Krieg spielen im 21. Jahrhundert

Auch Kriegsspiele tragen Verantwortung. Doch nehmen sie diese wahr?

„War never changes,“ grummelt Ron Perlman in den Fallout-Spielen. Das stimmt zwar nicht ganz, aber zumindest die Mythen, die sich um den Krieg ranken, zeigen sich erstaunlich langlebig. Und am hartnäckigsten halten sich diese Mythen ausgerechnet in Videospielen. Gerade angesichts des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit, umzudenken.

Kriegsspiel – eine scheinbar widersinnige Wortkombination. Was genau soll denn am Krieg spielerisch sein? Und was kriegerisch am Spiel? Und trotzdem ist das Kriegsspiel eines der beliebtesten und ältesten Formen des Spielens; bedeutend älter als Videospiele, älter noch als Dungeons & Dragons oder Warhammer, älter noch als das preußische „Kriegsspiel“, das im frühen 19. Jahrhundert zum militärischen Training erfunden wurde. Das Spielen von Krieg konnte auch blutige Formen annehmen: Von den antiken Gladiatorenspielen bis zu den ritterlichen Turnieren, die in ihrer frühsten Form als Scheingefechte zwischen Ritter-Scharen ausgetragen wurden. Häufig wurden dabei scharfe Waffen benutzt, was zahlreiche Leben kostete und zu einem weit verbreiteten Verbot solcher Turniere führte. Krieg und Spiel blicken auf eine lange kulturgeschichtliche Verschränkung zurück.

Wargame Red Dragon – So weit weg wie möglich
Unity of Command – Abstrakt genug

Spektakel und Simulation

Andreas Inderwildi

Hat sich seine Freelance-Karriere damit aufgebaut, über Dark Souls und Bloodborne zu schwärmen und über das mangelnde Geschichtsverständnis von Spielen zu jammern. Immer noch stolz darauf, vor Jahren einmal als „freelance agitator“ beschimpft worden zu sein.

Spektakel und Simulation waren seit Jahrhunderten die beiden Grundpfeiler des Kriegs-Spielens; und bleiben es bis heute. An einem Ende haben wir die Call of Duties, mit ihrer Immersion in adrenalin- und blutgetränkte Schlachtfelder und Zurschaustellung individuellen Heldenmuts. Am anderen Ende finden wir Spiele wie Hearts of Iron, Unity of Command oder Wargame, mit ihren distanzierten Vogelperspektiven und kühler Obsession zu technischen Details. Zwischen diesen beiden Polen existieren zahlreiche Beispiele, die Spektakel und Simulation mit unterschiedlicher Gewichtung zusammenbringen, von Battlefield und Total War bis hin zu ARMA. Die beiden Pole sind eng verbunden mit zwei unterschiedlichen, aber nicht inkompatiblen Kriegsmythen: der Krieg als heldenhaftes Abenteuer und der Krieg als intellektuelles Schachspiel zwischen gewieften Feldherren.

Die Darstellung dieser Mythen in Spielen priorisiert gewisse Blickwinkel und blendet andere aus, um die Mythen vor Störfaktoren zu schützen. Zivilist*innen sind meist völlig abwesend; einzig ihre Häuser und Habseligkeiten bleiben zurück. Wenn sie eine Rolle spielen, dann meist als entmenschlichte Nummern in Simulationen. Der Blickwinkel von Außenstehenden – der Alltag im Krieg, Hunger, Angst, Ungewissheit und Ausgeliefertsein – hat schlicht keinen Platz.

Der Mythos des Fortschritts

Diese Mythen des Kriegs sind nicht die einzigen Mythen, welche Videospiele schützen und stützen. In der Civilization-Serie begegnet uns das freundliche und farbenfrohe Gesicht einer keimfreien und sorgfältig aufpolierten Menschheitsgeschichte; zwar von Krieg maßgeblich gezeichnet und definiert, aber garantiert ohne Grausamkeiten. Das Spiel grinst uns farbenfroh ins Gesicht, selbst wenn wir Atombomben über Städten abwerfen oder als nationalsozialistischer Diktator einen Vernichtungskrieg führen. Zivilist*innen sind unsichtbar, ihr Tod nur in abstrakten Zahlen ablesbar und als unausweichlicher Preis historischen Fortschritts hinzunehmen. Im selbstbeweihräuchernden Mythos der menschlichen Erfolgsgeschichte mit all ihren Errungenschaften nimmt der Krieg einen prekären Platz ein. Ausblenden kann (und will) Civilization ihn nicht, aber es muss ihm die Zähne ziehen und zu einem zahmen Teil des Zirkus machen.

Civilization V – Panzer-Icon trifft auf Hubschrauber-Icon

Die Barbarei der Vergangenheit

Seltsamerweise sind die düstersten und negativsten Darstellungen des Kriegs fast immer im Mittelalter und insbesondere in mittelalterlichen Fantasien angesiedelt. Age of Empires ist eines der wenigen Strategiespiele, in dem Zivilist*innen massakriert werden können. Crusader Kings lässt uns unsere im Kampf gefangenen Feinde ins Verlies werfen und foltern. The Witcher etwa begegnet dem Krieg – und denjenigen, die ihn führen und von ihm profitieren – mit tiefem Zynismus. Die vom Krieg verwüsteten Welten von Dark Souls oder Elden Ring sind von einer hoffnungslosen, morbiden Melancholie gezeichnet; ihre ehemaligen, in abgedroschene Ritterrüstungen gekleidete Helden suchen die Welt als dem Wahnsinn verfallene Hüllen heim. Hellblade: Senua’s Sacrifice betont die Brutalität von Wikinger-Überfällen in noch erschreckenderen Bildern. Diese Spiele sind trotz ihrem kämpferischen Aspekt keine Kriegsspiele im eigentlichen Sinn, doch hier begegnen uns Massaker, dem Erdboden gleichgemachte Dörfer, und Berge von verrottenden Leichen. Wie häufig zeigen uns Kriegsspiele im modernen Setting etwas Vergleichbares? Wieso nicht?

Hellblade Senua’s Sacrifice geizt nicht mit Greueln

Ein Grund dafür ist sicherlich die tief verwurzelte Assoziation des Mittelalters mit Barbarismus. Ein anderer Grund ist womöglich auch, dass Darstellungen moderner Gräuel schlicht „too close for comfort“ sind, um als Teil eines Spiels gezeigt zu werden (siehe z.B. die Debatte, ob der Holocaust in Spielen überhaupt gezeigt werden darf oder kann). Bei genauerem Hinsehen sind diese beiden Erklärungen eigentlich ein und dieselbe: Lang vergangene Zeiten dienen als Sammelbecken für Schrecken, die eigentlich zeitlos und bis heute relevant sind.

Dank diesem Ventil können wir diesen Schrecken begegnen, ohne dass sie unsere heilen Illusionen von historischem Fortschritt ins Wanken bringen. Im Gegenteil; wir können uns mit einem Schaudern daran erinnern, wie schrecklich früher alles war, und uns versichern, dass solche Gräuel in eine entfernte Vergangenheit gehören. In anderen Worten: Der Mythos des finsteren, kriegsgeschändeten Mittelalters wird beschworen, um einen anderen Mythos, den unseres zivilisatorischen Fortschritts, weniger „mythisch“ erscheinen zu lassen. Dieser Mythos ist hartnäckig, aber spätestens die Realität eines Angriffskriegs im Europa des 21. Jahrhunderts sollte uns klar gemacht haben, wie fragil unser sogenannter Fortschritt wirklich ist.

Die Barbarei der Moderne

In der Fallout-Serie heißt es bekanntermaßen: «War never changes.» Aber das stimmt so natürlich nicht ganz. Krieg, mit all seinem Elend und seinen Gräueltaten, gab es zwar schon so lange wie die Geschichtsbücher zurückreichen. Und trotzdem: Unsere moderne industrielle Kriegsführung kann sich einem Zerstörungspotenzial bedienen, das noch vor wenigen Generationen höchstens in den apokalyptischsten Fantasien vorstellbar gewesen wäre. Ist es verwunderlich, dass wir uns von diesem Arsenal angezogen fühlen, gerade in einem Medium, dass sich häufig Machtfantasien bedient und uns immer neues „Spielzeug“ in die Hände drücken will?

Gewalt ist ein Werkzeug, das Unterschiede, die erst in unseren Köpfen existieren, in der Realität manifestiert.

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Moderne Technologie macht es aber nicht nur einfacher, mehr Leben zu vernichten, sondern scheint uns auch davon zu überzeugen, dass solche großflächige Vernichtung gerechtfertigt, ja notwendig ist. Der Sozialpsychologe Harald Welzer schreibt in seinem Buch „Täter: Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, dass die Gewalt gegen eine als Feind wahrgenommene Gruppe von Menschen umso extremer ausfällt, je geringer die eigentlichen Unterschiede zwischen den zwei Gruppen sind. Gewalt ist also nicht das Resultat von unversöhnlichen Unterschieden; sie ist es, was diese Unterschiede erst erschafft. Kurz gesagt: Gewalt ist ein Werkzeug, das Unterschiede, die erst in unseren Köpfen existieren, in der Realität manifestiert.

Vielleicht gilt etwas ähnliches für unsere moderne Kapazität für Zerstörung und Gewalt; je größer diese Kapazität, desto extremer erscheint der Unterschied zwischen „uns“ und „denen“, desto entmenschlichter erscheint unser „Feind“. Die beispiellose Brutalität des 20. Jahrhunderts mit seinen Völkermorden scheint zu belegen, dass unsere Gewaltbereitschaft synchron mit unserem Gewaltpotenzial in die Luft schießt. The sky is the limit.

Through the Darkest of Times – Darf man das?

Mythen hinterfragen

Was bedeutet das für Kriegsspiele, gerade jetzt, wo in Europa wieder Krieg ausgebrochen ist? Vor allem, dass es wohl noch nie so wichtig war, Mythen über Krieg und historischen Fortschritt zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Spiele dürfen sich wie jedes andere Medium auch dem Thema Krieg annehmen. Aber sie tragen – genau wie jedes andere Medium – die Verantwortung mit, Krieg nicht zu glorifizieren oder zu beschönigen. Und genau in diesem Punkt hinken Spiele weit hinter anderen Medien zurück. 

This War of Mine – Simulierter Kriegsalltag

Dass es Spielen möglich ist, modernen Krieg jenseits des althergebrachten Spektakel-Simulations-Spektrums darzustellen, haben diverse Experimente schon bewiesen. Alpha Centauri hat bereits 1999 gezeigt, dass Spiele wie Civilization Krieg und Kriegsverbrechen durchaus ungeschminkt darstellen könnten. Das nukleare Strategiespiel DEFCON und der Shooter Spec Ops: The Line operieren in Genres, die Krieg üblicherweise unkritisch behandeln und versuchen sie auf den Kopf zu stellen. Und Indie-Spiele wie This War of Mine, Through the Darkest of Times oder Attentat 1942 zeigen Krieg aus den lange vernachlässigten Perspektiven von Opfern, Zivilist*innen und deren Nachfahren.

Krieg und Spiel werden immer eng verbunden bleiben. Der Krieg in der Ukraine macht aber eines deutlich: Es ist ist höchste Zeit, dass das Bild von Krieg als aufregendes Abenteuer oder blutleeres Taktieren Stück für Stück auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wird.

3 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Ben Ben says:

    Ich muss gestehen, beim ersten Lesen fand ich den Text recht fluffig. Danke jedenfalls dafür, auch wenn ich ihn im Detail etwas zerlegen werde.

    Denn je länger ich darüber nachdenke, desto schwerer tue ich mich mit mit einigen Passagen… da wird viel behauptet, was im Detail dann gar nicht so stimmt oder nicht tief genug geht.

    1. Ist die Darstellung von negativ konnotierter Gewalt im Krieg wirklich primär auf das Setting des Mittelalters (oder einer fantastischen mittelalterlichen Welt) beschränkt? Wenn man das behauptet, dann blendet man jede Menge populärer Kriegsspiele aus, die sich geradezu in den brutalen Gewaltexzessen ihrer Schurken suhlen. Medal of Honor, Call of Duty, Far Crys… natürlich, Schau und Schockwerte, aber auch die reflektierteren Dinger wie Spec: Ops: The: Dingenskirchen und Disco Elysium und Hotline Miami gibt es ja. Schaut man dann in den SF-Bereich, findet man Gears und metallene Gears und Half-Lifes und Mass Effects… nur weil es so schön ins Schema mit dem finsteren Mittelalter und der Utopie der Fortschritts passt, weiß ich nicht, ob es auch so wahr ist. Anderer Gedanke: Generell scheinen mir signifikant weniger Videospiele in der Gegenwart angesiedelt zu sein, als in alternativen Realitäten und Historien. Wahrscheinlich auch, weil – anders als im Film – die Realität im Videospiel schwerer abzubilden ist, als die Fantasie. Vielleicht korreliert die Beobachtung also eher hiermit?

    2. Das Wort Mythen fällt ca. 38 mal, aber wo der Bezug zum Videospiel ist, bleibt ein bisschen im argen: Die Mythen von tapferen Helden und überlegenen Strategen sind ja nun (pop)kulturell verwurzelt und ebenso in jedem 2. Roman oder Film zu finden. (Video)spiele gehen da vielleicht noch den einen Schritt weiter. Filme zeigen dir die Tapferkeit von Rambo, der im Alleingang den Vietnamkrieg gewonnen hat. Aber Spiele zeigen dir, dass du – Ottinchen Normaldudine, die du halb 11 im Internet (!) eine viel zu lange Replik zu einem extrem frivolen Thema schreibst – ja dass du selbst diese tapfere Heldin sein kannst! Du kannst den 2. Weltkrieg doch noch gewinnen. Du kannst alles herumreißen, wenn du nur gut genug bist. Natürlich entspricht das grob dem Heldenmythos, aber ich glaube aus den Besonderheiten des Mediums lässt sich hier noch mehr herausholen. Den berühmten „armchair general“, der genau weiß wie man es macht, sehe ich in den Diskussionsbeiträgen der letzten Wochen sehr häufig. Vielleicht, weil wir alle schon erfolgreich Armeen zum Sieg geführt haben?

    3. Wo wir bei medialen Vergleichen sind. Die Behauptung, dass Spiele im Bereich Verantwortung für Kriegsdarstellungen pauschal schwächer dastehen… auf jeden Apocalypse Now oder Hurt Locker kommen sicher 50 Tom Clancys, Jack Bauers und random Marvel-Movies, die genau das Gegenteil tun.

    Wenn man da trotzdem mitgeht, wäre doch die interessante Frage jetzt: Warum? Warum machen Videospiele mehr Heldenepos und weniger bedrückende Geschichten im und um den Krieg? Und was wären die Lösungen? Die 2-3 Positivbeispiele sind ja alle eher aus der Kategorie „bemüht“ (bis auf Defcon), aber eben nicht halb so geil, wie 160 Stunden Elden Ring.

    1. Nochmal Mythos… in Spielen ist nicht nur Gewaltkitsch, sondern auch reichlich Friedenskitsch drin. Natürlich kann ich in Mass Effect mit zwei richtigen Gesprächsoptionen jahrhundertealte Konflikte friedlich beenden. Natürlich kann ich DeusEx gewaltfrei lösen, wenn ich nur die richtigen Knöpfe drücke. Das kann man selbstverständlich als hoffnungsvolle Sicht auf die Dinge deuten, aber grade angesichts der aktuellen Konflikte auf unserem Planeten auch als realitätsfremde Ideologie abtun. Nein, Frieden ist nicht immer möglich und Menschen lassen sich nicht durch die richtigen Sätze zum gewünschten Ziel bringen. Ideologie und Hass sind nicht pauschal mit Empathie und Wahrheit zu besiegen. So scheiße das auch sein mag.

    2. Oh, und noch ein loser Gedanke: Wie gehen wir mit Mythen um, die dann doch gar nicht so falsch waren? Dass das unmenschliche Böse im Osten sitzt habe ich in hunderten von Spielen erfahren, in denen ich (ehemalige) Ostblock-Generäle und Orks ihre Schranken weisen musste. Was tun, wenn nun ein Ostblock-Herrscher mit Nuklearwaffen droht und Völkermord betreibt? Zähneknirschend Call of Duty die Absolution erteilen? (vielleicht nicht ganz ernst gemeint)

    3. Was mich vielleicht so frustriert, dass ich hier 1000 Wörter schreibe: Ist das echt der Stand der Debatte? „Videospiele müssen klüger werden“ als Fazit? Das war der Tenor der Spieleblogs vor 15 Jahren und die große Hoffnung der Indie-Szene vor 10. Ist seither echt nichts passiert? Gibt es nur „Prozentwertungen sind albern“, „Mainstream ist scheiße“ und „Spiele sind dumm“? Oh, Gewalt natürlich, jetzt hätte ich fast die Killerspiele vergessen.

    Nicht falsch verstehen, ich habe sowas sicher auch 100x geschrieben. Aber inzwischen frage ich mich, ob man nach bald 65 Jahren Videospiel überhaupt am richtigen Ort sucht und ob man nicht langsam mal den Controller weglegen und ein Buch lesen sollte. Oder halt die _ guten_ Dinger feiert, die es dann doch zuhauf in all den Jahren Videospiel gibt. Und die auch immer wieder feiert und neu beleuchtet und aufhört, ständig nur auf die neuen Releases zu schielen und den „Zustand der Spieleindustrie“ zu bemängeln.
    Film und Literatur haben dieses Problem viel weniger, sich einfach geiles Zeug aus den letzten 50 oder 100 Jahren zu schnappen und den Bullshit zu ignorieren.
    Wo bleibt „Diese 10 Kriegsspiele sind anders, als du denkst.“ ? Von Balance of Power bis Spec Ops… keine Ahnung. Ich glaube eine Menge Spiele leiden darunter, dass ihre Designenden nur Mario, Zelda und Anime als Referenz haben und gar nicht wissen, was geht.

    Old man yells at cloud… aber irgendwie vermisse ich den Progress nicht nur von Spielen, sondern auch vom Spielejournalismus.

    1. Also lass mal Progress machen: Kein Entwickler, aber wie sähe denn ein kluges Antikriegsspiel (um mal bewusst diesen ambivalenten Begriff zu nehmen) konkret aus?
      Weder ein 60-minütiger Walking Simulator noch 10h Ballerei mit Twist würde ich als wirklich eine befriedigende Lösung empfinden.
      Wir brauchen Krieg. Wir brauchen Interaktivität. Spielmechanik die nicht zu seicht ist.

    Vorschlag 1:
    Titel: Nachrichtendienst
    Grafik: Pixelart, bunt, technisch
    Setting: Kryptografie-Experte beim Geheimdienst
    Gameplay: Du musst mit irgendeiner Puzzle-Mechanik abgefangene Funksprüche entschlüsseln und daraus Handlungsempfehlungen an deine Vorgesetzten ableiten. Anfangs sind es Truppenbewegungen und dir ist völlig klar, wer Freund und wer Feind ist. Zusehends werden die entschlüsselten Funksprüche komplexer, liefern ein anderes Bild des Krieges als das, was dir im Intro präsentiert wurde. Du kannst versuchen, die eigenen Leute zu manipulieren um Gräueltaten zu verhindern oder die Flucht von Zivilisten zu ermöglichen, läufst aber permanent Gefahr aufzufliegen. Oder du machst alles führungstreu und wirst am Ende als Kriegsverbrecher verurteilt.
    Bisschen Papers Please Dilemma und so.
    Yay or nay: Wenn die Puzzle-Mechanik nicht supergut ist, wird alles auseinanderfallen.

    Vorschlag 2:
    Titel: Silhouette
    Grafik: Unreal Engine Grafikbrecher. 120 FPS mit Raytracing.
    Setting: Stealth-Spiel irgendwo im fiktiven Osten
    Gameplay: Metal Gear Solid/Splinter Cell, aber ohne die fiktiven Betäubungsangriffe… 1-2 Level ziemlich harmlos. Dann irgendwann musst du aber nicht mehr nur an Kameras und automatischen Geschützen vorbei, sondern die ersten Soldaten töten. Kennt ihr diese kurzen Foto-Shots aus “Lola Rennt?”, wenn Lola an unbeteiligten vorbei saust und man in 5s die Lebensgeschichte der Personen präsentiert bekommt? Du stichst den Typen im Durchgang ab, und das Spiel springt in die Vergangenheit. Andere Person, anderes Gameplay. Für 2h musst du eine Restaurantkette managen, für den Bandauftritt proben, Zeitungen austragen, Steuern hinterziehen, Boxweltmeister werden oder Schutzgelder erpressen. Durch die Silhouetten erfährst du nach und nach etwas über die Soldaten, die du da umbringst, ihre persönlichen Hintergründe und den Schaden, den sie und du da verursachen (oder verhindern).
    Yay or nay: Spiele mit wechselndem Gameplay sind immer scheiße. Niemand mag Minigames (nur Triple Triad war gut!).

    Danke, dass sie zu meinem Ted-Talk erschienen sind.

    (Ich schrub das gestern Nacht nach 2 Gläsern GinTonic… keine Ahnung, ob die Argumentation noch funktioniert).

  2. Der Artikel fasst den Begriff „Kriegsspiel“ sehr weit: Im Grunde bezieht er sich auf alle Programme, die in irgendeiner Weise Krieg/Konflikt behandeln. Der allgemeinen Forderung, dass es in Zukunft viel mehr Spiele geben sollte, die sich differenziert mit dem Schrecken insbesondere des modernen Krieges auseinandersetzen, wird sich - glaube ich - jeder sofort anschließen.

    Für jemanden, der gerne mit der enger gefassten Gruppe der „Kriegsspiele“(*) Zeit verbringt, ist es vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens gleichzeitig noch schwieriger als sonst der Frage ausweichen, was genau er da mit Freude spielt? Die Problematik besteht natürlich nicht erst seit gestern. Obwohl ich dabei immer wieder mit mir selber ringe, neige ich zu der Ansicht, dass diese spezielle Art des (Kriegs)spiels einfach inhärent amoralisch ist und das womöglich aus gutem Grund.

    Wenn man zum Beispiel in dem hervorragenden Unity of Command auf der abstrakten Karte der Ostfront erfolgreich eine russische Armee eingekesselt hat, nimmt man dies in der Spiellogik natürlich als Erfolg war, obwohl man um die Greuel des historischen Hintergrunds weiß. Es wäre aber meiner Meinung nach nicht verantwortungsvoll, sondern geradezu pervers, wenn es in einem solchen Programm Mechaniken d.h. Regeln für das Verhungernlassen von Millionen Kriegsgefangenen, das Morden der Einsatzgruppen etc. gäbe. Ich fürchte, zumindest hochgradig mechanische Spiele, die „gewonnen“ werden wollen, sind einfach denkbar ungeeignet moralische Fragen abzubilden. Auch das Argument, sie sollten dann wenigstens die wichtigen historischen Informationen nebenbei „mitliefern“ überzeugt mich nicht völlig.

    Es bleibt natürlich trotzdem die schwierige Frage warum man Produkte mit einem solchen geschichtlichen Anstrich überhaupt spielen will? Es geht aktuell wahrscheinlich einigen so, dass sie nach den Nachrichten den PC anmachen, Steam durchscrollen und sich denken: Heute nicht.

    (*) ~ Strategiespiele, deren zentraler Inhalt die abstrakte Abbildung einer kriegerischen Auseinandersetzung ist

  3. Danke für den Artikel zu dieser Zeit! Auch wenn der mir fast durchgerutscht wäre…
    Hier meine Gedanken zu dem Thema als reiner Konsument, der nichts mit Journalismus oder Gaming-Industrie zu tun hat:
    Ich, Pazifist und damaliger Kriegsdienstverweigerer ertappe mich tatsächlich immer wieder dabei einen Heidenspaß mit Spielen wie Battlefield, Call of Duty, usw. zu haben. Ich will hier gar nicht so sehr auf das „Kriegspielen ist unmoralisch/gefährlich/brutalisierend“ Argument eingehen, davon halte ich in pauschalisierter Form nicht viel. Ich habe aber feststellen müssen, dass historische Varianten, also WW1 und 2, Golfkrieg etc. mich mittlerweile extrem abschrecken. Auf die Frage nach dem Warum habe ich festgestellt, dass es für mich schlimmer und zynischer ist, dass extrem viel Marketing-Aufwand getrieben wird diese als ANTI-Kriegsspiele zu etablieren, um dann doch reine Ballerorgien darzustellen, als das reine Vorhandensein dieser Spiele an sich (es sind ja eben Spiele, und keine Wehrsportübungen oder ähnliches). Call of Duty WWII ist dafür ein großartiges Beispiel. Sich die Tradition von Band of Brothers zu nutze zu machen und ein „Mitten im Schrecken des Krieges“ Gefühl erzeugen zu wollen, um dann doch nur in stumpf heroischem (wenngleich spielerisch spaßigem) Geballere zu enden, zeigt für mich diesen Zynismus ganz deutlich auf. Auch schön bei diversen Let’s Plays zu sehen. In den ersten Minuten geht es noch um die erdrückend beklemmende Atmospäre. Fast jedesmal sind Sätze zu hören wie: „Oh mein Gott, zum Glück muss ich sowas nicht real durchleben“ oder „Was muss das für eine Hölle gewesen sein!“. Keine fünf Minuten später hört man nur noch Sätze wie „Stirb Du Sau! Ha! Deine Mudda!!!“, „Hihi, in dem Arsch getroffen!“ oder ähnliches. Ich war dann doch erschrocken, als ich ähnliche Sätze aus meinem Mund gehört habe.
    Ich spiele zumindest die auf realen Vorlagen beruhenden Spiele nicht mehr, weil ich die einfach als Verhöhnung der Opfer betrachte. Denn man muss sich immer vor Augen halten dass bei all dem nur um Business geht! Es wird viel Geld gemacht!
    Und ich möchte hier auch den Spielejournalismus in die Pflicht nehmen: Hier wird dieser Exploitation-Faktor immer noch viel zu unkritisch übersehen und der „Ballerspaß“ zu sehr gefeiert.
    Kurz gesagt, ich feiere Ballerspaßorgien, aber nur solange mir der Spaß nicht im Halse stecken bleibt und skrupellose Geschäftemacher hier mit real geschehenem Elend Kasse machen.

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