Michael Förtsch sprach vor wenigen Tagen mit Oleg Yavorsky, einem Developer des ukrainischen Studios Vostok Games, über das Leben und Arbeiten unter einer Bedrohungssituation.
Nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung des Textes, ist aus der Bedrohungssituation ein Krieg geworden. Russische Truppen sind bis in den Großraum Kiew vorgedrungen und nehmen das Land unter Beschuss. Die Ereignisse haben den Inhalt des Textes überholt. Wir haben uns heute dazu entschlossen, ihn aber wie ursprünglich geplant zu veröffentlichen, weil wir der Perspektive ukrainischer Entwickler*innen eine Stimme geben möchten. Insbesondere der letzte Satz verdient es, Gehör zu finden.
Es droht Krieg in Europa. Russland sammelt seine Truppe an der Grenze der Ostukraine. Die Games-Entwickler im Land bleiben ruhig und arbeiten weiter – aber hoffen auch, dass die Welt beobachtet, was geschieht.
Die Lage ist beängstigend. Über mehrere Wochen hinweg hat Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine auffahren lassen. Soldaten, Panzer, Raketenwerfer und anderes Militärgerät stehen bereit. Wladimir Putin hat in einer Rede die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk auf dem Staatsgebiet der Ukraine anerkannt. Es ist eine Verletzung des Völkerrechts, ein Akt der Aggression gegenüber dem seit 1991 unabhängigen Staat, ein Schlag gegen seine Souveränität und, wie zu befürchten ist, der Vorwand für eine bevorstehende Invasion. Es droht ein Krieg in Europa.
Wo die Ukraine eigentlich liegt, das hätten viele bisher wohl nicht auf einer Karte ausmachen können. Dennoch ist vor allem vielen Gamer*innen die Ukraine durchaus ein Begriff. Das bereits 2014 nach Malta umgezogene Studio 4A Games, die Macher der Metro-Saga, wurden dort gegründet. Das wiedergegründete Studio GSC Game World arbeitet in einem Büro an der Vatslava-Havela-Straße in Kiew derzeit an Stalker 2: Heart of Chernobyl. Dazu kommen mehrere Indie-Entwickler und sogenannte Outsourcing-Studios, die meist großen Entwicklern und Publishern in Europa, den USA und Kanada bei AAA-Titeln zuarbeiten.
In Kiew arbeitet auch Oleg Yavorsky vom Fear-The-Wolves-Studio Vostok Games mit dem ich über die vergangenen Jahre immer wieder mal Kontakt hatte. Ich hatte ein langes Gespräch mit ihm als ich vor Jahren über die Entstehungsgeschichte von Stalker schrieb. Denn er war Teil des ursprünglichen Teams. Und ich tauschte mich mit ihm aus, als ich an Artikeln über das geistige Erbe des Tschernobyl-Shooters, dessen einstige Macher und die osteuropäische Games-Branche arbeitete. Daher machte ich mir Sorgen – und fragte, wie es ihm und seinen Kollegen geht und wie sie sich auf eine mögliche Invasion vorbereiten.
„Uns geht’s gut“, sagte er mir zunächst. Die Situation an der Grenze sei angespannt und durchaus besorgniserregend. Aber zumindest in Kiew sei die Lage „stabil“. Es gäbe keine Panik und kein Chaos auf den Straßen. Aggressionen durch Russland wären schließlich nichts neues. Seit 2014 leben die Ukrainer in einer dauerhaften Bedrohungssituation. „Ums mal so zu sagen: Ich fürchte, wir haben uns bereits daran gewöhnt, mit dieser brodelnden Gefahr zu leben“, meint Oleg Yavorsky. Viele würden sich darum bemühen, eine Alltäglichkeit zu bewahren und nicht zur Anspannung beizutragen. Angst und Panik helfen schließlich niemandem.
„Wir ermutigen uns selbst und unser Team, uns auf die Arbeit zu konzentrieren und uns nicht um Dinge zu sorgen, die wir eh nicht beeinflussen können“, sagt Oleg. Auch andere Studios und befreundete Entwickler aus der Games- und Tech-Branche der Ukraine würden einen ähnlichen Kurs fahren. „Wir sprechen und chatten mit ihnen. Sie machen mit ihrem normalen Tagesgeschäft weiter“, führt Oleg aus. Ganz normal sei die Lage natürlich nicht. Manche Entwickler wären im Home Office bei der Familie und „viele Firmen, auch wir, haben Konzepte für einen Ernstfall ausgearbeitet.“ Es gäbe Evaluierungspläne und Orte, um Freunde und Familie in Sicherheit zu bringen, „falls es schlimm wird.“
Dass der Ernstfall eintritt, wie auch immer er aussehen mag, hält Oleg derzeit für unwahrscheinlich. „Wir hoffen, dass die zivilisierte Welt genug Druck auf Russland ausübt, um ihre kriminellen Absichten zu stoppen“, sagt er. Und falls es doch ernst wird: „Wir wissen, dass unsere Armee an der Grenze ist. Sie ist gut bewaffnet – auch dank unserer westlichen Freunde und Partner“, sagt er zuversichtlich. „Und [unsere Armee] ist bereit, unser Land und den Frieden in Europa zu verteidigen.“
Laut Oleg Yavorsky sei es wichtig, dass die Welt sieht und hört, was derzeit an der Grenze der Ukraine passiert. Viel zu lange habe das keiner beachtet. Es sei wichtig, dass Menschen überall auf der Welt „informiert und alarmiert bleiben“ und verfolgen, was aktuell geschieht. Aber nicht nur das: Was ebenso wichtig sei, ist „dass eure Regierung die Lage versteht und etwas unternimmt. Einfach reden und Sorge zu signalisieren, das funktioniert nicht mehr“, beteuert Oleg. Es müsse Russland klar gemacht werden, dass Aggressionen und Völkerrechtsbrüche nicht akzeptiert werden. „Nun, wir hoffen jetzt auf das Beste und eine friedliche Lösung“, sagt Oleg. „Der Krieg sollte da bleiben wo er hingehört, in den Videospielen.“
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Sehr traurig das heute zu lesen, aber auch danke für den grossartigen text
Gut, dass ihr den Text heute trotzdem bringt. Der Videospiel-Alltag schrumpft auf Erbsengröße, angesichts der aktuellen Ereignisse. Bitter, wie hilflos der Westen nach all dem Vorlauf zuschaut, wie das Land von 3 Seiten aus überfallen wird. Ganz, ganz, düster.
Kann nur Zustimmen: Danke für den Text!
Meiner Meinung nach genau das richtige für eine Spiele-Magazin: Komplett ignorieren ist doof, unpassende Plattitüden sind auch doof, aber ein Text der zeigt wie nah einem Ukraine und Ukrainer eigentlich sind, ist definitiv super.
Soll man was sagen… soll man nichts sagen… wie zeigt man solidarität ohne etwas zu sagen… es geht hier nicht um einen selbst… es geht um andere… wie unwichtig alles ist… videogames… naja…
Weiß auch nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Aber @KaFour hat es eigentlich schön auf den Punkt gebracht: mit der Verbindung zu ukrainischen Entwickler:innen haben auch wir in unseren, vermeintlich sicheren Längengeraden, die heute Abend entspannt den Controller in die Hand nehmen können, etwas zum nachdenken.
Es gibt gewisse Dinge, wie Gesundheit und eben Krieg, die relativieren alles andere ganz, ganz schnell. Ein ehemaliger Arbeitskollege und ich würde sagen entfernter Freund, ist mit einer Ukrainerin zusammen. Ihr geplanten Flug zu ihm nach Österreich, wäre heute Abend gegangen. Leider wurde der Flughafen angegriffen und jetzt sitzt sie fest in einem Kriegsgebiet. Und in solchen Momenten, wenn Menschen so was erzählen, kratze ich mich nur ratlos am Kopf, über was für einen Scheiß ich mich manchmal aufrege …
man liest zu Kriegen immer diese geopolitischen Analysen, diese Ideen die sich wenige Grossköpfe ausdenken, um die Welt zu ihren Gunsten zu drehen.
Erst durch solche Geschichten, wie hier in diesem Fall über Spieleentwickler, wird mir immer erst bewusst (bzw. fange ich an drüber nachzudenken) was Krieg für 99,9% der Bevölkerung bedeutet…
ich wünsche denen alles gute, ich weiss dass Stalker nicht das wichtigste auf der welt ist, aber wünsche ihnen, dass sie ihren Weg finden um das Spiel irgendwie fertigzuentwickeln. Auch wenn das , Stand momentan , Flucht bedeutet
Eben. Genau das. Der Text ist auch eher kurzfristig und ungeplant entstanden. Denn ich wollte ursprünglich nur wissen, wie es Oleg geht, da ich ihn über die vergangenen Jahre – trotz sporadischer und journalistischer Kontakte – doch gut kennengelernt habe.
Und ich habe seit der Invasion auch einige Male versucht, ihn zu erreichen, es aber leider nicht geschafft, weshalb ich mich derzeit etwas sorge. Soweit ich weiß, haben aber fast alle aus dem Studio geplant, mit ihren Familien die Stadt zu verlassen – und haben die Möglichkeit, bei Freuden und Bekannten im Ausland unterzukommen.
es ist echt so traurig.
Ich weiss nicht wie gross diees Team war, aber bis vor wenigen Wochen hatten die wohl nix anderes im Kopf als Stalker2 zu entwickeln. Beruflich gesehen…
bitte keinen Katastrophenjournalismus, aber falls du mal eine Statusmeldung hast, kannst du ja mal was hierlassen.
Ich habe ja Stalker nie gespielt, und entsprechend wenig Kenntinis über Spiel und Studio, aber haben die einen westlichen Publisher oder Partner, der bei dem ganzen mal helfen könnte?