Brief und Sigl: As seen on TV

Alle zwei Wochen setzt sich Rainer an seine Tastatur und schreibt dir einen Brief. Ja, dir.

Es geht um die großen, wichtigen, letzten Dinge: Sex, Tod, die Liebe, das Leben, den Sinn des Ganzen. Und um Videospiele. Große, kleine, teure, obskure, die Menschen, die sie machen, kritisieren, spielen und lieben. Kurzum: Es geht ans Eingemachte. „Brief und Sigl“ ist eine Depesche aus dem Ludoversum.

Wien, 15.01.2023

Rainer Sigl

Schreibt und spricht seit 2005 (nicht nur) über Videospiele. Lebt in Wien.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wenn du das hier liest, hast du dich vielleicht sogar schon selbst davon überzeugen können, ob das große Games-TV-Event der Stunde etwas taugt oder nicht. Die ersten Kritikerstimmen sind ja ziemlich angetan von „The Last of Us“ als TV-Serie, und ich sehe auch keinen Grund, diese positive Grundstimmung anzuzweifeln. Craig Mazin, gemeinsam mit Neill Druckmann für die Show verantwortlich, hat ja mit „Chernobyl“ vor ein paar Jahren ziemlich eindrücklich bewiesen, dass er hochqualitativ und spannend inszenieren kann, und das Ausgangsmaterial, das Spiel selbst, eignet sich ja auch perfekt dafür.

Wie so oft bei Videospielen und dem öffentlichen Sprechen darüber irritiert mich aber das distanzlose Fantum, das da mancherorts den Diskurs durchdringt. Die maßlose Freude über eine gelungene Fernsehserie, in der Menschen sich durch eine Postapokalypse mit Zombies quälen, ist hier, so behaupte ich mal keck, zumindest teilweise immer noch dem alten Minderwertigkeitskomplex von SpielerInnenseite gegenüber den „klassischen“ Medien und der Gesellschaft allgemein geschuldet. Schaut her, ich hatte recht – Videospiele sind so toll, dass sie es ins Prestige-TV geschafft haben, endlich seht ihr Ignoranten das auch, haha!

Ich sag mal provokant: „The Last of Us“ war schon bei Erscheinen vor zehn Jahren als Film besser denn als Spiel. Seine große Qualität war es immerhin, einen zeitgemäßen,  „erwachsenen“ Tonfall für sein emotionales Drama zu wählen, der – vor allem im Kontrast zum ewigen C-Movie-Bombast in Games – den Vergleich auch mit anderen Medien nicht zu scheuen brauchte. 

„The Last of Us“ hat 2013 seine Geschichte auf eine für Videospiele innovative Weise erzählt – mit leisen Zwischentönen, einem Verzicht auf klassische Action- und Horror-Stereotype und mit realistischen, in moralischen Grautönen gehaltenen Figuren. In (Genre-)Literatur und Film gab’s das zuvor schon seit mindestens 50 Jahren. Von Mathesons „I Am Legend“ über Romero bis hin zu literarischen Schwergewichten wien Cormac McCarthys „The Road“ und  Colson Whiteheads „Zone One“ reicht die Palette von Kunstwerken, die sich auf differenzierte Weise mit dem Leben in postapokalyptischen Horrorsettings auseinandergesetzt haben. „The Last of Us“ konnte sich vor allem in seinem Tonfall in diese Reihe stellen; als Spiel musste es dann allerdings immer noch die übliche Handreichung an massenhaften Schusswechseln, Stealth-Morden und Leiterschleppereien bereitstellen, um seine interaktive Spielhaftigkeit aufrechtzuerhalten. 

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Das Gameplay beider Teile der Reihe war und ist konventionell und auf eine klassische Art und Weise ludonarrativ dissonant: Egal, wie unmittelbar, abstoßend und brutal die Gewalt hier auch präsentiert wird, beim 76. Mal wird das Abstechen, Erschießen und Erwürgen von Mensch und Mutant irgendwie Routine. Egal, wie traumatisiert Ellie, Joel und Abby von ihren  Erlebnissen auch sein mögen, als SpielerIn bin ich dann doch irgendwie stolz auf meine Performance in den Reaktionstests, die mir das Spiel stellt. 

Mit anderen Worten: „The Last of Us“ war eine gute, berührende und nahegehende Geschichte über die Auswirkung von systematischer, zufälliger,  gesamtgesellschaftlicher und persönlicher Gewalt auf einzelne Menschen und ihre Psyche, die durch ihre Präsentation in Form eines Spiels, durch ihre Interaktivität nicht selten konterkariert wurde. 

In dem Zusammenhang erscheint mir die zugegeben missverständliche und skandalisierte Aussage Craig Mazins in diesem Artikel im New Yorker eigentlich ebenso banal wie gerechtfertigt: 

„When you’re playing a section, you’re killing people, and when you die you get sent back to the checkpoint. All those people are back, moving around in the same way.“ At a certain point, they read as obstacles, not as human beings. In the show, such encounters would carry more weight: „Watching a person die, I think, ought to be much different than watching pixels die.“

Natürlich hat der Tod eines Gegenspielers im Spiel kaum emotionales Gewicht – weil er hunderte Male stattfindet, um das geforderte Maß an Gameplay-Interaktion für jene Zeitspanne zu bieten, die ein Vollpreisvideospiel eben zu liefern hat. Neun Stunden dauert „The Last of Us“ als TV-Serie, ungefähr doppelt so lang braucht man fürs Durchspielen von Teil 1. Bezeichnend, dass die interaktive Erfahrung der Gewalt im Spiel, das hundertfache Betätigen des  virtuellen Abzugs, das Zustechen mit dem Messer auf Knopfdruck, letztlich überhaupt keinen Einfluss auf die Geschichte hat. Das ist auch okay so, denn die Geschichte wäre dadurch nicht besser, dass man am Ende des Spiels die Wahl bekäme zwischen Ellie und dem Überleben der Menschheit. 

Aber zugleich: Welchen Mehrwert hat dann eigentlich das Erlebnis dieser Interaktivität, wenn ich abseits von Geschicklichkeitstests im Spiel nicht die geringste Möglichkeit habe, gemäß dieser Erfahrung zu entscheiden? Klar, die Frage ist rhetorisch: Gameplay ist das Integrationsangebot, das die Identifikation von mir mit der Figur zumindest theoretisch größer macht als bei klassisch nicht-interaktiven Medien. Ich fühle deshalb mit Joel, weil ich, in den interaktiven Sequenzen, Joel steuere. Die Kluft zwischen mir als Joel in den Szenen, in denen ich ihn steuere, und in Cutscenes lässt sich mal mehr, mal weniger einfach überwinden. Die Suspension of Disbelief ist im Fall solcher Spiele eben auch das freiwillige Akzeptieren dieser Differenz.

Um zum Anfang zurückzukommen: Dass „The Last of Us„ als TV-Serie vermutlich gut gelungen ist, bedeutet eben leider nicht, dass Spiele als interaktives Medium inzwischen weit in ihrer Bedeutung als ernstzunehmendes Kulturgut fortgeschritten wären. Ihre Adaption in ältere Medien beweist nicht ihre Qualität, sondern im konkreten Fall nur die seltsame Tatsache, dass „The Last of Us“, das sich in seiner Erzählung exzessiv filmischer Mittel bediente, auch ohne seine interaktiven Elemente gut funktioniert. Vielleicht, siehe oben, siehe ludonarrative Dissonanz, sogar besser.

Aber: Eigentlich egal, oder? Man kann sich ja trotzdem darüber freuen, dass eine Story, die uns schon als Videospiel berührt hat, jetzt auch als TV-Serie funktioniert. Vielleicht sollten wir aber zugleich umso mehr jene Spiele schätzen, die nie und nimmer so einfach in ein lineares, nicht-interaktives Medium zurückversetzt werden können. Die geben uns dann nämlich etwas, was es anderswo nicht gibt.

Dein

4 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Jagoda Jagoda says:

    Ein Gedanke, den ich ganz besonders hervorheben möchte:

    Was nützt die vielbeschworene Interaktivität, wenn sie sich größtenteils auf Reaktionstests beschränkt?

    Rainer nailed it.

  2. Avatar for Myron Myron says:

    Den Artikel kenne ich nicht und ich vermute, dass er einiges mehr hergibt als dieses Zitat, aber es müsste schon richtig heißen

    denn beides sind Metaphern für Personen.
    Es geht wohl um die Identifikationsangebote, die ein Film oder ein Spiel macht, und ich denke (auch), dass Identifikation bei Spielen alleine über das Gameplay schwierig herzustellen ist - ich habe The Last of Us nicht gespielt, aber es scheint auch da über die Narration zu funktionieren.

    Ich finde die Frage nicht rhetorisch, im Gegenteil, mir fallen eigentlich keine Spiele ein, denen die Identifikation primär über das Gameplay gelingt - oder reicht es schon, dass ich es bin, der das Spiel spielt?
    Wenn ich das Spiel, mit dem ich mich in den letzten Jahren am meisten identifiziert habe, betrachte (es ist - offensichtlich - Neverwinter Nights 2), dann hat die Identifikation über meine BegleiterInnen und die Musik funktioniert. Außer, dass ich meinen Charakter nach meiner damaligen nicht erwiderten großen Liebe benannt habe, war da für und durch mich nicht viel zu holen, weil der Charakter, den man spielt, notwendigerweise nur eine Hülle für die/den SpielerIn ist. Firewatch hat am Anfang diesen Fragebogen, durch den man die Vorgeschichte des Charakters generiert, das fand ich wirklich eine sehr schöne, innovative Idee - nur, dass es nach ca. einer Minute keine Rolle mehr gespielt hat (oder vielleicht doch, ich habe nur leider nach drei Minuten aufgehört, nachdem ich durch das Geräusch meines auf der Tastatur aufschlagenden Kopfes geweckt wurde). Vielleicht haben andere ein paar gute Beispiele für gelungene Identifikation mit Spielen und können beschreiben, wie diese bei ihnen hergestellt wurde.

  3. NW2 fand ich sehr schön, habe das mehrfach gespielt. Habe jetzt noch öfters die Musik im Ohr :slight_smile:

    Ich finde: Nur auf Basis von Identifikation mit einem Charakter / einer Gruppe von Charakteren gelingt das Erleben der Story, aber auch der Stories der Nebenfiguren, und somit das Eintauchen in die Welt. Da ich nur Spiele spiele, wo ich dies erleben kann, sind meine Beispiele für „Identifikation“ meine gesamte Favourite-Liste von Rollenspielen.

    Hingegen ist mir der Gedanke fremd, sich mit einem Spiel als solchem zu identifizieren, ohne dass inhaltlich eine Assoziation möglich wäre.
    Na gut, mit fortschreitenden Jahren vielleicht eher Identifikation mit einem Zeitalter (Amiga! Commodore! Die früheren Intel-Generationen). Das hat aber dann weniger mit dem Spiel zu tun als mit dem berüchtigten „Zeitgeist“.

    PS: NW2 versuchte ich letztens wieder zu spielen. Leider läuft es nicht mehr auf meinem eher modernen PC. So schade.

  4. Ich mache mich ja schon seit einigen Jahren mit meiner Meinung zu The Last of Us als Spiel unbeliebt.

    Die Geschichte ist gut und sie hat tolle Figuren. Aber es wirkt wie ein Spiel von jemandem, der etwas zu erzählen hat. Von jemandem, der das Lenkrad gar nicht aus der Hand geben möchte. Von jemandem, der vielleicht lieber einen Film machen wollte - und es inzwischen dann auch getan hat.

    Ich zitiere diese Stelle aus dem Finale von TLOU immer wieder, aber sie unterstreicht die ludonarrative Dissonanz, die Rainer an anderer Stelle benennt, besonders gut: https://twitter.com/GamePsychologe/status/1273898935778717696

    Hier fällt auf, dass The Last of Us sich bloß als Spiel verkleidet, ein großes Cosplay der Interaktivität. Aber die Maske fällt, wenn es darauf ankommt, Spieler:innen Agancy zuzugestehen. Denn erzählerisch gibt es die nicht. The Last of Us boxt seine Ideen kompromisslos durch. Widerstand ist zwecklos.

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