Wir sind mit Spielen groß geworden. Jetzt werden unsere Kinder mit uns groß. Bleibt zwischen Windelwechseln, Krabbelgruppe und Breifütterung überhaupt Zeit zum Spielen? Was geben Games uns mit auf dem Weg mit Nachwuchs? Geben wir unsere Liebe zu virtuellen Welten weiter? Hier gibt es Monat für Monat eine Heldinnen-Reise von der Geburt bis zum ersten eigenen Griff zum Controller.
„Wie hältst du es mit der Religion?“ Kaum ein anderes Thema kann Smalltalk so schnell töten – von Politik mal abgesehen. Kaum ein anderes Thema konstituiert uns selbst, unseren Platz in dieser Welt so sehr, wie dieses. In Gesprächen mit flüchtigen Bekanntschaften können wir sie prima ausklammern. Aber mit den Menschen, die uns nahe sind? Mit unseren Kindern?
Im warmen Flackerlicht der Kerzen sitzen meine Kinder im Wohnzimmer. Eine alte Schallplatte aus dem Werkstattkeller meines Schwiegervaters kratzt und knirscht auf dem Plattenteller. Rolf Zuckowskis kleine Freunde arbeiten sich durch die Adventszeit – und meine Kinder mit ihnen.
„Ich wünsche mir vom heiligen Christ, einen Kopf der keine Vokabeln vergisst“, schmettert meine Tochter mit. Es riecht nach Tannenzweigen. Und Gebäck. Über allem liegt hier ein Zauber. Ein Zauber, der mir fremd geworden ist. Obwohl ich in einem christlich geprägten Elternhaus aufgewachsen bin. Kirche, Kinderchor, das ganze Programm – bis ich die warme Decke weg strampelte.
Im Labyrinth der Abtei
„Du bist wirklich ein Protestant“, sagte mir mein katholischer Religionslehrer in der Schule immer. Weil ich protestierte, kritisierte. All diese gefühlten Wahrheiten nicht mehr hinnehmen wollte. Das wackelige Glaubensgebäude unter der Last rationalen Denkens zerbrach. Mit 14 vergrub ich mich immer mehr in Büchern. Im Urlaub mit meiner Familie lag eines im Regal unserer Ferienwohnung. Auf dem Einband hinten prangte ein Satz des Autors:
„Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften.“
Umberto Ecos „Der Name der Rose“ begleitete mich jeden Tag auf dem Weg ins Freibad. Während um mich herum alles lachend im Wasser platschte, versank ich im Mittelalter Ecos. In seinen Figuren, die ebenso krachend an der kognitiven Dissonanz zwischen Denken und Glauben zerbrachen wie ich. William von Baskerville und seiner Liebe zu Büchern, die verboten waren, weil sie den Glauben der Kirchenmänner in Frage stellten. Seinem Schüler Adson, dessen körperliches und emotionales Verlangen an kruden Moralvorstellungen zerschellte.
Heidenei, die Bayern
Was war hier das Gift? Jenes, das von den Seiten des verbotenen Buches troff und einen Mönch nach dem nächsten qualvoll zugrunde richtete? Oder jenes, das von den Kanzeln beim Komplet herabgebetet in die Herzen der Menschen tropfte und nur kleingeistige, unversöhnliche Unmenschlichkeit produzierte – mit dem hohlen Etikett „Der Wille des Herrn“ darauf.
Im warmen Flackerlicht der Kerzen geht der Meistermaler Andreas ins Bett. 25 Jahre später sitze ich vor der Konsole und begleite erneut einen Mittelaltermann in seine Zerrissenheit zwischen Glauben und Wissen.
„Pentiment“ sieht aus wie eines der Bücher, die die gelehrigen Brüder in Ecos Abtei im Ligurischen Apennin in den Kopierstuben der gigantischen Bibliothek des Klosters kopierten. Liebevolle Gemälde und Schnitte, die das Mittelalter in satte Farben tauchen und mittendrin Andreas Maler. Der Illustrator arbeitet in einem bayerischen Kloster für die Mönche an Drucken und Folianten – und nebenbei an seinem eigenen Meisterstück. Doch unter der bunten Fassade lauert wieder Grausiges. Der Adelige, der als Gönner zu Besuch in die heiligen Mauern kommt, liegt bald blutüberströmt in der Kapelle. Natürlich kurz nachdem er noch über Geisteswissenschaften und die Unzulänglichkeit der Kirche in theologischen Fragen disputiert hat.
Die Designer von Obsidian lassen mich rollenspieltypisch entscheiden, wie ich dem Verbrechen und den Vorgängen auf den Grund gehen will. Diplomatisch, der religiösen Etikette der Zeit entsprechend? Oder mit brutaler Ehrlichkeit? Die Bauern im Bestreben ihre heidnisch-römisch-bayerischen Wurzeln zu bewahren unterstützen? Oder doch lieber keine Welle beim himmlischen Arbeitgeber machen und Exkommunikation oder Schlimmeres riskieren?
Im Hier und Jetzt taste ich mich bei meiner Tochter behutsamer vor, als ich es mit Andreas im Spiel machen kann. Ihre Neugier auf das Konzept von Religion und Göttlichkeit wird von der Weihnachtszeit, den Lichtern und Liedern und Geschichten angefacht. Ein zartes Gebäude, das ich ihr nicht kaputt trampeln will, so wie es mein Andreas anderen im Spiel oft macht. Ganz unkommentiert lassen kann und will ich das mächtige Konstrukt auch nicht.
Wir sprechen darüber, dass es viele verschiedene Arten zu glauben gibt. Das es Menschen mit jüdischem, muslimischem oder christlichem Glauben gibt. Religionen mit Hunderten Göttern und welche, die ganz ohne einen einzigen auskommen. Und wie wichtig es ist, niemandem seinen eigenen Glauben aufzuzwingen. Zum Glück komme ich dafür nicht aufs Schafott oder gleich auf den Scheiterhaufen, wie die Ketzer in „Der Name der Rose“ oder „Pentiment“.
Ob und woran meine Kinder mal glauben werden? Wer weiß. Ein Glöckchen klingelt. Jetzt feiern wir erstmal ein Fest. Frohe Weihnachten.
Ach ja, die Sache mit Gott. Die Kirchen- und Gläubigendichte in unserer Gegend ist so hoch, dass wir nicht lang warten mussten, bis das Thema auf dem Tisch war. Schon im Kindergarten kam immer wieder die unschuldige Frage, wer eigentlich dieser Gott ist und warum da ein Mann rumhängt, der (gelegentlich sehr explizit) an Bretter genagelt wurde. Ich hab das versucht so objektiv und fair zu erläutern wie es mir möglich ist, habe auch Gründe für den Glauben angeführt und den advocatus theiou gegeben und doch war ich innerlich erleichtert, als irgendwann die Feststellung kam ‚Papa, das ist doch irgendwie alles unlogisch‘. Die religionsübergreifende, offene und fröhlich einladende Einschulungsfeier in der Kirche war dann jetzt kürzlich so dermaßen knallchristlich mit frommen Gebeten im Minutentakt, dass ich es als extrem übergriffig und alles andere als inkludierend empfand.
Und als mich mein Sohn nun am 24. 12. fragte ‚Papa, mal ehrlich, das Christkind gibt’s gar nicht, oder? Das seid ihr, oder?‘ hab ich ihn geknuddelt und gesagt, dass ich einen klugen Sohn habe. Dann haben wir Kekse gefuttert und Weihnachten gefeiert.