Fucking Hell. Alles ist erleuchtet. Als ich aus der Höhle heraustrete, sehe ich den gigantischen Baum von weitem. Er überragt alles. Ein Gewächs aus purem Licht, das mit seinen glühenden Ästen in den Himmel greift. Sonst sind sie doch immer furchtbar düster, seine Spiele. Ist das das Paradies? Nein, nur einer der neuen Kreise der Hölle. Willkommen in Miyazakis Inferno.
Seit Jahren entwirft Entwickler From Software diese teuflischen Programme, die wir nur noch „Souls“-Spiele nennen. „Demon’s Souls“, „Dark Souls“, „Bloodborne“, „Sekiro“ – und nun „Elden Ring“. Immer wieder das gleiche Third-Person-Action-Rollenspiel aus dem Kopf von Designer Hidetaka Miyazaki. Gleiches Schema, leichte bis mittlere Varianz in Setting und Ausgestaltung. Jedes von ihnen hat Millionen Spielerinnen und Spieler um den Verstand gebracht. Jedes von ihnen ist ein Meisterwerk. Und dieses Mal hat sogar „Game of Thrones“-Autor George R.R. Martin mitgeschrieben. Hui!
Immer wieder von vorne
Zurück zum Anfang. Brrrrrt. Vor dem großen Baum-Moment beginnt „Elden Ring“ mit einer Auferstehung. Wie immer. In einer kleinen Höhle (ohne Stein vor der Tür). Nachdem ich meinen Charakter erstellt habe (endlich sehen die Figuren nicht mehr nach Verkehrsunfall aus) und eine Klasse gewählt habe (wandernder Ritter, wie immer), laufe ich los. Eine Erklärung, was das alles soll, gibt es nicht. Gab es ja eigentlich nie. Für mich ist das nicht so schlimm, weil ich das ja schon ein paar Jahre mitgemacht habe.
Souls-Neulinge laufen wahrscheinlich erstmal am Tutorial vorbei, das die Grundzüge des Spiels erklärt. Ich finde es, weil mich Herr Miyazaki sehr lange konditioniert hat. Ich weiß, worauf ich achten muss. Zum Beispiel auf den greisen Mann im Lehnstuhl, der in den Abgrund zeigt. Der mir mitteilt: „Bitte hier runter springen.“ In der fromsoftwareschen Finsternis muss man auf solche Dinge achten. Wenn man das nicht macht, dann hat man sich halt für 70 Euro ein Spiel gekauft und lernt im besten Fall stundenlang nicht, was man als nächstes machen muss und im schlimmsten Fall nie, wie die rudimentärsten Mechaniken funktionieren. Ich habe das schon schmerzlich gelernt früher. Darum springe ich auch runter und mache das Tutorial, das ich nicht brauche, weil ich doch einer von denen bin, die eigentlich wissen, wie es funktioniert. Was für ein Witz.
Draußen, vor der Höhle, funkelt es dann magisch. Irgendwie so gar nicht Dark Fantasy. Irgendwie „Breath of the Wild“. Mit dem Blick über die weiten Wiesen und Wälder, die sanften Hügel, die sich zu felsigem Gebirge emporschwingen. Endlose Möglichkeiten. In der Ferne der strahlende Baum. Ich stapfe aber erstmal stumpf den Berg hinauf, so wie man es mir beigebracht hat. Da ist eine Burg. Da muss es weitergehen. Während ich so in die Burg stapfe und Ritter und Fledermäuse erlege, schimpfe ich über Herr Miyazaki. Über seine Einfallslosigkeit, mir schon wieder dieses Spiel zu verkaufen, das ich doch schon so oft gespielt habe.
Ich stapfe bis zum ersten Boss, der Margit heißt, wie eine Dame die einen kleinen Gemischtwarenladen führt, der aber dann doch ein riesiger Krieger mit einem Hammer aus Licht ist. Er zerkloppt mich wieder und wieder. Ich werde zurückgespult, bestimmt 15 Mal, bevor ich seine Beats auswendig kenne und ihn mit meinen eigenen Moves zertanze. Kurz nach ihm dann Dance-off mit dem ersten richtigen Boss (er ist größer und schraubt sich midfight einen Drachenkopf an den Arm, der dann Feuer speit…). Nächster Track bitte.
Ich habe „Elden Ring“ nicht komplett durchgespielt, bevor ich diesen Text schrieb. Ab wann hat man dieses und solcherlei Spiel überhaupt durchgespielt? Es sind knapp sechzig Stunden seit dem Intro vergangen. Reicht das? Vielleicht ist dieses Review auch einfach ein Rewind. Ich spule immer wieder zurück bei den Texten, die ich über diese Spiele von Herrn Miyazaki schreibe. Herr Miyazaki spult eh immer wieder zurück, wenn er diese Spiele macht. Und ich werde von diesen Spielen auch immer wieder zurückgespult. „You died“. „You died“. „You died“. Wie ein altes ausgeleiertes Tape, das man immer wieder von vorne hört, bis es irgendwann unwiederbringlich zerreißt.
Be unkind, rewind – Immer wieder das gleiche Design
Zurück zum Anfang. Brrrrt. 2009 kennt außerhalb Japans wohl kaum jemand Hidetaka Miyazaki. . Mit „Demon’s Souls“ etabliert er ein eigenes Untergenre von Action-Rollenspielen.
Die Blaupause, die Miyazaki mit From Software entwirft, verfeinert er in den darauffolgenden Spielen immer weiter. Immer wieder lässt er Spielerinnen und Spieler ganz allein rätselhafte Welten erkunden. Gesammelte Ressourcen, mit denen sie aufleveln, verlieren sie beim Sterben wieder. Der Tod bekommt so einen besonderen Schrecken in seinen Spielen. Der Spielfortschritt dutzender Stunden kann bei Unachtsamkeit vollkommen verschwinden. Kryptische Erzählungen, unerklärte Spielmechaniken und beeindruckendes Weltdesign komplettieren die Formel. In den einzelnen Ablegern ändern sich zwar mitunter einzelne Komponenten leicht, „Bloodborne“ und „Sekiro“ wollen beispielsweise offensiver gespielt werden, aber wer von den From-Spielen geschleift wurde, findet sich schließlich doch in der Denkwelt immer neuer Variationen zurecht
Mittlerweile hat Miyazakis „Souls“-Reihe nur keinen Geheimtipp-Status mehr. Mit George R.R. Martin hat einer der populärsten Fantasy-Autoren des Westens bei „Elden Ring“ Story-Schnippsel beigesteuert. Das macht das Spiel auf den ersten Blick Mainstream-kompatibel. Aber in Wahrheit dürfte das für viel Frustration sorgen. Zugänglich ist „Elden Ring“ nämlich keineswegs. In mancherlei Belang dürfte es sogar noch frustiger sein, als seine Vorgänger.
Die offene Welt ist in Wahrheit voller unsichtbarer Wände, an denen wir zerschellen.
Dieses Mal hat sich From entschlossen, das Open-World-Format in den bewährten Mix aufzunehmen. Das bedeutet aber in der Realität, dass Spielerinnen und Spieler nicht nur viel mehr zu entdecken haben. Sie haben dutzende neue Routen, auf denen sie auch viel öfter scheitern. Die offene Welt ist in Wahrheit voller unsichtbarer Wände, an denen wir zerschellen. Ein roter Faden wird nicht geboten. Dementsprechend gespalten sind auch viele Reaktionen auf das Spiel.
Ein Teil der Fans verwahrt sich gegen die Rufe nach mehr Zugänglichkeit und giften Neuankömmlingen ein toxisches „Git gud“ in sozialen Netzwerken entgegen. Die wiederum zweifeln an Miyazakis oft beschworenem Genie, wenn noch nicht mal ein einfach zu bedienender Multiplayermodus geschweige denn eine Pausentaste vorhanden ist (Wenn man im Inventar auf fünf verschiedene Knöpfe drückt, pausiert es doch sic!) und der Knopf, der die Karte aufmacht, sie nicht wieder schließt.
Miyazaki selbst entschuldigt sich beim Publikum für den Schwierigkeitsgrad und das Mysterium seiner Spiele. Ändern will er daran aber nichts. Schließlich ist das die DNA seiner Kreation. Die Unzugänglichkeit, der geraunte Höllenschwierigkeitsgrad (viele Hürden lassen sich tatsächlich einfach durch stumpfes Auswendiglernen überkommen), die fragmentierte Spielwelt, das Mystische, sie sind sein Erfolgsrezept. Ohne sie wären die „Souls“-Spiele und auch „Elden Ring“ einfach nur nette Action-Spiele. Mit dem ganzen Zinnober sind sie der heilige Gral des Gamedesigns, munkelt man. Ich spiele das Spiel parallel mit einem Freund. Und wir schicken uns gegenseitig Tipps, wo sich etwas finden lässt.
„Du brauchst jetzt den Schlüssel, der beim Drachen unten im See liegt um weiterzukommen.“
„Beim riesigen Küken?“
„Das habe ich noch gar nicht gesehen.“
„Mach mal, ist gut.“
Manchmal muss man sich seine wholesome Community eben selber machen.
Wunderschön und ganz furchtbar
Zurück zum Anfang. Brrrt. Nachdem der erste Halbgott niedergerungen ist, öffnet sich für mich die Welt komplett. Fünf dieser Halbgötter haben Stücke des zersplitterten Elden Ring aufgenommen, sie soll ich besiegen, um die Welt zu retten und Eldenlord zu werden. Was auch immer das heißt. Was mir Miyazaki und Martin (der soll endlich mal seine Bücher fertig schreiben, ich warte jetzt seit ca. 25 Jahren…) mit der Story sagen wollen? Ich weiß es nicht. Durch die eingeblendeten Nachrichten anderer Spielerinnen wird das ganze eher noch absurder.
Ich verstehe langsam, was hier anders ist.
Ich sterbe, kämpfe, sterbe, level auf, sterbe, kämpfe. Und zwischendrin schreiben mir Menschen „Try Finger but hole“ in meine Welt hinein. Trotzdem: Diese Welt ist eine der wunderschönsten, die From je erschaffen hat. In ihren gigantischen Ausmaßen kann sie es mit „Breath of the Wild“ aufnehmen. Überall haben die Designer Geheimnisse für mich versteckt. Ich verstehe langsam, was hier anders ist. Und werde zum Entdecker abseits des Hauptpfades.
Ich reite durch den Wald und stolpere über einen riesigen Bären, der sich am Baum schabt… bevor er mich zerschabt. Brrrt.
Auf einer Lichtung liegt ein Gegenstand. Als ich ihn aufheben will, packt mich eine überdimensionale Hand, um mich zu zerquetschen. Ich laufe vor ihr weg und sie feuert magische Geschosse auf mich. Dabei hat sie den Mittelfinger erhoben. Brrrt.
Quantitätsmatrix
Sanfte Wiesen und Wälder wechseln sich mit versunkenen Städten, Vulkanen und vollkommen außerirdisch anmutenden Orten, die von Pilzwuchs und Alptraum-Architektur überquellen und an den lovecraftschen Horror von „Bloodborne“ gemahnen. Diese Weiten erkunde ich mit dem neuen Reittier. Es kann einen Doppelsprung vollführen, bei dem Glöckchen klingeln. Mit ihm erreiche ich auch höher gelegene Plateaus und es erleichtert mir viele Bosskämpfe enorm. Und mit erleichtert meine ich überhaupt ermöglicht.
Und Bosse sind hier überall. In den Schlössern bewachen sie eifersüchtig ihre Schätze. Über den Seen schweben riesige Drachen. Manche von ihnen kommen nur nachts heraus, wie das gigantische Skelettküken mit dem Schwert. Und manche sind so unerbittlich, dass ich fluchend stundenlang vor dem Fernseher meine Moves studiere und ein ums andere Mal verzweifle.
Spulen in Spielen
Zurück zum Anfang. Brrrrt. Was ist das Herz dieses „Elden Ring“? Im ersten Text, den ich 2010 über „Demon’s Souls“ schrieb, wurde die erste Treppe des Spiels zu meiner Analogie des Ganzen. Stufen, die ich immer wieder hinaufsteigen musste, bis ich jeden Tritt auswendig kannte, jeden kleinen Gegner, der doch mein Ende bedeuten konnte. Bis meine Finger die Bewegungen einstudiert hatten, wie Musikerhände eine Partitur. Bis das Verzweifeln zum Tanz wurde. Daran hat sich zwölf Jahre später nichts geändert. Nur, dass die Treppe jetzt einem ganzen Freizeitpark voller schöner Schrecklichkeiten gewichen ist, die mich zum Äußersten treiben.
Gerade dieser Drang, Spielerinnen und Spieler zur Perfektion zu zwingen, bedeutet auch Jahre später alles. Das bringt das Beste in ihnen zum Vorschein, wenn sie immer agiler und mächtiger werden. Und auch das Schlechteste, wenn sie sich mit diesem Status über andere erheben. Ein Zwiespalt, den auch „Elden Ring“ nicht auflösen kann und will. Dieses Spiel ist wunderbar. Und es ist die Pest.
Irgendwann, in der Mitte des Spiels, betrete ich eine Arena, um gegen General Radhan zu kämpfen. Er ist riesig. Eine Monstrosität. Ein Gott. Schon zwei Sekunden, nachdem ich die Füße auf dem Boden habe, schießt er mich mit seinem Bogen ab. Ein Treffer. „You died“. Rewind. Ich laufe den Berg hinauf zu ihm. Er schießt jetzt Hunderte Pfeile auf mich. „You died“. Rewind. Ich beschwöre Helfer aus anderen Welten. Er haut uns alle mit magischen Schwertern kaputt. „You died“. Rewind. Ich reite auf meinem Pferd um ihn herum und bewerfe ihn mit Blitzen. Er lässt Kometen auf mich regnen. „You died“. Rewind.
Nach Stunden bekommt er meinen letzten Hieb zu spüren. Mein Herz pocht wie verrückt. Der Himmel brennt. Mein Herz wird ruhig. Was für ein Tanz. Alles ist erleuchtet. Fucking Hell.
Fazit
Für Souls-Veteraninnen ist Elden Ring eine Offenbarung. Eine Schatzkiste prall gefüllt mit neuen Herausforderungen. Die Welt ist atemberaubend schön und zugleich furchteinflößend. Wer sich noch nie mit dem From-eigenen Genre befasst hat, wird aber zu viel allein gelassen. Die große Freiheit kann schnell zum großen Frust werden.
Spieltiefe 100/100 bar.
OK, jz hab ich alles gesehen. Da geht nix drüber. Ihr könnt den Laden dicht machen!
Nur noch 75% Indie!
From Software ist endgültig im Mainstream angekommen.
2,9 Dooms halte ich durchaus auch für eine gute Einschätzung
Ich möchte deine Erfahrungen auf keinen Fall invalidieren. Aber ich finde nahezu keine meiner eigenen Erfahrungen mit dem Spiel im Review wieder.
Ich habe viele Souls kurz probiert, nie eins gemocht oder weiter als bis zum ersten Boss gespielt. Ich bin insofern noch immer neu im Genre. Aber ich liebe Elden Ring und es ist das erste Spiel dieser Art, das bei mir klickt.
Ich hasse Wiederholung, sie langweilt mich schnell. Ich möchte gar keine Perfektion erreichen. Interessanterweise muss ich das auch gar nicht in Elden Ring. Ich habe in dem Spiel kaum Erfahrung mit häufigen Wiederholungen gemacht. Warum das überhaupt möglich war, liegt nicht nur an mir, sondern auch am Spiel.
Die interessante Frage, die hier noch nicht beantwortet wird: Warum ist das so? Was macht Elden Ring anders als seine Vorläufer?
Nix, ausser besseres marketing mit dem guten GRR.
Die souls spiele waren nie so schwer wie die geschrieben wurden.
Die spielen sich bestenfalls nicht von allein
Mag das Review sehr. Kann mich dem „es ist wieder das gleiche Spiel“-Sentiment nur anschließen. Was es natürlich nicht weniger zu einem Meisterwerk macht. ^^
(Maybe) unpopular Opinion: So schön die Welt von Elden Ring auch ist, sie weiß nicht wirklich was mit sich anzufangen. Sie ist kaum Gameplay-Element, von allgemeiner Navigation (und Map-Reading-Minigame) abgesehen. Sie ist enormes Worldbuilding und Storytelling, aber die Verben zum Interagieren mit ihr sind stark beschränkt.
Das Pferd (Torrent) ist dafür ein Beweis, in einer Art. Es ist IMMER verfügbar, als Beschleuniger, um in einer inhaltlich doch recht beliebigen Landschaft schneller voran zu kommen. Das sind die beiden Verben in Bezug auf die welt: Laufen und rennen. Und hand auf’s Herz: So richtige Meister in Sachen Traversing ist FromSoft nicht. Auch die Systemik ist nur schwach ausgeprägt. MGS5 und BotW hatten da mehr Ideen, die Spielwelt sinnvoll mit Character-Mechaniken zu verweben.
Elden Ring’s Open World fühlt sich gut an, weil es eben eine sehr fantastische Welt ist, die abwechslungsreich und präzise inszeniert wurde. Wenig Prozedurales, viel hand crafted. Das funktioniert per se einfach besser als Städte oder wasimmer Ubisoft da in den letzten Jahren gemacht hat. Aber: eigentlich ist Elden Rings Open World nicht so weit weg von einem Theme Park wie RDR2. Die richtigen fleischigen Bits des Games sind die Dungeons / Höhlen. Und das sind die besten Parts und 1-zu-1 aus Dark Souls.
Aber don’t get me wrong: Landmarks, Karten-Minimalismus, Obskurität und vor allem nachvollziehbares, organisches Design sorgen für ein großartiges Entdeckungs-Erlebnis. Um Welten besser als die bisherige Standard-Open-World-Formel. Aber, in meinen Augen, noch nicht auf dem Niveau eines Games, das mich damit auch bedeutsam interagieren lässt.
Das sehe ich ganz genau so. Diese riesige offene Welt ist ein surrealer (Alp)traum, durch den ich immer wieder auf anderen Pfaden wandel und interessante Dinge erlebe. Durch das Reittier kommt man ja gut in immer neue Areale. Ich hab kein Ziel und eine Story gibt es zwar (glaub ich), aber das ist völlig bedeutungslos. Wenn ich glaube, ein Gegner ist zu schwer für mich, mache ich halt was anderes. Ich würde ein solches Spiel niemals spielen, wenn es linear wäre. Aber so ist es einfach nett. Und wenn ich in ein paar Wochen ein anderes Spiel entdecke, dann höre ich auf, ohne gross etwas „erreicht“ zu haben. So what!