Alle zwei Wochen setzt sich Rainer Sigl an seine Tastatur und schreibt dir einen Brief. Ja, dir. Es geht um die großen, wichtigen, letzten Dinge: Sex, Tod, die Liebe, das Leben, den Sinn des Ganzen. Und um Videospiele. Große, kleine, teure, obskure, die Menschen, die sie machen, kritisieren, spielen und lieben. Kurzum: Es geht ans Eingemachte. „Brief und Sigl“ ist eine Depesche aus dem Ludoversum.
Wien, 28.10.2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
es kommt jetzt vermutlich nicht als rasende Überraschung, dass ich persönlich nicht der größte Fan von AAA-Spielen bin. Die letzten circa 15 Jahre, in denen ich über Videospiele schreibe, habe ich mich mehr oder weniger auf Kleines, Obskures spezialisiert und die großen Hochglanz-Blockbuster nicht unbedingt ignoriert, aber dennoch nicht ins Zentrum meiner Arbeit gestellt.
Und zwar, weil mich das ewige Einerlei und Gefallenmüssen der großen Titel seit Jahren mehr und mehr langweilt . Ein zig Millionen teures Produkt darf nur kleine kreative Risiken eingehen; und die Kundschaft will immerhin auch meist genau das, was sie schon kennt, nur eben mit noch realistischeren Pferdehoden.
„Critics crave novelty“, also: KritikerInnen stehen auf etwas Neues, wie Tom Bissell das vor Jahren in seinem Abgesang auf „The Last of Us“ so passend formuliert hat, und das auch, weil wir das Ewigselbe einfach viel, viel, viel öfter vorgesetzt bekommen haben als das Publikum. Das äußert sich im vermeintlichen Hipstertum, dem Kleinen, Unscheinbaren mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen als dem Offensichtlichen, Aufpolierten; aber auch in der vielleicht ungerechten Geringschätzung gegenüber dem Großen, das ja oftmals nicht zu Unrecht erfolgreich ist.
Warum ich das schreibe: Auf der Festplatte meiner PS4 wartet seit mehreren Tagen ein Spiel auf mich, das erst in ein, zwei Wochen rauskommt und das ich, als Rezensent, vorab schon spielen darf. Dürfte. Sollte. Müsste. Muss. Es ist ein großes Spiel, von Millionen sehnsüchtig erwartet. Keine Ahnung, wie viele (vermutlich männliche) G4m0rs weltweit für die Gelegenheit, jetzt schon draufloszuspielen, wenn schon nicht morden, dann doch zumindest viel Geld bezahlen würden.
Ich schwör’s: Ich wollte es eh spielen. Aber dann ist mir was dazwischengekommen.
Und zwar das.
Vielen Dank, Cooler Hinweis!
Ich bin ja eh der Meinung, dass es der primäre Job eines Spiele-Kritikers ist, mich als Spieler dazu zu erziehen, „bessere“ Spiele gut zu finden.
Von daher immer her mit dem obskuren Tipps, um mich aus meiner Triple A Komfortzone rauszulocken. Gut begründet (oder gut geschrieben) muss es halt sein, sonst besteht die Gefahr dass es wirkt wie der Filmkritiker, der einem langweilige Arthouse-Filme schmackhaft machen möchte.
Anfang von Complex ist aber in der Tat vielversprechend. Dieses „liminal Spaces“ Ding ist schon cool.
Fun Fact: Sohn (12) kam vorbei, schaut kurz auf den Bildschirm und sagt: „Backgroom Games, wow! Die sind gerade voll in. Aber ich dachte doch du magst keine Horror-Spiele. Du musst da nämlich mit Jumpscares rechnen“. Ich war jedenfalls sprachlos. (Und, zugegeben: ein wenig stolz. Selbst wenn ich sonst bei der Erziehung nix auf die Reihe kriegen sollte: einen guten Spiele-Geschmack scheint er zu entwickeln… Die letzten Tage Uncharted (mein erstes Naughty Dog Machwerk) sagte ihm nämlich dagegen gar nix…)
<3
The Complex ist ein wenig subtiler als der Rest des Genres, aber dafür extrem creepy.