The Quarry ist viel mehr als ein interaktiver Film

Gesprächsstoff über das Ende weit hinaus

Der Nachfolger von „Until Dawn“ ist weniger gruselig als andere Spiele von „Supermassive Games“, die Spielmechanik ist wenig innovativ und die Story arbeitet vor allem mit Horror-Klischees. Unglaublich Spaß macht die Hommage an das Teen-Slasher-Genre trotzdem. Vor allem, wenn man nicht allein spielt – und Freude am Diskutieren hat.

Games haben mich immer schon am meisten gereizt, wenn sie als gemeinsames Erlebnis erfahrbar sind und mir die Möglichkeit geben, den Verlauf der Geschichte selbst zu beeinflussen. Spiele also, die mir etwas bieten, das weder Filme noch Bücher leisten können. Damit habe ich mich früh auf ein Genre festgelegt, das so wenige Titel umfasst, dass es nicht mal einen richtigen Namen hat. Gerne wird auf die Umschreibung „interaktive Filme“ zurückgegriffen, das hat es für mich aber noch nie so richtig getroffen.

Denn das klingt nach etwas, das ich meinen Eltern problemlos vorsetzen könnte. Etwa, weil es nach nicht viel Interaktion oder spielerischem Geschick verlangt. Wer „Heavy Rain“ gespielt hat und durch vermasselte Quick-Time-Events zahlreiche Figuren sterben sehen musste oder wegen übersehener Hinweise in „Detroit: Become Human“ folgenreich-falsche Entscheidungen getroffen hat, weiß: Dem ist nicht so.  

Gerade weil es nur so wenige Spiele gibt, die in diese Kategorie fallen, war meine Vorfreude enorm, als das britische Entwicklerstudio „Supermassive Games“ endlich die Fortsetzung des 2014 exklusiv für die „Playstation 4“ erschienenen Survival-Horror-Games „Until Dawn“ angekündigt hat. Und weil ich den sozialen Aspekt schon beim Vorgänger so gerne mochte, stand für mich auch direkt fest: Ich muss es in Gemeinschaft spielen. Am besten mit meiner Freundin, die sich bereits in der Vergangenheit als leidenschaftliche „Aber-was-wäre-wenn“-Diskutantin erwiesen hat.

Um es vorwegzunehmen: Enttäuscht wurde diese Vorfreude nicht, bei keiner von uns. Das liegt allerdings mehr an der spannenden Story, ihren (mitunter unfreiwilligen) komischen Elementen und dem Gesprächsstoff, der sich aus ihr ergibt. Nicht so sehr an der wenig innovativen bis stellenweise nervtötenden Spielmechanik.

Aber von vorne.

Hormongesteuerte Heranwachsende, yay!

In der Zwischenzeit sind drei von vier geplanten Titeln der „Dark Pictures Anthology“ erschienen, die ihre Spieler*innen zunächst mit auf einen Bootsausflug des Grauens nimmt, dann zu einem Psycho-Trip in eine Geisterstadt lädt, und schließlich mit den – teils übersinnlichen – Schrecken des Irak-Krieges konfrontiert.

Was das Szenario angeht, stapelt „The Quarry“ etwas tiefer als die genannte Reihe. Gesellschaftlich Relevantes, wie das Verhalten in bewaffneten Konflikten oder der Umgang mit psychischen Erkrankungen, wird hier nicht gestreift. Wie bei seinem Vorgänger, handelt es sich vielmehr um eine spielbare Hommage an das Teen-Slasher-Genre. Statt in das winterliche „Blackwood Pines“ auf Mount Washington im US-Bundesstaat New Hampshire, geht es dieses Mal ins sommerliche „Hackett’s Quarry“-Camp in Upstate New York. Dort gibt es dichte Wälder, einen malerischen See, und ganz viel Lagerfeuerromantik. Nur das Motto des Camps sollte allerdings nicht nur uns als eingeweihte Spielerinnen stutzig machen: „Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.“ Klingt spaßig.

Das subtile Camp-Motto: „Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker“

Die zentrale Aufgabe besteht auch in der Fortsetzung darin, möglichst viele der acht erneut sehr hormongesteuerten jungen Erwachsenen lebend durch die Nacht zu bringen. Ihr Schicksal hängt allein von euren Entscheidungen und Reaktionen ab. Außer ihr spielt ebenfalls in Gesellschaft und gebt die Verantwortung für manche von ihnen an Mitspielende ab.

Quantitätsmatrix

Und zusammen zu spielen zahlt sich gleich doppelt aus: Die Debatten darüber, welches Handeln gerade am meisten Sinn macht, das gemeinsame Überlegen möglicher Konsequenzen, macht an Spielen wie diesen den größten Spaß. Und ganz nebenbei lernt ihr womöglich noch ganz neue Seiten an euren Mitspieler*innen kennen.

Das Abwägen beginnt schon bei der Aufteilung der Figuren. Im „Couch-Koop“-Modus, bei dem der Controller regelmäßig weitergereicht wird, beziehungsweise Plätze vor dem PC getauscht werden, müssen sich die Spieler*innen zunächst darauf einigen, wen sie steuern wollen. Als Entscheidungshilfe gibt es ein paar kryptische Sätze über ihr Wesen und ihre Verstrickungen zu lesen.

Wesentlich hilfreicher, und wichtiger für den Spielverlauf, sind allerdings die drei Adjektive, die mitgeliefert werden. Für mich spielen zumindest auch die Porträts eine Rolle für meine Entscheidung: Abigail etwa wird als „künstlerisch“ vorgestellt, hat offenbar gefärbte Haare und wird von Ariel Winter gespielt – beziehungsweise diente sie als Vorlage für das erneut sehr gelungene Motion Capture. Was nicht nur den Goth, sondern auch den „Modern Family“-Fan in mir anspricht. Zack, erste Entscheidung getroffen.

Das Motion Capture ist hervorragend, die Figurenbeschreibung eher… kryptisch.

Meine Partnerin ist als nächstes an der Reihe. Wir haben einen denkbar diplomatischen Weg gefunden, um die Figuren möglichst fair zu verteilen. Wie damals beim Sport (#triggered), wählt jede abwechselnd. Saskias erste Wahl fällt auf Kaitlyn (Brenda Song), die als „schlagfertig“, „willensstark“ und „raffiniert“ beschrieben wird. So geht es der Reihe nach weiter.

Habe ich schon erwähnt, dass ihr durch diese Spiele auch wahnsinnig viel über eure Liebsten lernt? Nun ja, manchmal wird man auch einfach in seinen Annahmen bestätigt. Wie zu erwarten, landen bei uns ausgerechnet die Figuren auf der Resterampe, die bei der Mannschaftsaufstellung im Schulunterricht die besten Chancen gehabt haben dürften: Der durchtrainierte und als arrogant beschriebene Jacob (Zach Tinker) und die zur Selbstdarstellung neigende Emma (Halston Sage).

Mehr Humor, weniger Horror

Passend zu dem, was „The Quarry“ sein will, orientieren sich auch die sonstigen Persönlichkeiten stark an den Klischees des Teen-Slasher-Genres. Dylan (Miles Robbins) ist der gesellige Clown der Runde, der eine heimliche tiefgründige Seite hat. Dylan (Justice Smith) ist der Außenseiter, den zwar alle irgendwie spooky finden, dessen Wissen sich am Ende aber auszahlt. Nick (Evan Evagora) wiederum ist der schüchterne Nice Guy, der sich bald im größten Schlamassel wähnt. Und Laura (Siobhan Williams) wirkt zunächst wie das durchschnittliche Mädchen von nebenan, das aber plötzlich seine taffe Seite entdeckt.

Zugegeben, sonderlich komplexe Charakterzeichnungen strengt das Spiel nicht an, und auch überraschende Entwicklungen bleiben aus. Dafür eröffnet der strikte Fokus auf Horror-Tropes viel Raum für Witz. Die mitunter etwas dümmlich agierenden Figuren sorgen immer wieder für comic relief, was „The Quarry“ sowohl zum sympathischsten, aber auch zum Titel mit dem geringsten Grusel-Faktor des britischen Entwicklerstudios macht.

Typisch Teenie-Slasher: Anreise bei Nacht, Karre bleibt liegen, Schreckliches folgt

Mit dem Stoff, aus dem der Horror von „The Quarry“ gemacht ist, werden wir nun direkt im Prolog konfrontiert. Laura befindet sich zusammen mit ihrem Freund Max (Skyler Gisondo) auf dem Weg nach Hackett’s Quarry. Natürlich reisen sie nachts an, natürlich läuft ihnen mitten im Wald ein Wesen vor den Wagen. Gruselfilm-Klischees im Überfluss. Ich persönlich habe allerdings überhaupt kein Problem damit, von allzu großen Überraschungen (Jump-Scares, bitte nicht) verschont zu bleiben.

Als Laura also allein durch die Finsternis irrt, während ihr Freund es mit einem Blick unter die Motorhaube versucht, begegnen wir den ersten Monstern. Nur so viel: Wie bei „Until Dawn“ gibt es gleich mehrere, verschieden geartete Bedrohungen, deren Zusammenhang zu Beginn gelungen verwirrend ist.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wer sich mit Fantasy gut auskennt, durchblickt das Mysterium schneller. Und versteht damit auch eher, wie damit umzugehen ist. Zu dieser Gruppe gehöre ich aber ganz offensichtlich nicht.

Mindestens genauso wichtig ist es aber, zu durchblicken, was die Menschen, denen man im Laufe des Spiels begegnet, verbergen. Und schließlich auch, wie man sie am besten für sich gewinnt. Letztlich läuft es ja doch immer auf das Eine hinaus: All Monsters Are Human.

Trial and… Death

Der Prolog wird gleichsam dafür genutzt, um in die Spielmechanik einzuführen. Passend zur selbstironischen Haltung von „The Quarry“, wird sie anhand animierter Videos erläutert. Charmant ist das allemal, hilfreich aber nur teilweise. Vieles wird nur oberflächlich erklärt, was insbesondere bei neu eingeführten Techniken, wie der „Don’t Breath“-Quest eine Schwierigkeit darstellt.

Darin gilt es, per Knopfdruck oder Mausklick solange die Luft anzuhalten, bis sich die Bedrohung, vor der man sich versteckt, weit genug entfernt hat. Das Tutorial macht aber nicht klar, ob die Gefahr gänzlich verschwindet, sobald sie einmal außer Sichtweite ist – oder womöglich sofort wiederkehrt. Verstanden hat das bis kurz vor Schluss niemand von uns.

Normalerweise finde ich es okay, mich durch das „Trial-and-Error“-Verfahrenin die Anforderungen des Spiels hineinzufühlen. Nicht aber, wenn error mitunter mit death gleichzusetzen ist.

Während die Quick-Time-Events dank früherem Warnsignal im Vergleich zu den vorangegangenen Titeln wiederum fast zu leicht zu meistern sind, führen weitere Unklarheiten im Verlauf der rund zehnstündigen Spielzeit wiederholt für kurze Frustmomente.

Beispielsweise ist nicht immer klar, welche Entscheidungsmöglichkeiten überhaupt zur Verfügung stehen, weil sie zu vage betitelt sind. Letztlich debattieren wir wahrscheinlich genauso lange darüber, welche Optionen eigentlich gemeint sind, wie über die potenziellen Folgen, die sie mit sich bringen könnten.

Neu: Animierte Tutorials. Hilfreich sind die allerdings nicht immer

Und wenn wir schon bei den Dingen sind, die einem das Spielen von „The Quarry“ unnötig schwer machen: Wir müssen über die Kameraperspektive sprechen. Nein, es ist kein neues Hindernis, mit dem „Supermassive Games“ seine Fans hier konfrontiert. Und deswegen wohl auch das ärgerlichste. Der Blickwinkel wechselt regelmäßig von alleine, wodurch man plötzlich in die entgegengesetzte Richtung steuern muss, um weiter geradeaus laufen zu können.

Aber genug des Rants, weiter im Text.

Die Wahrsagerin weist den Weg

Die eigentliche Handlung der nun folgenden zehn Kapitel entspinnt sich zwischen den verbleibenden sieben Figuren. Deswegen seid gewarnt: Wer Laura in sein Team wählt, wird lange Zeit nur drei Figuren steuern. Sorry, Saskia.

Allesamt sind Betreuer*innen im Sommercamp, das gerade zu Ende gegangen ist.

Die Kinder sind schon abgereist, es herrscht allgemeine Aufbruchstimmung. Der Leiter („Scream“-Schauspieler David Arquette) hat es erstaunlich eilig, dass das Grüppchen seine Abreise antritt – dazu soll es aber nicht kommen.

Zunächst sinnen die Heranwachsenden ihren Sommerromanzen hinterher, dann wird ihnen eine davon zum Verhängnis: Jacob möchte eine letzte Nacht mit Emma erleben, bevor ihre gemeinsame Zeit zu Ende geht und manipuliert kurzerhand das Auto, das sie von hier wegbringen soll.

Die nächsten Stunden werden darüber entscheiden, wer die Sonne wieder aufgehen sehen wird.

Die Tarot-Lady ist an unserer Unfähigkeit beinahe verzweifelt

Im Laufe der Nacht streifen wir durch zahlreiche verschiedene Settings, die durchgängig liebevoll und detailreich gestaltet sind. Das Wichtigste dabei: Augen offenhalten, um möglichst viele Hinweise und – noch viel wichtiger – Tarot-Karten ausfindig zu machen.

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Etwas das uns, bestenfalls nur bedingt gelingt. Man kann das auf mangelnde Gründlichkeit schieben, oder auf die bereits erwähnte unnötig häufigen Perspektivwechsel.

Nicht selten erscheinen die Tarot-Karten ganz offensichtlich platziert direkt zu Beginn eines Kapitels, doch eine falsche Bewegung genügt und die nächste Cut-Scene funkt dazwischen, der Hinweis ist verloren. Für uns ist der Fall also klar: Das Game ist schuld.

Gelingt es doch, eine der begehrten Karten ausfindig zu machen, wird sie eine ominöse Wahrsagerin in Zwischenspielen für euch deuten und euch kurze Schnipsel einer möglichen Zukunft zeigen, die es je nach Szenario zu vermeiden oder anzustreben gilt.

Gelingt es mal nicht, eine Karte zu finden, ist das auch gar nicht schlimm. Es hat eine ganz eigene komische Qualität, wenn die Kamera schon wieder auf den erneut leeren Tisch schwenkt, und die Tarot-Lady allmählich an unserer Unfähigkeit verzweifelt.

Das Ende ist endgültig – oder doch nicht?

Verlieren ist in „The Quarry“ sowieso so eine Sache. Nicht nur, weil es dafür keinen richtigen Maßstab gibt, sondern auch weil „Supermassive Games“ dem Tod neuerlich seine Endgültigkeit genommen hat. Durch das neu eingeführte „Death Rewind“-Feature ist es nun drei Mal pro Durchlauf möglich, an Schlüsselmomente der Story zurückzukehren, um einen Exitus ungeschehen zu machen.

Wir haben uns gegen die Funktion entschieden. Und das hat einen Grund: Ja, die ausführlichen Debatten vor Entscheidungen machen einen Großteil des Spielspaßes aus. Mindestens genauso unterhaltsam sind allerdings die Diskussionen, die sich im Anschluss an Affekthandlungen entspinnen, die also kein langes Nachsinnen erlauben. Es bedeutet eben doch etwas anderes, ob man durch das eigene Handeln eine der selbstgewählten Figuren in den Tod stürzt. Oder die der Partnerin.

Fazit

Punkte: 85

Arabella Wintermayr

arbeitet als freie Redakteurin für die Öffentlich-Rechtlichen und schreibt über Kulturelles für diverse Zeitungen, wie die taz, die Berliner Zeitung und der Freitag

Unsere Geschichte endete mit drei Todesfällen und vier Überlebenden eher durchwachsen. Macht aber nichts, denn hier sehe ich das mit der Endgültigkeit nicht so eng – für Gesprächsstoff hat das Spiel noch weit über sein eigentliches Ende hinaus gesorgt. Und auch wenn das so klingt, als würde ich uns das schlechte Abschneiden nur schönreden wollen: Das ist es, was „The Quarry“ für mich letztlich zu einem würdigen Nachfolger von „Until Dawn“ macht. Und wer weiß? Vielleicht schafft es „Supermassive Games“ demnächst ja auch noch die Sache mit der Kamera in den Griff zu bekommen.

The Quarry

Interaktive Hommage an das Teen-Slasher-Genre. Jump Scares inklusive.

Höhe in Disketten
106,67 m
Spieltiefe
68 bar
Ist das noch Indie?
51%
Gewalt
3,5 Doom
Eleganz
8
Metascore-Abweichung
6

5 Kommentare


Kommentare

  1. DSA-Soloabenteuer und Bandersnatch so:
    Anthony Anderson Reaction GIF

  2. The Quarry? Noch nie von gehört. Bis gestern plötzlich vor einem Youtube Video der Werbe Trailer lief. Sah interessant aus, dachte ich. Dann aber wieder vergessen. Jetzt auf wasted den Test gelesen. 85%? Interaktiver Film in der Art von Heavy Rain? Ich liebe sowas. Das scheint was für mich zu sein. Ich schick den Trailer gleich mal Frau und 18 jähriger Tochter ob wir daraus eine gemeinsame Erfahrung machen wollen

  3. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Until Dawn bitte nicht vergessen. :wink:

  4. Das hab ich nie gespielt. Ist irgendwie an mir vorbei gegangen. Keine Ahnung warum. Ich kenn das Spiel nur vom Namen her und dachte immer das ist so ein Open Wold Zombie Shooter. Hab erst beim Lesen des Artikels hier gemerkt das ich da wohl im Irrtum bin :man_facepalming:

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