Warum Du Deine Altersvorsorge in Paradox-Aktien pumpen solltest

… oder warum das vielleicht doch keine so gute Idee ist

Verschiebungen, Skandale, misslungene DLCs: Es war ein katastrophales Jahr für den schwedischen Publisher. Kaum eine Aktie eines Spieleherstellers schmierte so sehr ab wie die von Paradox Interactive. Nun hat ein neuer CEO das Ruder übernommen, der zugleich auch der alte CEO ist. Wird jetzt alles besser? Eine Analyse.

Es war die vielleicht trostloseste Veranstaltung der jüngeren Computerspielgeschichte. Ein Event, welches in Sachen Esprit und guter Laune irgendwo rangierte zwischen leerem Pizzateller und einer Single von Soap&Skin. Ein Event so deprimierend, dass man kurz denken konnte, man sei versehentlich auf einer CDU-Wahlparty gelandet. Tatsächlich handelte es sich aber um die Vorstellung der Zahlen für das letzte Paradox-Quartal.

Da saßen nun also der Paradox-CEO Fredrik Wester und der Paradox-Finanzchef Alexander Bricca und schauten traurig-verhuscht in die Kamera, murmelten etwas von „disappointing quarter“ und präsentierten Charts aus der Hölle.

Sinkende Einnahmen, steigende Kosten, ein gequält dreinschauender Chef. Die Präsentation der Paradox-Quartalszahlen machte in etwa so viel Spaß wie Empire of Sin.

Die Stimmung ist schlecht bei Paradox – und die Zahlen auch. Dabei ist es noch nicht so lange her, da galt Paradox als boomendes Unternehmen mit glänzenden Zukunftsaussichten und als eine Firma, die drauf und dran war, bei den ganz Großen mitzuspielen. Im Herbst 2020 war eine Paradox-Aktie über 30 Euro wert. Als Wester und Bricca nun Mitte November die Quartalszahlen präsentierten, hatte das Unternehmen fast zwei Drittel seines Wertes eingebüßt. Es ist ein dramatischer Niedergang und einer, für den es viele Gründe gibt.

1. Dem rasanten Abstieg ging ein rasanter Aufstieg voraus

Ebba, Quelle: Twitter

Im Februar 2019 wird Ebba Ljungerud CEO von Paradox. Während Fredrik Wester mehr so der Typ knorriger Firmenpatriarch ist, der bestimmt damals vor gefühlt 48 Jahren noch den Pförtner selbst eingestellt hat, tritt Ljungerud eher auf wie eine coole Start-up-Gründerin. Die Schwedin wirkt so, als könnte man gut mit ihr rumkumpeln, Bier trinken und vegane Döner futtern. Sie wirkt sogar so sympathisch, dass ich den Impuls unterdrücken muss, sie bis zum Ende dieses langen Textes einfach nur „Ebba“ zu nennen. Wie auch immer: Ljungerud macht damals keinen Hehl daraus, dass sie privat den hochkomplexen Paradox-Strategiespielen á la Hearts of Iron eher wenig abgewinnen kann und stattdessen eher die zugänglichen Paradox-Titel wie etwa Surviving Mars bevorzugt. Und vielleicht spielt das auch eine Rolle bei der Vision, die sie für das Unternehmen entwickelt: Unter ihrer Führung soll Paradox irgendwann für mehr bekannt sein als für Strategiespiele, die in etwa so komplex sind wie, nun ja, Paradox-Spiele halt.

Ljungeruds Idee: Paradox hat eine solide Basis von treuen, geradezu fanatischen Strategiespieler*innen, die für regelmäßige Einnahmen und damit für Planungssicherheit sorgen. On top sollen jetzt aber auch noch Millionen Normalospieler*innen hinzukommen, beispielsweise durch das Rollenspiel Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2. Hinzu kommt dann auch ein äußerst gelungenes Crusader Kings 3 – und Corona. Schließlich profitiert Paradox wie auch der Rest der Branche von der Pandemie, da viele Leute während der ersten Welle das einzig Vernünftige tun: Zuhause bleiben und sich in Strategiespiele hineinfuchsen. Das beflügelt die Fantasie der Anleger, und so steigt der Paradox-Kurs in schwindelerregende Höhen. Doch Ljungerud scheitert. Am Ende ihrer Zeit als Paradox-CEO hat das Unternehmen die treuen Fans seiner Strategiespiele vergrault und zugleich wichtige Projekte, die neue Spieler*innen anlocken sollten, in den Sand gesetzt.

2. Probleme mit externen Studios

Paradox hatte in der Vergangenheit durchaus ein gutes Händchen mit externen Studios. Cities: Skylines, das von dem finnischen Studio Colossal Order entwickelt wurde, ist ein hervorragendes Spiel und dazu noch eine echte Cashcow. Doch sowohl bei Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 als auch bei dem Mafia-Spiel Empire of Sin erlaubt sich Paradox geradezu kuriose Fehlgriffe. Der Auftrag für Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 wird an Hardsuit Labs vergeben, ein Studio aus Seattle in das sich Paradox mit 33 Prozent einkauft und das noch nie ein deepes Rollenspiel gemacht hat. Nach einer turbulenten Entwicklungszeit mit zwei Verschiebungen und diversen Entlassungen wird Hardsuit Labs das Spiel entzogen. Fast wäre das Projekt komplett gestorben, mittlerweile sitzt ein neues Studio dran. Release? When it’s done. Um welches Studio es sich handelt? Nicht bekannt. Fredrik Wester möchte, dass das Studio in Ruhe und ohne öffentlichen Druck die Entwicklung vorantreiben kann.

An der Börse seit dem 31. Mai 2016

Umsatz 2014: 177 Schwedische Kronen 
Umsatz 2020: 1.793 Schwedische Kronen

Größte Anteilseigner

Streubesitz: 37,46%
Fredrik Wester: 33,37%
Investment AB Spiltan: 17,20%
Carl Peter Theodor Fredriksson Lindell: 8,63%
Tencent Holdings Ltd.: 5%

Empire of Sins erscheint zwar, aber enttäuscht. Das Spiel ist ein Herzensprojekt der legendären Gamedesignerin Brenda Brathwaite, die gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Doom-Mitentwickler John Romero, 2015 das Spielestudio Romero Games gründet. Empire of Sin ist das erste große Spiel von Romero Games, welches im beschaulichen Galway in Irland beheimatet ist. Doch offenbar ist man auch hier überfordert. Empire of Sins funktioniert schlechter als ein Fahrkartenautomat der MVG und fällt sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum durch.

3. Vernachlässigung der Kernmarken

Das warme und sonnige Wetter ist hervorragend dazu geeignet, um mit Freunden und Familie Sport zu treiben und draußen die Freizeit zu genießen. Bergliebhaber hingegen können in den nur zwei Autostunden entfernten Pyrenäen, das ganze Jahr einer breiten Palette an Aktivitäten nachgehen. Außerdem wird Sie diese historische Stadt mit ihren kulturellen Veranstaltungen, der mediterranen Küche und natürlich dem ausgezeichneten spanischen Wein in ihren Bann ziehen!

Diese Zeilen finden sich nicht etwa in einem Tourismusprospekt, sondern auf der offiziellen Seite von Paradox Tinto, einem Studio, das 2020 in Sitges bei Barcelona eröffnet wird. Sitges ist ein malerisches Künstler*innendorf, das vor allem für ein ziemlich cooles Filmfest bekannt ist und ansonsten vor allem für Strände und Parties.

Sitges: Sonnentage im Jahr: 300. Durchschnittliche Temperatur 18 °C. Äußerst negative Rezensionen auf Steam für DLCs komplexer Grand Strategy Games: 4.587

Und hier irgendwo zwischen all den Restaurants, in denen man sich lecker Pulpo a la Gallega in die Futterluke stopfen kann, entsteht der Leviathan-DLC für Europa Universalis IV. Für diejenigen, die Europa Universalis nicht kennen: Man muss sich diese Spielereihe vorstellen wie einen Verbrennungsmotor. Tausende kleine Teile greifen ineinander und wenn nur eine Schraube falsch angezogen ist, dann fliegt das ganze Teil auseinander. Man würde vermuten, dass solche DLCs besser nicht rotweingeschwängert an irgendwelchen Partyorten am Mittelmeer entwickelt werden sollten, sondern sich eher Orte eignen, die mindestens so trostlos sind wie die letzte Präsentation der Paradox-Quartalszahlen. In Frage kämen etwa die grönländische Hauptstadt Nuuk, die isländischen Westmännerinseln, Spitzbergen im Nordatlantik oder auch Landshut. Man munkelt, dass es private Gründe waren, die das Paradox-Urgestein Johan Andersson an den zur Strategiespielentwicklung am wenigsten geeigneten Ort der Welt gezogen hat. Das sei ihm von Herzen gegönnt, auch Paradox-Chef Fredrik Wester wohnt übrigens seit Jahren an der katalanischen Mittelmeerküste, und dennoch kommt man nicht umhin festzustellen, dass es mit dem Leviathan-DLC sogar noch schlimmer kommt als befürchtet. Die Erweiterung fährt die schlechteste Steam-Nutzer*innenwertung aller Zeiten ein. Leviathan ist verbuggt und ruiniert das Balancing des Hauptspiels. Der kleinteilige Verbrennungsmotor stottert nicht nur, er explodiert.

Und dann bricht auch noch ein anderer Pfeiler weg: Imperator: Rome, das im April 2019 veröffentlicht wird, soll eigentlich eine weitere Paradox-Hauptserie werden, neben Europa Universalis, Crusader Kings, Stellaris, Victoria und Hearts of Iron. Imperator: Rome ist kein schlechtes Spiel, aber es ist, zumindest am Anfang, nicht so gut, wie man das von Paradox gewohnt ist. Die Spieler*innenzahlen bleiben hinter den Erwartungen zurück. Nur ein Jahr nach seinem Erscheinen zieht Paradox den Stecker. Dem Aktienkurs kann das zunächst nur kurzzeitig etwas anhaben, zu sehr überwiegt die kurze Zeit später einsetzende Corona – und Vampire-Euphorie. Trotzdem ist klar: Dass die Etablierung einer neuen Hauptmarke missling, ist mittelfristig ein herber Rückschlag für das Unternehmen.

4. Projekteinstellungen und Sexismus-Skandal

Man kann manche dieser Dinge Ebba Ljungerud anlasten, aber bei weitem nicht alle. Viele Entscheidungen, die Paradox während ihrer Amtszeit Probleme machen, wurden bereits vorher gefällt. Klar ist aber, dass Ljungerud das Unternehmen breiter aufstellen wollte. Als die Schwedin am 1. September 2021 ihren Rücktritt bekannt gibt, werden unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Zukunft von Paradox als Hauptgrund angegeben. Da Westner aber mit etwa einem Drittel den Löwenanteil der Paradox-Aktien hält, können Differenzen hinsichtlich Unternehmensausrichtung guten Gewissens als Differenzen mit Wester bezeichnet werden. Kurz darauf erklärt Paradox mehrere unangekündigte Projekte einstellen zu wollen. Im Klartext: Es wurde Geld verbrannt für Spiele, die niemals erschienen sind. Wer also eine Erklärung für die gestiegenen Kosten im oben gezeigten Chart aus der Hölle sucht, der findet sie vermutlich genau hier. Paradox hat ins Nichts hinein produziert – und das drückt die Bilanz.

Eine „Kultur des Schweigens“

Last, but not least wurden auch bei Paradox auch Sexismusvorwürfe laut. Eigentlich gilt Paradox als solider Arbeitgeber und als einer der wenigen in der Spielebranche, in dem Gewerkschaften etwas zu sagen haben. In einer internen Umfrage der Arbeitnehmervertretung unter 133 Mitarbeiter*innen kommt allerdings ans Tageslicht, dass in dem Unternehmen toxisches Verhalten offenbar an der Tagesordnung ist. Von einer „Kultur des Schweigens“ ist die Rede, von Mobbing, und davon, dass systematisch weggeschaut wird, wenn Männer sich Frauen gegenüber unangemessen verhalten. Immerhin: Paradox lässt die Vorwürfe von einer externen Firma überprüfen. Neben dem menschlichen Drama sind solche Vorfälle auch Gift für den Aktienkurs. Eine Firma wie Paradox, mit all ihren komplexen Produkten an denen oft jahrelang gearbeitet wird, ist auf zufriedene Mitarbeiter und eine geringe Fluktuation angewiesen.

Wie geht es jetzt weiter?

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Auf Jahressicht ist kein Aktienkurs einer anderen größeren Spielefirma so stark eingebrochen wie der von Paradox. Allerdings gibt es seit einigen Wochen gar keine Nachrichten mehr um Paradox, keine guten, aber vor allem auch keine schlechten. Der Kurs hat sich ein wenig erholt und das hat insbesondere mit der oben geschilderten Präsentation der Quartalszahlen zu tun. Fredrik Wester hat dort vor allem zwei Maßnahmen verkündet:

Paradox möchte zwar neue Projekte angehen, aber das soll die Ausnahme bleiben. Stattdessen will man sich um seine großen Marken kümmern und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Außerdem sollen die Produktionen von externen Studios strenger überwacht und die Qualitätssicherung gestrafft werden.

Die Gerüchteküche könnte mit dazu beigetragen haben, dass der freie Fall der Aktie vorerst gestoppt wurde. Aktuell wird nämlich gemunkelt, dass Microsoft womöglich Paradox aufkaufen will. Allerdings gibt es ständig Gerede darüber, dass sich Microsoft dieses oder jenes Studio einverleiben möchte. Klar ist aber auch, dass wir im Bereich der Videospielindustrie gerade einen gewissen Konsolidierungsprozess erleben. Microsoft braucht starke Exklusivspiele, um Spieler*innen das Game-Pass-Abo schmackhaft zu machen und möglicherweise könnte hier eine Übernahme von Paradox tatsächlich Sinn ergeben.

Was spricht für Paradox?

1. Das Geschäftsmodell

Ja, wir hassen DLCs. Es fühlt sich so an, als hätte man ein Hemd gekauft und jetzt muss man nochmal für die Knöpfe blechen. Genauer: für jeden Knopf einzeln. Paradox aber stellt normalerweise die besten Knöpfe der Welt her. Knöpfe, die so ein Hemd immer und immer wieder aussehen lassen wie neu. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dieses Modell sehr lukrativ: Wenn das Hemd einmal fertig genäht ist und viele Leute damit herumspazieren, kann man über Jahre hinweg Knöpfe verkaufen. Oder anders: Die Produktionskosten für einen DLC sind vergleichsweise gering, die Einnahmen aber hoch und sie sprudeln im Idealfall über einen langen Zeitraum.

Was hinzu kommt ist, dass andere Hersteller das Modell nicht so einfach von heute auf morgen kopieren können. Gute Hemden und dazu passende Knöpfe zu produzieren ist schwieriger als man denkt. Die komplexen Paradox-Strategiespiele sind schwer nachzubauen, vor allem, wenn sie schon mit einem halben Dutzend DLCs angereichert wurden. Die Paradox-Strategiespiele sind nicht nur Spiele, sie sind Plattformen auf die immer neue DLCs draufgepackt werden. Wenn so eine Plattform einmal gut läuft, dann geht die Wertschöpfung über Jahre. Das heißt umgekehrt aber auch, dass Flops wie Imperator Rome umso schwerer wiegen. 

Europa Universalis IV — Erscheinungsjahr: 2013 — Metascore: 87 — DLCs: 18 — Preis Empire Bundle: 312,92 Euro (im Angebot)

Immer wieder wird auch darüber spekuliert, dass Paradox aus dem DLC-Geschäft ein Abo-Modell machen, eine Art Adobe Creative Cloud für Strategiespieleliebhaber*innen also. Ein solches Angebot gibt es heute bereits für Europa Universalis 4, doch man könnte das Ganze erweitern. Für einen Fünfer im Monat bekämen Spieler*innen Zugriff auf alle Paradox-Spiele und wichtiger: Auf alle Paradox DLCs. Die Umstellung hin zu Subscription-Modellen ist global gesehen vermutlich der erfolgreichste Wirtschaftstrend der letzten Jahre. Adobe macht es, Microsoft macht es und vor allem: WASTED macht es auch. Den Plattformgedanken mit einem Abo-Modell zu koppeln könnte sich möglicherweise auch für Paradox Interactive auszahlen.

2. Verbesserte Zugänglichkeit

Crucader Kings 2 war fummeliger als ein Fahrradschloss, doch mit Mit Crusader Kings 3 ist Paradox etwas Erstaunliches gelungen: Die Usability von Crusader Kings wurde verbessert und zwar gleich so sehr, dass man das Spiel spielen kann, ohne vorher erst ein halbes Jahr auf der YouTube-Uni Tutorials pauken zu müssen. Es reichen wenige Tage. Wenn das mit Crusader Kings funktioniert, dann geht das vielleicht auch mit Europa Universalis, Hearts of Iron oder Victoria 3. Vielleicht hat Paradox also einen Weg gefunden, auch Nicht-Hardcore-Spieler*innen für die eigenen Hardcore-Spielen zu begeistern. Möglicherweise lassen sich die Spiele sogar leichter für andere Plattformen als den PC umsetzen. So erscheint Crusader Kings 3 bald für die Konsolen und auch auf dem Steam Deck könnten neue Teile der Paradox-Strategiespiele gut spielbar sein.

Crusader Kings 3 ist ein komplexes Grand Strategy Game, dass aber weit weniger fummelig ist, als sein Vorgänger

3. Die Vampire-Lizenz

2015 hat Paradox den Pen-&-Paper-Rollenspielverlag White Wolf Publishing übernommen und ist seither in Besitz der Vampire-Lizenz. Sollte Paradox mit Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 doch noch irgendwie die Kurve bekommen, dann wäre die Lizenz vermutlich Gold wert.

Man glaubt ja auch gar nicht, wie gut Vampire: The Masquerade – Bloodlines war. Christian Alt nominiert in Last Game Standing zwar in der Regel Quatsch, aber dass er für die neueste Staffel Vampire: The Masquerade – Bloodlines gepickt hat, war ein schlauer Schachzug. Auch wenn der Nachfolger nur zu, sagen wir mal, 72% so gut ist wie der Vorgänger, gehört es zu den zehn besten Rollenspielen der Dekade und könnte das Franchise neu begründen.

4. Victoria 3

Victoria gilt als „kleine“ Paradox-Hauptmarke. Aber ich persönlich glaube, dass Victoria 3 richtig geil wird. Ich denke, die Spielewelt wartet nur auf einen Gesellschaftssimulator, in dem man mit Kommunismus, Liberalismus und Faschismus herumexperimentieren kann. Ich sage: Victoria 3 wird sehr viel erfolgreicher werden als vielen denken. Und wer weiß? Vielleicht überrascht uns Paradox ja doch noch. 15 Spiele sollen in Entwicklung sein, darin enthalten sind auch diverse Konsolen-Portierungen. Aber möglicherweise findet sich ja auch ein neues Cities: Skylines darunter oder etwas, das niemand auf dem Zettel hat, zum Beispiel eine Art Tolkien-Stellaris, sprich: ein echtes Grand-Strategy-Game mit Fantasy-Szenario.

Was spricht gegen Paradox?

Nun ja: Ich. Was Investments angeht, so bin ich ähnlich erfolgreich wie Nauru, ein kleiner Inselstaat im Südpazifik.

Korallenriff auf Nauru im Südpazifik: Die kleinste Republik der Welt war mal der nach Pro-Kopf-Einkommen reichste Staat der Welt. Unglückliche Investitionen ließen das Land auf das Niveau eines Entwicklungslandes zurückfallen. 

Ich halte Paradox-Aktien und neige deswegen dazu, mich in übertrieben positive Szenarien hineinzuzufantasieren, die jeglicher Grundlage entbehren. Natürlich wünsche ich mir, dass die Aktie irgendwann wieder da steht, wo sie mal war (und wo ich Depp mal schön hätte verkaufen sollen). Es kann sein, dass Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 nie fertig wird oder krass floppt. Es kann sein, dass ich der Einzige bin, der mit Kommunismus, Liberalismus und Faschismus herumexperimentieren will und Victoria 3 krass floppt. Es kann sein, dass niemand Paradox-Spiele auf Konsolen spielen möchte oder es gar kein Publikum für Hardcore-Strategiespiele gibt außerhalb der Hardcore-Strategiespieler*innenblase, sodass auch alles andere krass floppt. Es ist auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Paradox Tinto weiterhin in der warmen Mittelmeer-Sonne Rotwein trinkt, anstatt so vernünftig zu sein, das Zelt einfach auf den isländischen Westmänner-Inseln aufzuschlagen, um tagein tagaus in verlassenen Blockhütten DLCs zusammenzubauen und vielleicht mal einen Fisch zu fangen. Und es kann sein, dass die neue Strategie unter Fredrik Wester dem Unternehmen mehr schadet als hilft, weil die Firma nur noch im eigenen Saft schmort, nichts wagt und so auch nichts gewinnt. Vielleicht wird das alles passieren, vielleicht stürzen die Aktien ab und vielleicht solltet Ihr deswegen Eure Altersvorsorge eher nicht in Paradox-Aktien pumpen, sondern auf ein schönes Häuschen in Sitges sparen. Aber egal wie es ausgeht: Das wichtigste ist sowieso, dass der Kauf eines Paradox-Spiels weiterhin eine gute Investition bleibt.

So, und jetzt?

Ich weiß, was ihr jetzt denkt: Schiffer, ernsthaft jetzt? Das war’s?! Ich habe mir diesen ganzen Riemen durchgelesen, nur um am Ende zu erfahren, dass ich vielleicht meine Altersvorsorge in Paradox-Aktien pumpen sollte, vielleicht aber auch nicht und hinten raus mit ein paar schalen Gags abgespeist zu werden? Ruhig, Brauner! Nach der Vorstellung der Paradox-Quartalszahlen im Mai 2021 sagt Ebba „we can do better“. Und genau dasselbe kann man über diese Analyse sagen. Wir sind hier noch nicht fertig.

Auf nach Sitges!

Im Dezember 2021 mache ich ein paar Tage Urlaub in Barcelona und wie ich da so vor einem großen Teller Calamares à la Romana sitze, denke ich mir, dass es ja wohl geradezu grotesk wäre, jetzt nicht umgehend nach Sitges zu fahren und Paradox Tinto zu besuchen. Ich will wissen, was das Studio selbst zu dem Desaster rund um den Leviathan-DLC sagt. Ich will ein Stück Paradox begutachten, um daraus Schlüsse zu ziehen für das große Ganze. Und wer weiß, vielleicht lande ich ja einen kleinen Scoop und irgendwer verplappert sich und plaudert aus, dass Stellaris 2 in der Mache ist.

Der Strand von Sitges. Aber hier leben? Ja, bitte!

Erstaunlich schnell gibt man mir einen Termin und schon sitze ich im Zug und fahre in die 30.000-Einwohner-Stadt, wo es Mitte Dezember fast 20 Grad warm ist. Sitges ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe: Kleine Cafés, große Palmen, schöne Häuser, schöne Menschen. Paradox Tinto sitzt in einem pitoresquen Gebäude, das man vielleicht sogar als Villa bezeichnen darf. Ich drücke auf die Klingel und Studiochef Johan Andersson öffnet mir persönlich.

Johan Andersson ist eine Paradox-Legende. Als Kind begeistert sich der Schwede für Karten und Geschichte, als Teenager spielt er begeistert Pirates! und ist umso mehr enttäuscht, als er in den Programmcode lugt und feststellen muss, dass das Spiel trickst und einem Zufallsbegegnungen vorsetzt. Anderssons Spiele sollen anders sein, hier soll man das Gefühl haben, wirklich Teil einer glaubwürdigen Welt zu sein, die bis ins kleinste Detail simuliert ist. Genau das liebe ich an Paradox-Spielen. In Citys Skylines wird jedes Auto und jeder Bürger simuliert und nicht geschummelt, wie beispielsweise bei SimCity. Und in Crusader Kings 3 wird genau und nachvollziehbar berechnet, warum die Schwippschwägerin des Hofkapellmeisters eines georgischen Fürsten Beef mit dem Geliebten des königlichen Stallmeisters hat.

Zunächst arbeitet Andersson an Arcade-Spielen, aber 1998 kann er endlich seiner Leidenschaft für Strategiespiele nachgehen. Er heuert bei Target an, einer schwedischen Firma, die vor allem Tabletop-Spiele macht und deren Videospiel-Abteilung an Paradox verkauft wird. Dort erschafft er das Ur-Europa-Universalis, welches im Jahr 2000 erscheint. In all den Jahren ist der 47-jährige an so ziemlich jedem wichtigen Paradox-Spiel beteiligt, darunter an Hearts of Iron 3, an Crusader Kings 2 und an Stellaris.

Der Paradox-Tinto-Fitness-Palast

Darum zog es Paradox ans Mittelmeer

Johan Anderson ist ein sehr netter Mann, Typus: Gemütlicher Nerd. Er zeigt mir das Haus, den Garten, in dem Sommer gegrillt wird und den Balkon, von dem aus man das Mittelmeer sieht. In den Räumen arbeiten junge Leute, viele Spanier*innen, aber auch eine Luxemburgerin, ein Schwede, ein Engländer. Meine Mutter ist Spanierin, sie kommt aus dem verregneten Asturien im Norden des Landes. Ich nutze deswegen die Gelegenheit, um mich mit den Paradox-Mitarbeiter*innen über die akkurate Darstellung asturischer Gebirgsketten in Crusader Kings 2 auszutauschen.

Johan Andersson

Das Gespräch mit Johan Andersson findet in der Kaffeeküche statt, er hat sich vorbereitet und mich vorher gegoogelt. Natürlich möchte ich wissen, warum man hier in Sitges ein Studio aufgemacht hat. Das habe damit zu tun, dass es im Winter in Schweden dunkel und kalt sei und seine Frau in Spanien gelebt hätte und dahin zurück wollte. Ein weiterer Grund: Die Mieten in Stockholm seinen immens hoch und das mache es schwierig gutes Personal zu bekommen. Briten und Osteuropäer könne man vielleicht noch in den kalten und teuren Norden locken, bei Menschen aus dem Süden Europas sei das aber schon schwieriger. „Ich möchte außerdem zu Fuß ins Büro gehen können“, erzählt Andersson, deswegen habe man sich gegen Barcelona entschieden, sondern für ein eine kleine Stadt. „Es mag ja Leute geben, die große Städte mögen und gerne am Wochenende in den Club gehen und shoppen, aber für mich ist das nichts“. Wie gesagt, Typus: Gemütlicher Nerd. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie Johan Andersson morgens gemächlich zur Arbeit schlendert, sich unterwegs Chocolate con Churros gönnt und dabei über das Versorgunglimit der bosnischen Region Hum nachgrübelt und darüber sinniert, ob man nochmal am Handelseinfluss der Bretagne schrauben sollte. Und so langsam dämmert mir, dass Sitges vielleicht doch gar kein so schlechter Ort ist, um über Strategiespiele zu brüten.

Die spanische Tragödie

Vor allem aber die Tatsache, dass es in Spanien qualifizierte Arbeitskräfte gibt, scheint Paradox dazu bewogen zu haben, hier die Zelte aufzuschlagen. Und damit sind sie nicht die einzigen: Spanien erlebt gerade einen kleinen Computespieleentwicklungs-Boom. Das Gothic-Remake entsteht gerade in Barcelona, das hochgelobte Metroid Dread wurde in Madrid entwickelt. Vermutlich profitieren die Unternehmen auch von einer großen Tragödie des Landes. Denn die jungen Leute, die an den Spielen arbeiten, sind Teil der Generation, die unter der großen Wirtschaftskrise gelitten hat. Ausgehend von der globalen Wirtschaftskrise 2008 brach in den Zehnerjahren der spanische Immobilienmarkt zusammen und dann auch der Arbeitsmarkt. Eigentlich sollten es die jungen Leute besser haben als ihre Eltern und Großeltern, die noch unter der Franco-Diktatur aufgewachsen waren oder als Arbeitsmigranten, so wie meine Mutter, in andere Länder auswandern mussten. Doch obwohl genau diese Generation die am besten ausgebildete Generation in der Geschichte des Landes war, gab es nun kaum Perspektiven. 2011 habe ich von der „spanischen Revolution“ berichtet, als junge Spanier*innen zentrale Plätze besetzen und ich kann mich noch gut an diese Mischung aus Frust und Wut erinnern, die mir dort begegnete. Anfang 2015 war die Arbeitslosenquote mit 23,7% die zweithöchste innerhalb der Europäischen Union. Das alles hallt bis heute nach. In der Popkultur, beispielsweise in der Serie „Haus des Geldes“, aber auch in den Köpfen vor allem junge Spaniere*innen.

„Oh Gott, wie soll ich das erklären, ohne Leute unter den Bus zu werfen?“

Johan Andersson

Viele junge Spanier*innen sind also exzellent ausgebildet und zudem hoch motiviert, und diesen Eindruck gewinne ich auch bei Paradox vor Ort. Umso härter traf sie das vernichtende Feedback zum Leviathan-DLC zu Europa Universalis. Im Netz fehlt es dann auch nicht an Kommentaren, die meinten eine irgendwie gearteten „südländischen Mentalität“ sei der Grund für das Desaster. „Um ehrlich zu sein, das ist nichts anderes als Rassismus“, sagt dazu Johan Andersson – und er hat recht.

Auch weil die Geschichte des DLC-Desasters sehr viel komplizierter ist. „Oh Gott, wie soll ich das erklären, ohne Leute unter den Bus zu werfen“, setzt Andersson an und erzählt, dass das Stockholmer Studio mit der Entwicklung von Leviathan begonnen hatte. Das, was dann laut Andersson passiert ist, ist folgendes: Paradox Stockholm übergibt das Projekt an Paradox Tinto in einem recht rohen Zustand und vor allem: Ohne die notwendigen Informationen, um das Ganze vernünftig fertig zu machen. So fehlen zum Release des DLCs Grafiken bei bestimmten Missionsbäumen, weil man Paradox Tinto gar nicht gesagt hat, dass es diese Missionsbäume überhaupt gibt.

Erschwerend kommt hinzu, dass während der Übergabe bei Paradox Tinto noch dabei ist das Studio aufzubauen und Leute einzulernen. Wir erinnern uns: Europa Universalis IV ist komplizierter als ein kleinteiliger Verbrennungsmotor, Schichten an Programm-Erweiterungen liegen übereinander, sind ineinander verkantet und verknotet, man kann da nicht einfach mal so rumfummeln, ohne zu wissen, was man tut. Jemandem aber all die Details näher zu bringen, noch dazu, wenn ein großer Teil Pandemie-bedingt vom Home Office aus arbeitet, ist nicht ganz einfach. Und so dauert es einfach zu lang, bis Paradox Tinto richtig rund läuft. Und da Andersson aufgrund der schlechten Übergabe nicht erahnt, wie groß die Probleme des Leviathan DLCs wirklich sind, nimmt das Unheil seinen Lauf.

Europa Universalis V kommt

Von einem schlechten DLC kann man sich erholen, von einem schlechten Spiel nicht“, sagt Andersson. Und tatsächlich schafft es Paradox Tinto, die größten Fehler auszubügeln. Der DLC hat sich insgesamt sogar gut verkauft und wird gespielt und das ist es, was unterm Strich zählt, findet der Chef von Paradox Tinto. Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass es Anderson langsam reicht mit Europa Universalis IV. Zumindest antwortet er auf keine Frage so schnell wie auf die, ob er nicht Lust hätte Europa Universalis V zu machen. Ja, hätte er. Und? Kommt es? Ja, natürlich! Und wann? Das könne er leider nicht sagen. Aber Europa Universalis 5 soll genauso so zugänglich werden, wie Crusader Kings 3 und dem ganzen Franchise neue Spieler*innen zuführen. Achja, seine Paradox-Aktien wird Johan Andersson übrigens nicht verkaufen, er glaubt, dass alle Probleme des Unternehmens lösbar sind und Victora 3 „totally kick-ass“ werden wird.

Und ich glaube das auch. Paradox ist ein Unternehmen, das ordentlich durchgeschüttelt wurde und sich gerade neu sortiert. Ein Unternehmen, das im Markt gut positioniert ist und Spiele macht, die andere nicht einfach mal so nachbauen können. Ein Unternehmen, das vielleicht zu viel wollte und sich nun auf seine Stärken besinnt. Die Paradox-Aktie ist nichts für Zocker, sondern für Leute, die an den Spruch des Börsenaltmeister André Kostolany glauben: „Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten“. Vermutlich gilt bei Paradox-Aktien am Ende das Gleiche wie bei Paradox-Spielen: Geduld zahlt sich aus.

Offenlegung: Der Autor hält Paradox-Aktien. Die in diesem Text besprochenen Aktien und Fonds stellen keine spezifischen Kauf – oder Anlageempfehlungen dar. Der Autor oder der Verlag haften nicht für etwaige Verluste, die aufgrund Umsetzung der Gedanken oder Ideen entstehen.

50 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Fabu Fabu says:

    Heidi Klum Wow GIF by Lifetime

  2. Ich glaube, hier brauchen wir sicher keinen Köhler-Entscheid :rofl:

    Ansonsten: Super Artikel, der sich richtig gut liest :+1:

    Bin jetzt echt am Überlegen, ob ich nicht doch ein bisschen in Paradox investieren sollte.

  3. Ach übrigens: Paradox hat im letzten Monat 20 Prozent zugelegt :wink:

  4. Avatar for lnhh lnhh says:

    Selbst mit dem Kurs von 17 hat Paradox einen kgv > 30. Gilt per Daumenregel also bereits als ziemlich teuer.

    Sony hat im Vergleich ~14 oder so.
    Nvidia ~ 45 oder so.

    Unter 12 ists „guenstig“.

    Aber mei, was sagt das schon aus :joy::crazy_face:

  5. Ich achte nur bei Value-Aktien auf das KGV, Paradox würde ich aber zu Growth zählen. Und bei Spiele-Aktien hat man auch generell das Problmen, dass das KGV sehr schwanken kann, je nachdem, ob ein Release ansteht oder eben nicht. Klar, ist bei Paradox nur bedingt der Fall, weil die eher konstante Einnahmen haben, aber trotzdem.

  6. Avatar for lnhh lnhh says:

    Vollkommen korrekt. Am Ende ists eh zum grossen Grad irgendwie Glaskugel.

    Zum Artikel. Super! Hab ihn extrem gerne gelesen. Besonders deine kleinen Lokalkoloriteinwuerfe sind super.

    Kommt zu Gothic auch etwas?

  7. Danke, das freu mich sehr!

    Ja, zu Gothic kommt auch etwas, die hatte ich am Tage vorher besucht. Ich spiele mit dem Gedanken ein kleines Hörfeature zu machen. Mal sehen, wann ich dazu komme…

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