh, download schon bei fast 50%, das wird noch was vorm schlafengehen…

  5. Hab’s gestern durchgespielt. Irgendwie erwartete ich nach Jahren der Last of Usses und so weiter einen düsteren Twist, irgendwas moralisch fragwürdiges, etwa, dass man den Gunk am Ende durch seinen Handschuh per schwarzem Loch die ganze Zeit in den Wildpark Poing verlagert hat. Gab’s nicht, stattdessen einfach nur ein Happy End, zwei Held:innen, die erst den Tag und dann ihre Freundschaft retten und viel mehr muss ein Videospielabenteuer auch gar nicht bieten. Das passt nicht ganz (immerhin rettet man immer noch ein bisschen die Welt), aber doch so halb zu dem Text von @christianschiffer. Wenn Game Pass weiter für kleine, feine Spiele wie The Gunk steht, dann bleibt mein Abo noch 'ne Weile aktiv.

    Restore Clean Up GIF by Xbox

  6. Avatar for Adrian Adrian says:

    wie lange dauert das Spiel eigentlich?

  7. Weniger als 10 Stunden laut Text.

  8. Kommt hin, hab es in 3-4 Sitzungen mit je so 2, 3 Stunden durchgespielt. Ist dank den Kapiteln und Checkpoints auch gut strukturiert dafür.

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