Die Welt von Elden Ring steckt voller Geheimnisse, gefährlicher Monster und endloser Landschaften. Dafür hat NPC DomPotatoe aber keine Augen. Ihn reizt etwas anderes.
„Eins weiß ich: Ich werde keins meiner Kinder Margit nennen.“ Nackt und auf den Knien schrie ich diese Worte vor ein paar Nächten in den Hamburger Nachthimmel. Ein Schwur, der mir helfen sollte zu verarbeiten, was sich die Stunden davor auf meinem Fernseher abgespielt hatte.
Margit The Fell Omen, der erste große Bossgegner in Elden Ring, hatte mir zum zwölften Mal den gerüsteten Hintern versohlt. Immer und immer wieder war ich gegen diese riesige Ziegengestalt angerannt, immer und immer wieder schickte mich ihr Kampfstab, ihr mutierter Schwanz oder ihr gigantischer Streithammer zurück in den Ladebildschirm.
Frust. Ärger. Und auch ein bisschen Verzweiflung machten sich bereit, bis ich die Lektion endlich missmutig akzeptierte, die mir das japanische Entwicklerteam From Software hier beibringen wollte: „Du bist einfach noch nicht bereit für diesen Kampf. Hau ab, geh woanders hin, die Welt ist groß genug – und komm erst wieder zurück, wenn dein Bizeps brennt.“
Ja, ja, ja. Eigentlich wusste ich das schon. Denn erst letztes Jahr hatte ich zum ersten Mal den Elden-Ring-Großvater Dark Souls 1 durchgespielt, dicht gefolgt von Dark Souls 2. Andere Spiele, gleiches Entwicklerteam, ähnliche Erfolgsstrategien: Geduldig sein, konzentriert bleiben. Sich Zeit lassen. Und statt Handtuch und Controller schmeißen, lieber mal eine Pause machen. Und hier war das offenbar ganz ähnlich.
Also gut.
Tief durchatmen, eins, zwei, drei und dann woanders hin: Weg von Margit, rein in die übrige Spielwelt, die mit ihren weitläufigen Wiesen, tiefen Minen, hohen Bergketten und langen Sandstränden zu vielen anderen Abenteuern lockt. Abenteuer, die mich stärker, schneller machen würden, um dann endlich diesen idiotischen Boss (Tief durchatmen, eins, zwei, drei) in die Burgmauern rammen zu können.
Hallo, ich bin Dom, die starke Schulter für deinen unterlevelten Kopf
Knappe zwei Stunden und fünf Level später kehrte ich zurück: Mit einem Dropkick zerriss ich die Nebelwand, die mich von meinem Opfer trennte. Ich nahm meine Keule von der Schulter, richtete die blutverkrustete Spitze auf Margit und murmelte in mein Wohnzimmer hinein: „So. Jetzt gibt’s.“
Und tatsächlich gab es: Für Margit den Bildschirmtod, für mich einen triumphierenden Freudentanz quer über meine Sofalandschaft. Was für ein großartiges Gefühl, was für ein großartiges Spiel.
Zufrieden setzte ich mich an den Checkpoint, der nun die leergefegte Arena des ehemaligen Torwächters krönte, füllte meine Heiltränke auf und wollte mich schon weiter ins Levelinnere aufmachen. Aber eine fixe Idee hielt mich zurück, meine Reise durch Elden Ring direkt fortzusetzen: Vielleicht sollte ich anderen Spieler*innen meine Hilfe anbieten und auch ihnen zu diesem Triumphmoment verhelfen?
In Elden Ring gibt es ebenso wie in den Dark-Souls-Vorgängern die Möglichkeit, überall in der Welt ein Beschwörungszeichen auf den Boden zu kritzeln. Dieses Zeichen taucht dann in der Welt anderer Spieler*innen auf, die nun mit einem Tastendruck den Ersteller oder die Erstellerin der Kritzelei vorübergehend als Mitstreiter herbeirufen können. Git-Gud-Gamer verschreien das als Cheating, alle Menschen mit Verstand erkennen hingegen darin eine freundlich helfende Hand, von der Community für die Community.
Ich selbst hatte diese Hilfe in der Vergangenheit gerne angenommen: Als ich Dark Souls 2 spielte, rief ich immer mal wieder andere Krieger*innen zur Hilfe, nachdem ich viel zu lang allein mein Glück in Bosskämpfen versucht hatte. Da der zweite Souls-Teil allerdings nicht nur bereits sieben Jahre alt ist, sondern auch noch als schlechtester Part der Dark-Souls-Trilogie gilt, gab es damals nur wenige, die allzeit bereit zur Hilfe waren. Ihre Plätze füllte das Spiel mit NPCs auf, die treudoof, tapfer und ohne Murren von der Ersatzbank sprangen.
Und jetzt konnte ich auch endlich einer von ihnen sein, meine Schuld an diese Community zurückzahlen: Ein waschechter NPC, der anderen Spieler*innen hilft und sicherstellt, dass sie ihren Spaß an Elden Ring nicht wegen eines doofen Bossgegners verlieren. Also ging ich zurück zum Eingang in Margits Bossarena, malte mein Beschwörungszeichen auf den Boden — und wartete.
Backenfutter schmeckt zu zweit viel besser
Schon nach ein paar Sekunden leuchtete die ersehnte Mitteilung auf meinem Fernseher auf: „Sie werden von einem Player zu Hilfe gerufen!“ Ein Ladebildschirm später teleportierte mein Held aus seiner Welt in die meines Gastgebers: Ein leicht gerüsteter Assassine, ein Dolch in jeder Hand, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Für unbedarfte Augen eine bedrohliche Gestalt, aber ich erkannte sofort einige Teile der Ausrüstung aus dem Charakter-Editor: Ein Anfänger oder eine Anfängerin also, die noch nicht allzu viel von der Spielwelt erkundet und sich stattdessen sofort Margit stellen will. Uff.
Aber ein guter NPC übt keine Equipment-Kritik, sondern verbeugt sich brav und signalisiert seine Bereitschaft, indem er ungeduldig im Kreis rennt. Mein Gastgeber blickte mich kurz fragend an (bildete ich mir ein), wog dann ab, wie viel Vertrauen er in mich steckte, beschwor noch einen zweiten Mitstreiter (kleiner Stich ins Herz) und führte schließlich unser Trio der Zerstörung zum Bosskampf mit Margit.
Leicht war es trotz unserer zahlenmäßigen Überlegenheit nicht, aber nach quälend langen Minuten lag das Ziegenwesen dann doch endlich am Boden. Und eine handfeste Belohnung gab es auch noch: Ein paar tausend Runen, die den Weg zum nächsten Level-Up verkürzen, umsatzsteuerfrei, direkt aufs Konto. Super nice.
Zurück in meiner Welt platzierte ich direkt das nächste Beschwörungszeichen auf dem Boden. Ich war auf den Geschmack gekommen, nicht nur anderen zu helfen (und die Belohnung einzustreichen, hust), sondern auch dieses kleine Fenster in andere Spielwelten immer und immer wieder neu zu öffnen. Klar, der Level, der Boss Margit und die überall herumstehenden Gegnerkohorten waren auch in den Sessions meiner Gastgeber*innen die gleichen wie bei mir.
Doch zu sehen, welche Ausrüstung die Spieler*innen in Not trugen, ob sie mich grüßten oder direkt zum Boss sprinteten oder vielleicht doch sichtlich mit der Benutzung des Gesten-Menüs kämpften — all das war ungemein faszinierend für mich. Gemeinsame Momente in einer Spielwelt, deren schiere Größe und Feindseligkeit mich über weite Strecken einsam fühlen ließ. Und diesen Menschen dann auch noch helfen zu können, Elden Ring ein bisschen mehr zu genießen, war die berühmte Kirsche auf dem sowieso schon leckeren Kuchen.
So verbrachte ich einen ganzen Sonntagnachmittag dabei, anderen Spieler*innen gegen Margit zu helfen. Mal scheiterten wir, mal triumphierten wir, der Spaß wollte mir trotzdem nicht vergehen. Irgendwann aber lockte mich dann doch die Neugier hinaus in die übrige Spielwelt und ich wischte mein Beschwörungszeichen mit viel Seife und Wasser vom Steinboden.
Die Karawane zieht weiter
Drehen wir die Zeit ein wenig vor: Nach dutzenden Stunden voller nervenaufreibender Momente und Bildschirmtoden hatte ich erst einmal genug vom Abteneurerleben. Mich zog es zurück zum ollen Margit, dessen Angriffsbewegungen ich längst auswendig kannte, und dem befriedigenden Gefühl, anderen Spieler*innen erneut an dieser Hürde in Ziegengestalt vorbeizuhelfen.
Ich kehrte zur alten Boss-Arena zurück, malte mein Beschwörungszeichen auf den Boden und wartete.
Und wartete.
Und wartete. Aber niemand rief nach mir. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis endlich jemand um meine Hilfe bat und auch nach dieser (siegreichen Schlacht) musste ich lange auf den nächsten Hilferuf warten.
Offenbar war ein großer Teil der Community, die Elden Ring zum Release gekauft hatte, mittlerweile weitergezogen. Margit ist einer der ersten Bosse überhaupt, dem Spieler*innen begegnen können und während ich in der Welt da draußen Abenteuer erlebt hatte, sind sehr viele Ritterinnen und Ritter längst durch diesen Flaschenhals gekrochen — auch ohne meine Hilfe, unfassbar.
Auf den altruistischen Fix wollte ich trotzdem nicht verzichten, aber auch nicht so lange warten, um meine Dienste als NPC anbieten zu dürfen. Also folgte ich der Karawane, legte versuchsweise an verschiedenen Stellen der Spielwelt mein Beschwörungszeichen aus und beobachtete, wie lange es bis zum Hilferuf dauerte.
Schließlich hatte ich nach langem Suchen das Herz der Community aufgespürt: Vor den Pforten zu Godrick, dem ersten richtig großen Boss des Spiels, der auch mir lange Kopfzerbrechen bereitet hatte. Ich breitete erwartungsvoll mein Zeichen auf dem Steinboden aus — und keine drei Sekunden später wurde ich schon gerufen. Meine Hilfe war wieder gefragt, bis die Community irgendwann erneut weiterziehen würde. Und dann werde ich ihr ein weiteres Mal folgen und helfen, wo ich gebraucht werde.
Denn ich bin endlich ein NPC.
Fuck, jetzt will ich in der Welt von Elden Ring eine Pommesbude öffnen.
Das ist der erste mal wieder wirklich interessante Artikel zu Elden Ring seit gefühlter Ewigkeit.
Mit anderen zusammen spielen und in einer Gruppe auf die Bossen eindreschen macht so viel Spaß! Die Anekdote wie es angeblich zu dem Multiplayer System kam ist auch sehr süß:
Das Summoning System hat ein Matchmaking, welches Level des Charakters und der Ausrüstung berücksichtigt. Das lässt sich aber z.B. mit einem Community Passwort (**hust unseres lautet „WASTED“) komplett umgehen!
Wahrscheinlich war NPC-DomPotatoe einfach vom Level zu hoch für die Leute, die gerade zum ersten Mal Margit angehen.
ich bin ja Sunbro aus Leidenschaft seit DS2.
Das schönste ist es wenn man nach einem Kampf vom Spieler eine PSN - Nachricht bekommt
mit „Danke“. Oder noch besser „Danke, ich bin da jetzt schon tagelang gescheitert“
Ich freu mich aber auch über Nachrichten wie: „Dein Name ist Programm“ (heisse auf PSN wie hier ).
Praise the Sun
Gibts es sowas in Onlinespielen? Habe Jahrelang nichts dergleichen gezockt (ein wenig WOW und Guild Wars 1 damals).
An sich wäre das doch für manche Spieler sicher Knaller. So eine Verquickung von MMORPG und sagen wir mal SecondLife. 98% zocken halt ihr normales MMO, aber alle Händler und Barkeeper in Städten etc. können von den 2% die drauf stehen gespielt werden. Dann dürfen die eigene (Ge-)Tränke oder Waffenfarbvarianten Designen und Sachen selbst benennen und zum Kauf kriegt man noch ein nettes Gespräch, wie in echt.
Genau das fragte ich mich vorhin auch. Ich will ein grantiger NPC-Gastwirt sein!
Aber warum gibt es das noch nicht? Gibt doch sonst jeden Quark.
Der Standard NPC ist halt immer als Aushilfe aktiv falls kein Spieler da ist. Dafür kriegt man bei dem halt nicht den personalisierten Kram. Und Spieler können durch Arbeit „ihrem“ Shop ingame-Währung verdienen.
Meine Befürchtung war ja, dass @R3nDom vor lauter Podcasterei gar nicht mehr zum Schreiben kommt. Ich mag seine Texte. Oder um es mit Romy Schneider zu sagen: Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sehr.
So cool, dass jetzt auch davon profitiert.