Schafknöchel-Spiele, Illegale Gaming-Nächte und PUBG. Mongolische Spielkultur zwischen Dead Ends und Diversität.
Ringen, Bogenschießen und Pferderennen sind die Lieblingsspiele vieler Mongol:innen. In jüngster Zeit ist da noch was hinzugekommen: PlayerUnkonwn’s Battlegrounds, besser bekannt als PUBG. Das wird hoch und runter gespielt in der Hauptstadt Ulaanbaatar. Zwischen Jurtendistrikten ohne fließend Wasser, Gated Communities für die neue reiche Elite und durch die brutalen Winter in der kältesten Hauptstadt der Welt aufgesprengte Asphaltschluchten im Stadtzentrum entwickelt sich Spielekultur. Zeit für eine Spurensuche.
Die beginnt mit Bolko in Ulaanbaatar. Bolko heißt eigentlich Bolor Battumur und wir kennen uns seit 2007. Sie hat damals für den Mongolian National Broadcaster (MNB) gearbeitet – und ich auch. So haben wir uns kennengelernt. Wir waren immer zusammen draußen rauchen. Und manchmal auch innen – das war damals ganz ok so. Da saß man in Rauchwolken im Redaktionsbüro und hat Stories geschrieben für die News. Zwischendrin haben wir Minesweeper gespielt. Heute spielt Battumur vor allem auf dem Handy zusammen mit ihren Kindern. Und macht sich gemeinsam mit mir auf die Suche. Fernsehen gibt es in der Mongolei erst seit der Gründung von MNB im Jahre 1967. 2020 nutzen rund 60 Prozent der Mongol:innen das Internet. Die meisten davon in den Städten. Davon gibt es nicht so viele in der Mongolei. Etwa 43 Prozent der gesamten mongolischen Bevölkerung lebt in Ulaanbaatar, der Hauptstadt. Insgesamt gibt es etwas über drei Millionen Einwohner in der Mongolei. Das muss man sich mal vorstellen. Als würden 34 Millionen Menschen in Berlin leben. Pretty packed.
Knochenspiele vs. Game-Center
Spiele spielen eine wichtige Rolle in der mongolischen Kultur. Aber eigentlich nicht so die mit Controller und Maus und Tastatur. Sondern eher die mit Knochen. Schagai heißen diese Geschicklichkeitsspiele, die mit Schafknöcheln gespielt werden und die nicht nur jedes Kind dort kennt. Und eben Spiele hoch zu Steppen-Ross, dem Nomaden-Fortbewegungsmittel Nummer Eins – bis heute. Das ändert sich gerade. Bolor Battumur berichtet mir von ihren Nachforschungen zum aktuellen Stand der Spielekultur in Mongolei: „Videospiele sind vor allem unter jungen Leuten in den letzten Jahren sehr beliebt geworden. Überall in der Hauptstadt sind Game Center aus dem Boden geschossen.“ Game Center – eine Art Spielhallen für verschiedene Spiel-Arten, von VR über Multiplattform- und Multimedia-Hallen bis hin zu reinen PC-Plätzen. „Je nach Art des Game Center und der Technologie, die dort genutzt wird, sind die Spiele, die dort gespielt werden, auch unterschiedlich.“ Am seltensten seien die VR Game Center. Sehr viel häufiger sind die Playstation Game Center. Das größte ist die Kette Prolive PS Game Center, das drei Läden in Ulaanbaatar hat. In dem Center kann auf Playstation-Konsolen verschiedener Generationen gespielt werden. Beliebte Spiele sind NBA und FIFA. Aber auch Red Dead Redemption 2 oder Tomb Raider stehen auf der Menü-Liste an der Rezeption. Eine Stunde an der PS4 mit zwei Controllern und zwei Spielen zur Auswahl kostet rund zwölf Euro. Wer allein spielt zahlt etwa einen Euro pro Stunde. Bei einem Bruttonationaleinkommen je Einwohner von 3670 US-Dollar (Stand: 2020) ist das Spielen im Game-Center für große Teile der Bevölkerung nach wie vor ein Luxus.
Spielen als sozialer Akt
Was auffällt: Spielen ist hier kein casual Singleplayer-Ding, sondern ein gemeinsames, besonderes Event. „Die Leute gehen da vor allem in Gruppen hin – mit Freund:innen, Klassenkamerad:innen, oder Arbeitskolleg:innen. Kinder kommen mit ihren Eltern.” Spielen ist hier ein sozialer Akt. Die Game Center sind ein bisschen wie die Karaoke-Bars in Südkorea und Japan: Es gibt einzelne Zimmer oder Play-Booths, die sich stundenweise mieten lassen und in denen man in der Gruppe spielen kann.” Khaliun, die an der Rezeption sitzt, erzählt mir, dass vor allem die Altersgruppe zwischen zehn und fünfunddreißig herkomme. Platz gibt es für fünfzehn Personen. Am Wochenende kommen mehr Leute.“ In einem der Booths sitzen an diesem Tag zwei Jungs, Masken am Kinn und schauen gebannt auf den Bildschirm. Batturmur spricht sie an. „Die zwei sind Sechstklässler und kommen oft zu zweit zum Spielen her – mit der Erlaubnis ihrer Eltern. Sie spielen etwa immer so zwei Stunden lang.“ In einer anderen Ecke zockt eine dreiköpfige Familie. Sie sind hier, weil der Sohn Geburtstag hat. Neun Jahre alt ist er geworden und den Besuch im Game Center haben ihm die Eltern zum Geburtstag geschenkt. Der Junge ist vor allem von den Rennspielen begeistert.
Spielen, das macht man gemeinsam.
Dann gibt es da noch die PC Game Center. „Die sind sehr beliebt und weit verbreitet in der Mongolei.“ meint Battumur. Da treffen sich vor allem junge Leute und spielen Dota, Warcraft, Counter Strike, Tekken und eben das enorm populäre PUBG. „Diese Art von Game Center findet man in jedem Distrikt in Ulaanbaatar. Eine der bekanntesten Ketten ist The Lof. Die gibt es seit 2009 und sie betreiben zehn Ableger in der Stadt.“ so Battumur. Zunehmend populär werden speziell e-Sport Game Center wie ACE e-Sport. „Die eröffnen gerade Game Center an neuen Standorten, da passiert viel“. Deren Motto: In Games We Trust. Battumur erzählt: „Da gehen die Leute alleine oder in der Gruppe hin. Es werden e-Sport-Turniere organisiert und das sind auch die Wirkstätten semi-professioneller und professioneller mongolischer e-Sport-Teams.“ Spielen, das ist in der Mongolei nichts, was man einsam vor dem heimischen Bildschirm macht. Auch, weil die notwendige Gaming-Hardware in vielen Haushalten fehlt. Aber auch, weil es ein sozialer Akt ist. Spielen, das macht man gemeinsam. Das ist etwas Besonderes. Dafür spricht auch der Event-Charakter der Game Center.
Illegales Glücksspiel statt Yak-Herden
Als ich das erste Mal in der Mongolei war, 2007, da sind die Nomad:innen noch auf Pferden aus der Steppe in die Innenstadt zum Central Post Office geritten. Da kamen die Yaks manchmal von den umliegenden Bergen bis runter in den Stadtgraben und grasten am betoneingefassten Fluss mitten neben der Diskothek. Das ist lange her. Heute sieht die Cityfront aus wie in Seoul und vielen anderen asiatischen Städten und die Leute gehen in ihrer Freizeit zocken.
Es stellt sich heraus, dass sie die Tochter eines Mitglieds des mongolischen Parlaments ist
Gaming liegt so im Trend, dass sich eine ganze Vielfalt an Mikro-Gruppen bildet – und Subkulturen. Manche davon am Rande der Legalität. „Es ist ein offenes Geheimnis in der Szene, dass es manche Game Center gibt, die auch nachts offen haben und manche Jugendliche und junge Erwachsene ganze Nächte durchspielen.“ meint Battumur. Und: Es werde auch um Geld gespielt. Erlaubt sei das rein rechtlich nicht. Gemacht werde es trotzdem. Informationen finde man vor allem in den zahlreichen Games-Facebook-Gruppen, verrät Battumur. Eine davon wird von The Lof betrieben. Die Gruppe PUBG Mongolia hat knapp 8.000 Mitglieder. Neben Diskussionen, Screenshots und Videos aus Matches werden da Videos von Sneaker-Käufen am örtlichen Markt und andere Werbung und random Straßenszenen geteilt. Und eine Menge Pornographisches. Wobei vieles zwischendurch immer wieder von der Seite verschwindet. Illegales Glücksspiel, Porno und verbotene nächtliche Spieleorgien. Die Gaming-Szene Ulaanbaatars hat eine ganz schöne subkulturelle Tiefen zu bieten.
Auf unsere Nachfrage nach einem Interview mit der Geschäftsführerin von The Lof reagiert man nicht. Battumur gelingt es zwar, die Frau auf Facebook ausfindig zu machen und kurz mit ihr hin und her zu schreiben. Als sie dann aber hört, dass wir das Interview für einen Artikel für eine deutsche Games-Plattform machen wollen, bricht diese den Kontakt ab. Es stellt sich heraus, dass sie die Tochter eines Mitglieds des mongolischen Parlaments ist. Battumur vermutet, dass sie dadurch einfach sehr vorsichtig sei. Ein Dead End.
Menschenhandel spielen
Wir graben uns weiter durch die mongolische Gaming-Szene. Finden ein Entwicklerstudio – Beer Night Studio. Laut eigener Webseite ein Indie-Studio, based in Ulaanbaatar, gegründet 2019. Mit folgendem Ansatz: „Beer Night Studio ist ein unabhängiges Entwicklerstudio, dass Videospiele auf dieselbe Art angeht wie die Gesellschaft Theater, Film, Poesie oder Malerei. Wir sind Spiele-Enthusiasten, verbunden durch das gemeinsame Ziel, Spiele mit Seele zu machen für ein globales und diverses Publikum“. Spiele als gesellschaftlich relevant, als Kunstform für ein diverses Publikum – das klingt vielversprechend. Ich frage ein Interview an, schicke meine Fragen vorab. Schnell bekomme ich eine Zusage für das Interview. Die dann aber immer wieder hinausgeschoben wird. Bis auf meine Nachfragen hin zuletzt gar nicht mehr reagiert wird.
Vielleicht, weil die Entwickler:innen gerade mitten in der Produktion ihres nächsten Spieleprojekts stecken: Carnival Hunt. Laut – geplanter – Kickstarter-Kampagne ein „first-Person social horror multiplayer game“. Was das genau ist? Ähnlich wie bei Dead by Daylight spielt man in einer Gruppe entweder den Jäger – das Karneval-Monster – oder den Gejagten – eines der Bunnies. Alle Figuren sind Aufziehpuppen aus Holz und werden zu Beginn jedes Matches per Schlüssel im Rücken aktiviert. Die Bunnies müssen weglaufen, sich verstecken oder totstellen – das Monster währenddessen möglichst alle Bunnies finden. Und das, während die Aufzieh-Zeit abläuft. Release-Date ist laut Webseite 2022, auf Steam findet sich dazu allerdings noch keine Angabe. Schaut man sich den Trailer zum Spiel an, bekommt das Ganze eine düstere Meta-Ebene. Zu Beginn des Trailers sieht man ein Gesucht-Plakat – darauf ein Kindergesicht. In der nächsten Einstellung dann eine der Häschenpuppen, aus der Ego-Perspektive, die gerade erwacht, ihre Holz-Hände betrachtet. Offenbar sollen die Bunnies im Spiel die verschwundenen Kinder sein, durch einen sinistren Horror-Karneval-Fluch in Aufziehpuppen verwandelt und gejagt von einem übermächtigen Predator.
Gewalt gegen Kinder war schon zuvor Thema des Indie-Studios. In deren Spiele-Debüt Fragile von 2020 spielt man ein Mädchen aus dem von Armut schwer betroffenen Jurtendistrikt Ulaanbaatars, die von Menschenhändlern entführt wird und aus dem verbrecherischen Netz moderner Sklavenarbeit, Ausbeutung und Organhandel zu fliehen versucht. Horror, der auf Realitäten gründet. Die Mongolei ist Transit-, Ziel- und Ursprungsland von Menschen-, vor allem Kinderhandel. Zwar bemüht sich die mongolische Regierung in den letzten Jahren zunehmend darum, den Menschenhandel einzudämmen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Das aber mit wenig Erfolg. Tatsächlich werden wenig Fälle aufgeklärt und verfolgt.
Here to stay
Die Themen, die Beer Night Studio in seinen Spielen aufgreift, sind weit weg von den Heile-Welt-Karaoke-like-Booths der Game Center in der Hauptstadt. Platz hat beides in der mongolischen Games-Szene. Spielekultur in der Mongolei – das ist schon jetzt so abwechslungsreich wie die vielen Variationen von Schagai, die es gibt. Und wandert jenseits der Game Center immer weiter in die Breite und den Mainstream – und die einzelnen Haushalte. Vor allem dank Mobile Games. Die werden nämlich immer beliebter. Da braucht man keine umfangreiche und kostspielige Technik und kann einfach mal im Vorbeigehen spielen. Das geht auch Bolor Battumur privat so: „Die Leute spielen zunehmend auf ihren Mobilgeräten, Tablets und so weiter. Ich spiele etwa Mobile Legends: Bang Bang mit meinen Kindern, so zwei bis drei Stunden in der Woche.“ Spielen wird zur Mainstream-Freizeitbeschäftigung. Aber dadurch auch zunehmend zur Privatsache – findet außerhalb der Game Center Kollektivräume statt. So wie für Munkhbaatar B. Er studiert Informatik in Ulaanbaatar und spielt am liebsten DOTA. In die Game Center geht er nicht – dafür hat er keine Zeit. Er gehört zu einer Generation, für die Technologie so selbstverständlich ist wie damals die Yaks im Straßengraben. Munkhbaatar kann von daheim aus spielen – er hat einen Laptop.
Ob Games-Kultur Privileg einer bessergestellten Elite bleiben wird oder sich tatsächlich auch in die Jurtendistrikte der Städte und bis hinaus in die Steppe, in der die Menschen noch heute als Nomaden leben, ausbreiten wird, bleibt abzuwarten. Und wird vor allem auch davon abhängig sein, ob das Land es schafft, die zunehmend auseinander driftende soziale Schere zu schließen. In den Jurtenbezirken der Hauptstadt, die nicht an die städtische Wasser- und Elektrizitätsversorgung angeschlossen sind und ihre Jurten vielerorts mit Kohle und Yak-Dung heizen, sind die Game Center weit. Und ein eigener Laptop oder PC oft unerreichbar.
sehr spannender Einblick!
Zwei Leute an der Konsole, eine Stunde 12€. Eine Person 1€? Irgendwie macht das doch keinen Sinn. Fehlt da etwas?
Jepp, irgendwie unlogisch das Abrechnungsmodell.
Richtiger toller Artikel. Genau für diese Art von Journalismus schätze ich wasted und unterstütze es gerne weiterhin. Endlich mal wieder was, das über den Tellerand und das alltägliche news-Gewitter hinausgeht und uns die Chance gibt, etwas grundlegend Neues über unser Hobby zu lernen. Danke!
Eigentlich ist’ mir zu unverschämt hier Eigenwerbung für mein eigenes Projekt zu machen, aber du hast einfach grad ohne es zu wissen den Claim von Superlevel zitiert, also interessiert dich das vielleicht auch, falls du neben Wasted noch mehr zeitgemäßen Spielejournalismus lesen magst
(Da findest du auch Texte von Nora, übrigens