Brief und Sigl: No Escape

Holt die Krisen in die Games!

Alle zwei Wochen setzt sich Rainer Sigl an seine Tastatur und schreibt dir einen Brief. Ja, dir. Es geht um die großen, wichtigen, letzten Dinge: Sex, Tod, die Liebe, das Leben, den Sinn des Ganzen. Und um Videospiele. Große, kleine, teure, obskure, die Menschen, die sie machen, kritisieren, spielen und lieben. Kurzum: Es geht ans Eingemachte. „Brief und Sigl“ ist eine Depesche aus dem Ludoversum.

Wien, 21.08.2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

unter einem Spiegel-Artikel, in dem ich über die Spiele „Stray“ und „Endling – Extinction Is Forever“ schrieb, fand sich kurz nach Veröffentlichung folgender Kommentar einer gewissen Rumbalotte: „Spiegel bekommt es nicht einmal mehr hin über 2 Spiele zu berichten ohne Klimawandel und Kapitalismuskritik im Artikel unterzubringen. Irgendwas ist hier völlig kaputt und es ist nicht die Welt.“

Zuerst: Ja, ich weiß, don’t read the comments. Aber wenn man es dann doch macht, bekommt man dennoch nur selten ein derart wunderbares Exemplar von ignorantem WTF zu lesen wie hier. Aus diesen zwei dürren Sätzen, hingeschlonzt in empörter Verbitterung und rechtschaffener Dummheit, lässt sich so viel über das Verhältnis zur Welt insgesamt, aber speziell zu Videospielen herauslesen, dass man es nicht beim offensichtlichen Facepalm belassen kann.

Denn ja, in „Stray“ und „Endling – Extinction Is Forever“ geht es um Ausrottung, um menschengemachte Zerstörung, um Apokalypsen, das Ende unserer Welt und den Anteil, den unser aller Existenz hier im späten Spätkapitalismus mitten in den gemütlichen Einführungstagen der realen Klimakatastrophe daran wohl haben mag. In „Stray“ hat die Welt, so könnte man sagen, das Schlimmste hinter sich – die Menschen sind längst weg, Katzen haben’s überlebt -, in „Endling“ hingegen ist noch fröhliches, aktives Aussterben angesagt, unter anderem in Waldbränden, wie sie just zur Zeit der Veröffentlichung von Spiel und Text auch hie und da in der Nachbarschaft pittoresk vor sich hinloderten. 

Schwer, da nicht ein klitzekleines bisschen Klimawandel und Kapitalismuskritik zu entdecken, das – huch! – schon vor der Interpretationshausaufgabe in diesen Spielen vorhanden war. Doch der Affront, den Rumbalotte hier zwischen den Zeilen rechtschaffen echauffiert anprangert, sitzt tiefer: Ausgerechnet in einem Artikel über Videospiele, diesem Medium, das letztlich unserer Zerstreuung, unserer Erheiterung und unserer Entspannung zu dienen hat, muss jetzt auch noch von sowas die Rede sein! Irgendwas ist völlig kaputt, die Welt ist es angeblich nicht, was bleibt da noch? Da sagt noch einer, es gäbe keinen dringenden Bedarf an ethics in videogame journalism!

Jetzt macht uns also der Klimawandel, falls er denn von Menschen wie Rumbalotte überhaupt als reales Phänomen erkannt und akzeptiert wird, auch schon die Spiele kaputt. Muss das sein? Haben wir nicht einmal auch eine Pause verdient? Dass Videospiele als Eskapismus wahrgenommen werden, ist historisch und kulturell bedingt verständlich, dass sie längst mehr sein können, dürfte sich noch nicht überall hin durchgesprochen haben. 

Nur: Das wollen wir™ nicht. Natürlich ist genau das der Grund für das schon traditionelle und liebgewonnene laute Aufjaulen sensibler Broflakes, wenn himmelschreiend ungerechterweise statt Marty McShotgun eine toughe Weibsperson mit subpornografischen Maßen die Hauptrolle im grad aktuellen Geforce-Showcase zugeschanzt bekommt, wenn in einem Pixelplattformer möglicherweise irgendwo in fünf Pixeln eine Regenbogenflagge im Spiel zu sehen ist oder im nächsten GTA unverschämterweise eher auf sexistische und rassistische Witzchen verzichtet werden soll . Keep your politics out of our games, ihr woken feminazis! 

Dass Spiele natürlich immer schon quasi aus sich heraus politisch sind, muss an dieser Stelle nicht nochmal extra erörtert werden. Stattdessen stellt sich eine andere Frage. Nicht jene, ob sie das Recht haben sollten, uns mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren, wie jener, dass wir dabei sind, den einzigen uns bekannten bewohnbaren Planeten unwiederbringlich zu zerstören. Sondern jene, ob es nicht ohnedies schon längst allerhöchste Zeit wäre, dass sie uns viel häufiger, dringlicher und eindeutiger genau damit konfrontieren.

Ja, Apokalypsen haben seit quasi immer Hochkonjunktur als Thema in Spielen, in den allermeisten Fällen geht’s dabei aber eher um deren romantisierte Handhabbarmachung: Tabula Rasa, endlich ist der umständlich komplizierte Zivilisationskram  weg, endlich Platz für einen Mann mit Schrotflinte, ganz von vorn anzufangen. All die Spiele über das Leben nach der nuklearen oder der Zombieapokalypse geben uns immerhin die Möglichkeit, uns einerseits indirekt zur Desensibilisierung mit einer seit auch schon wieder 50 Jahren angesagten Katastrophe zu konfrontieren, während sie uns andererseits zugleich das wunderbar angenehme Gefühl von Agency, also Handlungsmacht vorgaukeln. Ja, die Welt ist im Arsch – aber 1337_fRaGmEisteR420 und ich haben’s im Griff!

Das mag beides als individueller Trost im Angesicht einer realen, global herannahenden Bedrohung sinnvoll sein. So ein bisschen von außen betrachtet – im Sinne von: trägt es etwas dazu bei, dieser Katastrophe zu entgehen – ist der Nettobeitrag zur Bewältigung aber eher negativ. Nicht nur, dass die fiktionale Endzeitromantik den Blick auf die ganz reale Katastrophe  verschwurbelt, sie bleibt auch meist so fantastisch, dass sie uns von der Realität ablenkt, statt uns auf sie irgendwie vorzubereiten. Ich persönlich hatte etwa schon eine Menge illuminierte spätnächtliche Stellvertreterdiskussionen darüber, was ich in einer Zombieapokalypse so in mein Köfferchen packen würde; Gespräche über die düstere Zukunft der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung angesichts potenziell zivilisationsbedrohender Logistikzusammenbrüche habe ich bislang allerdings eher noch keine geführt.

Soll deshalb jedes Spiel uns so lang mit der Nase in den selbstgemachten Klimakollapshaufen drücken, bis wir etwas unternehmen? Vermutlich nicht. Dass Spiele aber aktuelle, drängende Krisen und Herausforderungen thematisieren, ist überfällig und keine Zumutung. Menschen wie Rumbalotte haben ohnedies noch an allzu vielen Orten den Luxus einer Zuflucht fernab der Realität. „I want you to panic“, hat Greta Thunberg gesagt. Ich würde abwandeln: Ich hätte gern, dass es zumindest keine Beschwerden mehr gibt, dass der Feueralarm so laut schrillt. 

Ja, genau: Der Feueralarm schrillt. Man kann ihn auch schon im Spielzimmer hören.  

Rainer Sigl

Schreibt und spricht seit 2005 (nicht nur) über Videospiele. Lebt in Wien.

Lorem ipsum dolor sit amet, consetetur sadipscing elitr, sed diam nonumy eirmod tempor invidunt ut labore et dolore magna aliquyam erat, sed diam voluptua. At vero eos et accusam et justo duo dolores et ea rebum. Stet clita kasd gubergren, no sea takimata sanctus est Lorem ipsum dolor sit amet. Lorem ipsum dolor sit amet, consetetur sadipscing elitr, sed diam nonumy eirmod tempor invidunt ut labore et dolore magna aliquyam erat, sed diam voluptua. At vero eos et accusam et justo duo dolores et ea rebum. Stet clita kasd gubergren, no sea takimata sanctus est Lorem ipsum dolor sit amet.

Dein

6 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Adrian Adrian says:

    Wieso beschweren sich Personen über die Thematisierung von Klimawandel, aber nicht von Gewalt oder Terror?

  2. Avatar for Lyra Lyra says:

    Nur: Das wollen wir™ nicht. Natürlich ist genau das der Grund für das schon traditionelle und liebgewonnene laute Aufjaulen sensibler Broflakes, wenn himmelschreiend ungerechterweise statt Marty McShotgun eine toughe Weibsperson mit subpornografischen Maßen die Hauptrolle im grad aktuellen Geforce-Showcase zugeschanzt bekommt, wenn in einem Pixelplattformer möglicherweise irgendwo in fünf Pixeln eine Regenbogenflagge im Spiel zu sehen ist oder im nächsten GTA unverschämterweise eher auf sexistische und rassistische Witzchen verzichtet werden soll . Keep your politics out of our games, ihr woken feminazis!

    10/10, well done

  3. Wieder ein Text, der mir den Weg durchs Internet erleichtert. Ich atme darüber auf, nicht alleine zu sein. Vielen Dank!

  4. Finde vor allem der letzte Absatz hat alles sehr gut auf den Punkt gebracht. Wenn Leute keinen Bock darauf haben, dass Spiele Realität und reale Problem abbilden, dann sollen sie halt was spielen, was ihnen passt. Aber dieses Gemecker oder häufig auch der Angriff gegen ebenjene Problemdarstellung ist ja Teil des größeren Kulturkonfliks, in dem wir alle irgendwie drinstecken.

    Ich bin zwar auch ein Verfechter davon, dass Spiele, Filme, oder Medien insgesamt auch Eskapismus bieten dürfen. Aber wir sind noch weit entfernt davon, dass solche Spiele in der Minderheit sein werden. Bestimmte Leute schreien aber schon alleine dann auf, wenn plötzlich doch ein paar Games kritische Kommentare zur Weltlage abgeben. Auch wenn ihr Anteil gefühlt 0,01 % des Steam-Shops beträgt.

  5. Wie @Spielwyse schon sagte scheint mir das Teil zu sein dieses unglaublich ermüdenden Kulturkampf-Bullshits, der nun entgültig den Sprung aus Amerika zu uns geschafft hat. Und ich weiß wirklich nicht wie man damit umgehen soll. Einerseits ist es für mich persönlich recht klar: Einfach soweit wie nur irgend möglich der Versuchung wiederstehen auf Kommentarspalten, Twitterreplys etc. zu klicken, weil man sonst ob all der Dummheit, Borniertheit usf. Verzweifeln müsste. Andererseits sagt sich das auch leicht, wenn man selber in keiner Weise im Internet exponiert ist, aber weiß welche realweltlichen Folgen diese ganze Scheiße für viele hat. Umso unerträglicher sind dann auch all diejenigen, die aktuell bewusst Kapital schlagen aus diesem trotzigen Ressentiment in das offenbar viele abdriften im Angesicht der sich auftürmenden Krisen.

  6. Avatar for Bonito Bonito says:

    Sehr guter Text :+1:

Setze die Diskussion fort auf community.wasted.de

Teilnehmende

Avatar for Bonito Avatar for Benjamin Avatar for Lyra Avatar for system Avatar for Adrian Avatar for jeanpaulrichter Avatar for Spielwyse