Windjammers 2: Japanisch-französisches Actiontennis

Da können sich andere Sportspiele eine Scheibe von abschneiden...

In einer kleinen, süßen Nerdnische ist das NeoGeo-Sportspiel Windjammers ein großer Klassiker. Über 25 Jahre nach dem Release des japanischen Originals hat ein französisches Studio einen Nachfolger entwickelt. Und der geht richtig ab!

Keine falsche Bescheidenheit: Das Sportspiel Windjammers 2, welches am 20. Januar in den Digitalstores aufschlägt, steht am (vorläufigen) Endpunkt einer großen Tradition: 1958 war Tennis for Two eines der ersten digitalen Spiele überhaupt. 1972 wirkte Ataris Pong wie ein Urknall für das kommerzielle Videogame. 1994 brachte Data East mit Windjammers ein unverwüstlich-simples, unverschämt-spaßiges Frisbee-Tennis fürs NeoGeo heraus, das sich eine bis heute treue Fangemeinde erspielt hat. 1999 hat dann noch Sega die Tennis-(R)evolution Virtua Tennis veröffentlicht – ein Spiel, bei dem der Autor dieses Artikel tatsächlich glaubt, zur absoluten Weltspitze zu zählen. Aber das ist nun wirklich eine Nebensache, die hier nichts verloren hat…

Echt jetzt, Tennis?!

Windjammers 2 Sport

Plattformen
PC, PS4, Xbox One
Release
20.01.2022
Entwickler
DotEmu
Publisher
DotEmu
USK
ab 0
Links
windjammers2.com

Sportspiel-Muffel verdrehen beim Anblick einer digitalen Tennis-, Squash- oder Tischtennis-Partie schon nach rekordverdächtigen drei Sekunden die Augen, bis das blanke Weiß erscheint. Nichts in der Welt könnte langweiliger sein als zwei Pixelhaufen, die einen Pixelball unermüdlich hin- und herdreschen. Je nach konkretem Spielprinzip mal über Bande, mal ohne Auslinien, mal mit Auffangen, mal mit Special Moves – aber doch immer so entsetzlich banal und repetitiv. Und doch ist, ihr nörgelnden Dullis, ein Tennisspiel bei mir einer der ganzen heißen Kandidaten für das Mitbringsel auf der berühmten einsamen Insel. Weil es durch seine Einfachheit und das klare Regelkorsett die ganze Essenz des digitalen Kräftemessens einfängt und in ein – Vorsicht, Binse – leicht zu erlernendes, aber schwer zu meisterndes Spielprinzip gießt. Aktion, Reaktion. Antizipieren, erlaufen, zurückschießen/-schlagen. Mit denselben Waffen kämpfen und durch feinste Nuancen im Reaktionstempo, im Vor- und Zurücklaufen, im Nutzen der Schlagvarianten, im Zielen des Balles sein Gegenüber dominieren, in die Defensive zwingen und schließlich niederringen. Zur Not natürlich auch mit Beckerhecht.

Die Disk fliegt über den blauen Court – schlägt sie hinten in den gelben oder roten Bereichen ein, winken unterschiedlich viele Punkte.

All das macht schon beim Aufschreiben Lust aufs nächste virtuelle Match – und es ist in seiner ganzen Schönheit in Windjammers 2 enthalten. Wie im Vorgänger stehen sich zwei Duellierende auf einem rechteckigen, Tenniscourt-ähnlichen Feld gegenüber, das in der Mitte von einem Netz geteilt wird. Ziel des Spiels: Eine Frisbee so elegant, hart oder geschickt werfen, dass der Widersacher sie nicht erreichen kann – die Plastikscheibe schlägt dann auf der Grundlinie ein und je nach Zielregion wandern unterschiedlich viele Punkte aufs Konto, die euch den 15 Zählern und damit dem Satzgewinn näherbringen. Die Sportler*innen laufen, hechten, fangen, werfen zurück. Je nach Intensität des „Ballwechsels“, der Powerleiste und euren Skills am Stick entstehen wilde Zickzack-Abpraller, harte Würfe die Linie entlang, trickreiche Specialmoves, elegante Lobs oder fiese Stops.

Wer die Disk nicht bloß fängt, sondern exakt beim Erreichen der eigenen Spielfigur das Knöpfchen betätigt, der flippt die Scheibe hoch in die Luft, kann Power aufladen und, das ist neu in Windjammers 2, sogar einen Smash ausführen. Besonders Anfänger haben Probleme, damit Punkte zu erzielen, cool sieht das Manöver aber schon aus. Ebenfalls neu im Portfolio ist der Slap, das Zurückpatschen der Disk ohne sie vorher zu fangen: So ein Manöver ist risikoreich, weil man auf das einfachere Hinrutschen und Fangen verzichtet, dafür bringt es noch mehr Tempo ins Spiel und verhindert, dass sich ein Gegner sich wieder in eine gute Position bringen kann.

Pixel sind passé

Von wegen langweilig, oder? Windjammers 2, das aber gut und gerne ein ordentliches Tutorial hätte vertragen können (statt der schnöden Durchklick-Anleitung) ist im Kern so simpel wie das puristische Original und fühlt sich ebenso akkurat und befriedigend an. Es fesselt mich durch die hinzugewonnene Spieltiefe aber deutlich länger an die Konsole! Ich mag auch den neuen Comic-Look anstelle der bunten Pixel, feiere die lässigen Charakterporträts und freue mich, dass neben den sechs Original-Athlet*innen vier frische Disksportler*innen am Start sind.

Quantitätsmatrix

Die Hintergründe sind schrill und arcadig, erinnern mit coolen Animationen an frühe King-of-Fighters-Stages, bieten aber stets genug Ruhe, um den Fokus nicht von der Action abzulenken. Ein paar Felder fahren Gimmicks auf, z. B. Abprall-Hindernisse am Netz oder zufällige ausgewürfelte Punkte auf dem Casino-Court, mir persönlich sind die schlichten Areale aber die liebsten. Die „Gewonnen“- oder „Raketenwurf“-Sprachsamples des deutschen Hünen Klaus Wessel sind kultig, die zwei Mini-Games im Arcade-Modus dagegen recht langweilig und, anders als im 2017er Remaster des Originals, nicht im Menü einzeln anwählbar: DotEmu hat das Hunde-Frisbee-Spiel wiederbelebt, ersetzt das launige Bowling aber durch eine lahme Diskwurfmaschine.

Sprung und Smash: Das ist in Windjammers 2 möglich, euer Charaktersprite erscheint dann kurz deutlich vergrößert.
Der Einsatz von Specialmoves wird auch optisch anständig in Szene gesetzt.

Doch das sind nur Lappalien auf dem Weg zu einem neuen Klassiker. Ich hoffe, dass der flüssig laufende Online-Part auf Dauer viele Windjammerlappen anlocken kann, denn ich würde wirklich gerne, auch nach dieser spaßigen Testphase, weiterhin an meinen Skills arbeiten. Wer noch nicht ganz überzeugt ist, dem empfehle ich die charmante Making-of-Doku „An Arcade Legacy in 2022“, die nicht nur die glühende Leidenschaft von DotEmu gut einfängt, sondern auch die japanischen Originalentwickler vorstellt, ehrt und zu Wort kommen lässt.

Fazit

Punkte: 85

Matthias Schmid

Liebt junge & alte, pixelige & bombastische Videospiele, seine zwei Katzen und koffeinhaltige Brausen.

Ich mochte das 1994er Original immer schon, war aber nie ein großer Könner oder extremer Fan. Umso erfreuter bin ich, dass mich Teil 2 richtig kickt. Man merkt den französischen Entwicklern von DotEmu an, dass sie brutal viel Herzblut in das Projekt gegossen haben – und dass sie den Reiz von Windjammers verstanden haben. Und obwohl ich ein riesiger Pixelfan bin, mag ich die neue Optik sehr – gerade die trashig-coolen Charis versprühen Charme ohne Ende. Gäbe es jetzt noch einen echten Story-Modus mit mehr Inhalten für Solo-Spieler*innen, dann wäre ich wunschlos glücklich.

Windjammers 2

Frisbee-Tennis mit lässigem Design und erstklassiger Spielbarkeit

Höhe in Disketten
1,14 m
Spieltiefe
33 bar
Ist das noch Indie?
64%
Gewalt
0,01 Doom
Eleganz
8
Metascore-Abweichung
+8

26 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Fabu Fabu says:

    Wie der Zufall es will, habe ich einen Steamcode für Windjammers 2 übrig.

    Patreonen, die hier heute im Kommentarbereich aufschlagen, nehmen automatisch an der Verlosung teil. Der Würfel fällt um 23:59 Uhr. Der Rechtsweg ist wegen einer Baustelle gesperrt.

  2. Avatar for lnhh lnhh says:

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  3. Tennis, ich liebe Tennis. Es hat sowas apokalyptisches ansich

  4. Du sprichst mir aus der Seele! Neulich hat @christianschiffer mal frecherweise behauptet, das Rollenspiel sei das „Königsgenre“ unter den Spielen. Das ist natürlich riesiger Unsinn: Tennis ist nicht nur der doppelte Urvater aller Video- und Computerspiele es ist natürlich auch das absolute Königsgenre! Außerdem gibt es auf der Welt nicht befriedigenderes, als einen Ball über die Maschen zu dreschen (also außer ihn IN die Maschen zu dreschen, aber ok …).

    Mein Lieblingstennis ist immer noch Final Match Tennis für die PC Engine (inklusive der Damentennisversion) und ich bedauere nichts so sehr, wie den Niedergang des Tennisspiels als AAA-Genre. Seit mittlerweile 2011 (wo mit Virtua Tennis 4, Top Spin 4 und Grand Slam Tennis 2 immerhin noch drei Tennisspiele von großen Herstellern erschienen) herrscht totale Flaute auf dem Gebiet. Und die neue Konsolengeneration ist bereits die zweite Generation ohne ein anständiges Tennisspiel!

  5. ich habe sehr viel Top Spin 4 gespielt in meinem Leben, ich halte das nicht nur für das beste Tennisspiel, sondern für eins der besten Sportspiele aller Zeiten.

    Die präsentation des Spiels, der Sound und auch das Spielgefühl suchte seines Gleichen.
    Dass es momentan noch immer keinen ordentlichen Nachfolger gibt ist echt ein Skandal.

  6. Und, sehr wichtig: Bei Top Spin 4 kann ich zwischen verschiedenen und ikonischen Stirnbändern wählen!

    Was dem FIFA-FUT-Nerd seine kreischpinken Fußballschuhe, ist dem Tennispieler sein Stirnband. Oder so …

    image

  7. ich hatte bzw. einen saugeilen Charakter in Top Spin.

    „Bum Bum Bobbele“, und er sah echt aus wie ein Boris Beckerlein.

    Von den klassischen Tennisspielen am Amiga spielte ich sehr gerne Tie Break.
    Das hatte auch ein super Spielgefühl

  8. Avatar for Fabu Fabu says:

    Verdammt, jetzt möchte ich ein Tennisturnier mit euch austragen.

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