Wir sind mit Spielen groß geworden. Jetzt werden in unserem Leben unsere Kinder mit uns groß. Bleibt zwischen Windelwechseln, Krabbelgruppe und Breifütterung überhaupt Zeit zum spielen? Was geben Games uns mit auf dem Weg mit Nachwuchs? Geben wir unsere Liebe zu virtuellen Welten weiter? Hier gibt es Monat für Monat eine Heldinnen-Reise von der Geburt bis zum ersten eigenen Griff zum Controller.

Nur noch ein halbes Herzchen oben am Rand. Shit. Das Bild färbt sich dunkel, beginnt zu pulsieren. Shit. Das Pochen wird schneller. Shit. Jetzt bloß keinen Fehler mehr machen, sonst war es das. Wenn in Spielen die Lebensanzeige schrumpft, wird es kritisch. Das Bummern auf dem Screen wird zum Bummern in unserer Brust. Wird schneller, lauter. Bis unsere Herzen mit diesem halben Herzchen da vorne im Takt rasen. Bis wir auf der rettenden Plattform gelandet sind. Hinter der schützenden Barrikade ankommen. Bis der Bildschirm aufhört zu pulsieren, die Welt wieder Farben bekommt außer rot und schwarz und weiß. Bis das halbe Herzchen wieder ein volles ist.

The Last of Us Action-Adventure

Plattformen
PS3, PS4
Release
14.06.2013
Entwickler
Naughty Dog
Publisher
Sony Computer Entertainment
USK
ab 18
Links
playstation.com

Eltern werden macht verletzlich. Auf einmal ist da dieser zweite Charakter mit eigener Lebensanzeige. Ein zweites Herzchen das bummert. Ich muss nicht mehr nur auf meinen eigenen Herzschlag hören, sondern auch auf den neuen, der da klopft. Auch wenn von überall Schildkrötenpanzer auf uns einprasseln, dieses neue Herzchen muss als erstes auf die sichere Plattform gebracht werden. Selbst wenn es für mich das Spielende bedeuten würde.

„Das würde ich nicht durchhalten“, sagt Hannes zu mir. Nach meinem „Uncharted“-Marathon hatte ich kurz vor dem Ende meiner ersten Elternzeit beschlossen, eines meiner Lieblingsspiele nochmal herauszuholen: „The Last of Us“. Spielt sich ja im Grunde ähnlich. Und das Konzept des „Spielfilm“-Games hat sich doch als perfekt für diese erste Zeit erwiesen. Was soll da schon schief gehen? „Weißt du noch, der Prolog“, sagt Hannes. „Ist doch nur ein Spiel“, sage ich.

Er hatte natürlich recht. Als „The Last of Us“ erschien, war ich ein anderer. Selbst damals, im Sommer 2013 hatte ich schon zu Beginn des Spiels einen Kloß im Hals. Zwei Monate nach der Geburt meiner Tochter im Frühjahr 2018 bekomme ich in den ersten Minuten des Spiels kaum Luft.

Im Dunklen läuft Joels Tochter Sarah durch das Haus der Kleinfamilie. Ich steuere sie Raum für Raum an den Fotos und Erinnerungsstücken vorbei – auf der Suche nach Papa. Als der endlich von der Arbeit nach Hause kommt, kuschelt sich die Zwölfjährige in seine Arme. Ein kurzer Moment der Ruhe, des Glücks.

Aber ich weiß ja, was gleich kommen wird. Ich weiß ja, wie er gleich mit ihr die Flucht ergreifen muss. Wie er versucht sie aus dem Wahnsinn einer Pandemie rauszubringen, die Infizierte zu schäumenden Ungeheuern macht. Wie sie versuchen eine Straßensperre zu überwinden und sie von einem Querschläger getroffen in seinen Armen stirbt. Das ist jetzt kaum mehr auszuhalten. Wie haben das im Sommer 2013 Mütter und Väter ausgehalten mit einem Controller in der Hand? Ist doch nur ein Spiel. Zombies mit Pilzköpfen. Total drüber. Aber es schlägt irgendwie tief ein.

Angst ist ein Scheißgefühl. Keine Luft mehr kriegen. Herzrasen. Nicht wissen, wo vorne und wo hinten ist. Im Leben gibt es genug, wovor wir uns fürchten können. In dem Moment, in dem ein Kind da ist, ist da ganz viel Glück. Aber auch die Angst bekommt eine neue Dimension.

Sie ist da, wenn auf einmal rote Flecken auf der Haut auftauchen, bei denen Fachärzte nur ratlos mit den Schultern zucken und man Abend für Abend verweint am Wickeltisch steht. Sie ist da, wenn die Elternzeit vorbei ist und man für acht Stunden weg ist, obwohl gerade Zuhause ein kleiner Körper vor Fieber schüttelt.  

Nach dem Prolog des Spiels habe ich damals länger gebraucht, um neu starten zu können. Obwohl 2018 noch keine weltweite Pandemie „Last of Us“ aktuell macht. Es reicht schon, meine ersten Ängste um das Kind im überspitzten Zombieszenario gespiegelt zu sehen. Zu sehen, wie Ängste und Verlust aus dem fürsorglichen Vater Joel ein gebrochenes Monster machen. Mich selbst zu fragen, was das mit mir machen würde. Bin ich damit alleine? Ist das total drüber? Warum nimmt mich das alles hier so mit. Jede Verletzung, jeder enttäuschte Gesichtsausdruck auf dem Gesicht von Ellie.

Was mit „Uncharted“ so fluffig begann, wird bei „The Last of Us“ zur zähen Folter. Abend für Abend quäle ich mich mit Joel und seiner Ziehtochter Elli durch die Ruinen der USA. Zwischen Abscheu vor seinem Zynismus, seiner Brutalität und Mitgefühl für die Wunden, die das Monströse überdeckt. Und voller Sorge um Ellie, obwohl ich ja weiß, dass sie irgendwie da durch kommt.

Ich stehe mit meiner Tochter im Aquarium auf Fehmarn. Wir schauen von unten hinauf ins schimmernde Blau. Rochen, Barsche und Haie ziehen über uns hinweg. Ihre großen Augen huschen von einem silbrigen Leib zum nächsten.
Ich stehe mit Ellie auf einem Balkon in Salt Lake City. Wir schauen von oben hinunter ins wuchernde Grün. Eine Herde Giraffen zieht vorüber. Ihre Hände streichen sanft über den gepunkteten Hals eines weidenden Tiers.

Im Frühjahr 2018 sind die Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein und andere Machtmänner noch frisch. Die #MeToo-Vorwürfe werden endlich von einer breiten Öffentlichkeit ernst genommen. „Fühlt sich das jetzt anders für dich an, weil du eine Tochter hast“, fragt mich eine Freundin damals. Natürlich nicht, will ich antworten. Es muss auch ohne Bezug auf eine weibliche Person – Tochter, Schwester, Mutter – möglich sein, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.

Christian Neeb

War früher Redakteur beim GEE Magazin, bei der Fernsehsendung Reload und beim Spiegel. Heute wechselt er Windeln, kocht Nudeln mit roter Soße, liest Geschichten vor und schreibt nebenbei als freier Autor.

Aber dennoch: Es ist als ob ein Kippschalter in mir betätigt wurde, der alles verstärkt, was ich ja vorher schon glaubte gewusst zu haben. Ein Resonanzraum, der sich auch in meinem Umgang mit Spielen wiederfindet. Alles ist anders, seit ich ein Vater bin. Es ist anders, seit mein Kind auf der Welt ist.

Während ich diesen Text im Januar 2022 schreibe, sitze ich in Covid-Quarantäne. Positiv. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Maske, Impfung, Distanz. Meine Kinder habe jetzt schon Tage nicht gesehen. Die Angst, ob sie sich auch angesteckt haben, dreht mir den Magen um. Ich bin rastlos, bis endlich ihr PCR-Ergebnis eintrifft. Negativ.

Spiele können Realitätsflucht sein. Sie können aber auch Realität verstärken. Das was in uns und mit uns gerade passiert zutage fördern. „The Last of Us“ ist ein solcher Katalysator. Jetzt gerade könnte ich es nicht spielen. Ich würde vermutlich implodieren.

32 Kommentare


Kommentare

  1. Christian Neeb, Du schreibst mir mal wieder aus der Seele!

  2. Es geht mir ganz genau so. Seitdem unser Sohn auf der Welt ist, triggert mich alles, was mit Leid von Kindern und Eltern zu tun hat enorm. Spiele, Filme, Bücher und natürlich auch die Realität. All das hat eine ganz andere Bedeutung als vorher.

    Das Gefühl mit dem „Kippschalter“ trifft den Nagel auf den Kopf. Bei vielen Sachen will ich einfach nur noch heulen, die mich vorher emotional vielleicht berührt haben, aber auf einem ganz anderen, niedrigerem Level.

    Ich war bei einigen Dingen vorher schon emotional. Aber durch die Geburt unseres Sohnes ist das Spielen mancher Spiele quasi automatisch eine völlig andere … hm … vielleicht auch „schwierigere“ oder „belastendere“ Erfahrung. Hätte ich nie für möglich gehalten.

    Als hätte mir jemand einen Schlüssel zu einem anderen Abschnitt der Welt gegeben, der mir bis dahin verborgen war.

  3. Avatar for Typhix Typhix says:

    Ich habe von meiner Frau zu Weihnachten das neue Buch von Sebastian Fitzek bekommen. Nach den ersten drei Kapiteln habe ich sie gefragt, ob sie eigentlich weiß, was sie mir da geschenkt hat. Sie antwortete mit nein, sie wisse nur, dass das Buch gut sein soll.

    In dem Buch geht es um ein Mädchen, das auf dem Schulweg entführt wird, und den Psychoterror, den der Vater dabei durchmachen muss. Ich habe eine Tochter, die ich jeden Morgen auf den Weg in die Schule schicke. Ich weiß noch nicht, ob das ich das Buch weiterlesen werde.

    Es gibt ja diesen Spruch: Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen. Ich halte den für Unfug. Gerade als unser Kind noch klein war, habe ich mir wegen jedem Mist riesige Sorgen gemacht. Besonders zu der Zeit konnte ich solche Gefühlsverstärker echt nicht gebrauchen.

    Das wird mit wachsender Selbständigkeit des Kindes aber immer besser. So ist zumindest meine Erfahrung. Irgendwann ist das Kind nicht mehr dauernd fiebergeschüttelt krank. Irgendwann kann es sich alleine anziehen. Irgendwann geht es alleine seinen Schulweg. Und irgendwann merkst du, dass das Kind mittlerweile ein gutes Stück weit sein Leben selbst managen kann. Und dann wirst du wieder viel entspannter.

    Aber ein Stück weit wird das bleiben. Ich schaue gerade auf das Buch und habe entschieden, dass es auch diesen Abend noch im Bücherregal verweilen muss.

  4. Ich glaube, das Sprichwort spricht die größeren Probleme an: Teenagealter, ewiger Streit und endlose Diskussionen, abdriften in unheilschwangere Mi­li­eus und soziale Umfelder, Suff, Sucht, Depression. Diagnosen oder Persönlichkeitszüge, die im frühen Kindesalter kaum sichtbar oder harmlos scheinen, sich mit zunehmenden Alter aber verstärken … all die Sorgen, die die täglichen Kämpfe, Sorgen und Ängste, mit denen sich Eltern im Frühkindesalter ganz natürlich rumschlagen müssen, plötzlich wie Lappalien dastehen lassen.

  5. Avatar for Typhix Typhix says:

    Ja, sicher. Will ich auch gar nicht kleinreden. Diese absoluten Extreme wie Sucht oder Depression habe ich auch nicht kennengelernt. Das wird nochmal eine ganz eigene Liga sein.

  6. Hundertprozentige Zustimmung. Mittlerweile sind meine beiden Kinder in oder gerade vor der Pubertät und es verschieben sich die Probleme und werden dadurch größer, weil du auf einmal auch gegen das Kind argumentieren musst, weil es eine andere Meinung hat. Du es aber aufgrund deiner eigenen Erfahrungen und dadurch entstandenen Weitsicht einfach „besser“ weißt. Auf der anderen Seite willst du aber auch, dass dein Kind seine eigenen Erfahrungen macht. In einer Welt, die du vermutlich nicht mehr kontrollieren kannst, weil du ja nicht mehr händchenhaltend daneben stehst.

    Von den Gefühlen ist es aber schon recht ähnlich, ob du deinen dreijährigen vor der Ziege im Streichelzoo beschützen willst oder vor dem beginnenden Alkohol-/Drogenkonsum seines Freundes-/Bekanntenkreises. Als Beispiele.

    Oder was sie auf einmal für Videospiele/Medien konsumieren und damit auch eine Wirkung auf deren Persönlichkeitsentwicklung haben. Da kommen mit dem Alter eine Menge Faktoren ins Spiel, auf die man keinen großen Einfluss mehr hat. Macht aber trotzdem weiterhin viel Spaß seine Kinder wachsen zu sehen. :wink:

  7. Nee, kein Problem. Wollte das jetzt keineswegs heraufbeschwören, sondern nur das Sprichwort reflektieren. Merke an mir selbst, dass die Sorgen sich mit zunehmendem Alter der ältesten Kinder ganz unbewußt verlagern. Beim dritten Kind, als wir gezwungen waren von Manndeckung auf Raumdeckung zu wechseln (um mal eine Fußballanalogie zu bemühen), waren die Steckdosen, steilen Treppenstufen oder hohes Fieber auf einmal nicht mehr so furchterregend wie bei den ersten Kindern.

  8. Danke für diese tolle Kolumne und auch danke für Eure Foreneinträge. Ich würde jetzt nur wiederholen, aber ja zu großen Teilen fühlt sich manches Videospiel, aber auch mancher Film seit 9 Jahren jetzt so an. Prisoners von Villeneuve fand ich zum Beispiel großartig, aber er hat mich komplett an meine Grenzen gebracht. Zombiegemetztel Teil drölfzig null.

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