Elex 2 ist technisch furchtbar, spielerisch eine Zumutung und erzählerisch die reinste Lachtablette. Zugleich ist das neue Werk von Piranha Bytes aber ein sehr, sehr geiles Spiel. Hier der Versuch, eines der größten ludologischen Mysterien unserer Zeit zu verstehen: Wie kann ein Spiel gut sein, obwohl es streng genommen ziemlich scheiße ist?
Angeblich haben die Macher*innen von Elex 2 kurz vor dem Schluss noch die Gesichtsanimationen verbessert, und das dürfte als eines der sinnlosesten Unterfangen in die jüngste Computerspielgeschichte eingehen. Bei Elex 2 die Gesichtsanimationen zu verbessern, muss sich in etwa so angefühlt haben, als wenn man versucht, Friedrich Merz von sozialer Politik zu überzeugen: Ja, klar, das man kann schon mal probieren, aber es ist ziemlich aussichtlos und auch ein bisschen süß irgendwie.
Die Gesichter in Elex 2 sehen so aus, als hätten die Gesichtsdesigner von Mass Effect: Andromeda eine zweite Chance bekommen, diesmal aber bei halbem Budget und doppeltem Drogenkonsum. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sind die Zwischensequenzen so hölzern, dass sie in Sachen Inszenierung sogar hinter denen aus, sagen wir mal, Wing Commander (1991) zurückbleiben.
Die Story? Uninteressanter als ein Glas Milch
Das könnte ziemlich egal sein, schließlich zählen bei digitalen Spiele ja bekanntlich die inneren Werte und da kann Elex 2 mit einer Story aufwarten, in der es um … ja, um was geht es eigentlich? Ohne auf Wikipedia zu spicken, würde ich vermuten, es geht um Außerirdische, die irgendeine Welt angreifen und wir müssen sie aufhalten, weil wir irgendwas anderes im ersten Teil aufgehalten haben. Diese konfuse Story-Matschepatsche ist jedenfalls uninteressanter, als ein sehr uninteressantes Glas Milch. Ich bin fast ein wenig beeindruckt, mit wie viel Leichtigkeit es Piranha Bytes gelingt, das ohnehin schon niedrige erzählerische Niveau von digitalen Spielen um einige Stufen auf der nach unten offenen „Horizon: Forbidden West“-Skala zu unterbieten.
In fast jeglicher Hinsicht eine Katastrophe
Hinzu kommt das an der Grenze zur Grenzdebilität entlang borderlinende Szenario, bei dem es sich im Wesentlichen erneut um den zusammengestöpselten Lore-Wolpertinger aus Fantasy, Science-Fiction und Diesel-Punk-Gedöns aus Teil 1 handelt. Das Kampfsystem wiederum ist so träge, wie ein mit deutschen Rentnern vollgepacktes Kreuzfahrtschiff. Und die Dialoge sind aufgrund ihres Ruhrpottcharmes so uncharmant und dumm, dass ich sie nur erwähne, damit in diesem Text wenigsten einmal das Wort „Ruhrpottcharme“ vorkommt — was bei Texten über Piranha Bytes ja seit zwei Jahrzehnten irgendwie Pflicht ist. Wie auch immer: Elex 2 ist in fast jeglicher Hinsicht eine Katastrophe, wie ich sie seit Elex 1 nicht mehr erlebt habe. Es ist ein Spiel, das mit allem bricht, was wir über gute Spiele zu wissen glauben.
Kartoffelpüree statt Molekularküche
Und trotzdem ist es ein gutes Spiel. Ein sehr gutes sogar. Ich habe seit Monaten nicht mehr so einen Spaß gehabt und ich bemitleide Open-World-Underdogs wie Horizon: Forbidden West, Dying Light 2 oder Elden Ring, die in zeitlicher Nähe zum Rollenspiel-Meisterwerk Elex 2 erscheinen mussten. Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt: Der Schiffer, der will nur wieder mal einen raushauen! Der macht immer einen auf ludologisches Mulekularküchen-Schlemmermaul, aber dann feiert er mit Elex 2 das Kartoffelpüree unter den Open-World-Rollenspielen ab! Das ist nicht ganz falsch. Denn in gewisser Weise ist Elex 2 wirklich spielgewordenes Kartoffelpüree: Elex 2 ist bodenständig, hält lange satt und es ist genau das, was man manchmal halt so braucht. Elex 2 ist das Slowfood unter den Computerspielen.
Die Entdeckung der Langsamkeit
Das beginnt damit, dass ich das Gefühl habe, dieses Kartoffelpüree sei wirklich hausgemacht. Hier stehen Björn und Jenny Pankratz halt noch selbst am Herd. Die Minen, die Pfade, die verwunschenen Lichtungen, die kaputten Fabrikanlagen, ja, die ganze Welt in Elex 2 sieht nicht generisch, sondern handgemacht aus. Wenn da irgendwo Loot rumliegt, dann weil ihn jemand dort hingelegt hat. Ohnehin die Welt! Es ist mir völlig schleierhaft, wie es das 33-Personen-Studio Piranha Bytes seit über zwei Jahrzehnten schafft, alle paar Jahre eine Spielewelt zu erschaffen, die mich so viel neugieriger macht, als alle anderen Computerspielwelten. Hier hetzte ich nicht durch, hier bleibe ich stehen, verweile, wundere mich kurz darüber, wie seltsam dieses Spiel doch ist und freue ich, wenn ich kurz darauf in einer überwucherten Waldhütte ein bisschen Elex aus einer Truhe fische.
Quantitätsmatrix
In Elex 2 ist die Welt mehr als nur Kulisse. Wenn ein NPC sagt, dass er mit seinem Boss sprechen muss, dann geht er zu seinem Boss und spricht mit ihm. Wenn ein NPC sagt, dass ich mit ihm irgendwo hinreisen soll, dann reise ich mit ihm irgendwo hin. Diese Reise fühlt sich wirklich lang an, so, wie sich eine Reise eben anfühlen sollte, damit es halt eine Reise ist. Und wenn ich in Elex 2 eine Mine betrete, dann ist das eine Mine und nicht nur ein Loch in einem Berg. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Elex, das Spiel mit der albernen Wolpertinger-Welt, diese Welt auf der Gameplay-Ebene so angenehm ernst nimmt.
Elex 2 kann eigentlich nichts – und das ist vollkommen egal
Und auch das Freiheitsversprechen der Open World nimmt Elex 2 ernst. Ich kann hingehen, wohin ich möchte, so wie das bei Open World eben sein sollte. Und abgesehen davon kann ich auch speichern, wann ich möchte, mit dem Jetpack rumfliegen, mich diversen Fraktionen anschließen, gefühlt drölfquadrillionen Fähigkeiten ausbauen, in das schlaue Rollenspielsystem hineinfuchsen oder ein „Billy Idol“-Konzert besuchen.
Fazit
Elex 2 ist scheiße und trotzdem gut, weil es sich auf das konzentriert, was es kann und das, was es kann, besser kann, als alle anderen Spiele. Elex 2 ist der technisch limitierte Stürmer, der aber aufgrund eines Torriechers eine Bude nach der anderen macht. Die inselbegabte Schülerin, die zwar eine Rechtschreibschwäche hat, aber in Mathe alle blamiert. Die Punkband, in der niemand ein Instrument beherrscht, die aber Songs produziert, zu denen man prima im örtlichen Jugendhaus mitgrölen kann.
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Das Coverbild wurde unter Angabe der Stichwörter „Elex“ und „Ruhrpott“ via KI generiert.
Nach dem Test Frage ich mich: ist elex 2 Nickelback?
Ziemliche scheiß Musik, räumten aber viele Preise ab und haben ziemlich viele CDs verkauft.
UFF. Computerbase ist mal so richtig begeistert von der Performance:
Oder, mit den Worten von Christian Schiffer: In fast jeglicher Hinsicht eine Katastrophe
Love it, habe so Bock. Freitag bis Sonntag Elex 2 Lan bei meinem Bruder. Hat zwar kein Mp und kein Coop, aber scheiss drauf - man kann trotzdem ueber das erlebte Quatschen.
Freue mich.
Und die Matrix ist wieder mal „Nagel auf den Kopf“.
Und vom genialen Cover braucht man gar nicht zu sprechen → koennte elex 2 so auf die Box drucken <3
Ich habe diesen Text kommen sehen. Ziemlich genau so. Piranha Bytes liefert seit Jahren halt genau das, was alle erwarten. Nicht mehr und nicht weniger.
Warum ist dieses Review eigentlich so gut?!
In
fastjeglicher Hinsicht eine irrsinnig gute UnterhaltungKlasse Text, besonders den Kartoffelbreivergleich fand ich grandios. Musste echt lachen, aber das es trifft es gut^^
Metascore-Abweichung +13, pahaha.