Draußen im All findet ein Duell zwischen zwei Spielen um die Horrorkrone statt: Zwischen dem Dead-Space-Remake und dem Dead-Space-Erben. Zwischen Aufguss und Innovation, zwischen Wiedergeburt und Original. Callisto betritt nun als erstes den Ring und entpuppt sich als Schlag in die Fresse des Mainstream-Geschmacks. Spielt es nicht, wenn ihr ein “gutes” Spiel sucht. Aber spielt es definitiv, wenn ihr an den “Neuen Horror” glaubt und dafür bereit seid, viele Nerven zu opfern. Viele. Nerven.
Ein totes Genre…
– Ich schreibe diesen Test in einem völlig überfüllten ICE Richtung Familien-Weihnachten. Das WLAN stirbt, das Klo ist verstopft, der Boden ist übersät mit Kinderspielzeug und Essen. Es könnte also keine bessere Umgebung geben, um über The Callisto Protocol zu schreiben –
Zeit für ein Briefing. Was ihr wissen müsst: Dead Space ist eine großartige Horror-Trilogie in zwei Teilen. Bis Ende 2017, denn da schloss Publisher Electronic Arts das verantwortliche Studio Visceral Games wegen zu geringer Verkaufszahlen. Dann Jahre später: Electronic Arts kündigt für Januar 2023 ein Remake von Dead Space an. Währenddessen haben sich Dead-Space-Schöpfer Glen Schofield und andere Ex-Viscerals unter dem Label Striking Distance Studio zusammengefunden, um ein eigenes Horrorspiel zu entwickeln. Quasi ein neues Dead Space, aber mit einem anderen Namen. Für Fans des Originals mit einem Hang zum Rebellischen ist es logisch, automatisch auf der Seite des Indie-Studios zu stehen. Weil EA in dieser Geschichte der Verräter und das Böse ist. Weil Striking Distance mit den Originalzutaten kocht. Allein aus diesem Grund muss Callisto Protocol besser sein. Aber besser ist das falsche Wort.
…kehrt zurück
Protagonist Jacob Lee transportiert Dinge. Von einem Planeten zum anderen. Er stellt keine Fragen, er macht einfach seinen Job. Als plötzlich Räuber*innen in sein Schiff eindringen, kommt eins zum anderen und sie stürzen allesamt auf einen Planeten ab. Pech nur, dass es sich um Callisto handelt, die Heimat des schlimmsten Space-Gefängnis da draußen: Black Iron, auch wenn seine sadistischen Wärter*innen es viel eher als Ferienort betrachten – für Wärter*innen. Aber Jacob hat Unglück im Unglück, was mathematisch wieder Glück ergibt: Als er in der Zelle aufwacht, hat der Ausbruch eines Alienvirus‘ das gesamte Gefängnis dahingerafft. Alienzombies, Insassen, Wärter – alle zerfleischen sich gegenseitig, während die Roboter pauschal auf alles feuern oder aufgrund von Zerstörung gekündigt haben. Es gibt nur noch ein einziges Knastgesetz: Du prügelst alles zu Brei oder wirst zu Brei geprügelt. Ein Game Award für Todesanimationen!
…und quält euch
Schnell merkt ihr, dass ihr ein Spiel spielt, das vor zehn Jahren sowas von auf dem Index gelandet wäre. Aber im All hört dich niemand schreien – außer ein Mithäftling, der den Laden praktischerweise in- und auswendig kennt. Das bringt ihm sofort den glorreichen und sicheren Platz in der Kommandozentrale ein, während Jacob nun mit seiner Anleitung den Weg nach draußen ebnen muss. So viel zur Story, die keine weiteren fünf Worte verdient und deren Twists absolut vorhersehbar sind.
Alles ist drin, schmeckt aber komplett anders.
Aber der Dead-Space-Vibe ist unverkennbar: Klaustrophobischer Sci-Fi-Horror, Energieleiste im Nacken statt im Rücken, das zu Matsch-Gestampfe, Monster die Gliedmaßen abtrennen – was haben wir das vermisst! Eine Wohltat nach dem in Action ertränkten Dead Space 3, eine Wohltat nachdem Capcom das gesamte Horror-Genre in den letzten Jahren komplett resident-evilt hat. Callisto Protocol ist ein Comeback der alten Zeit, eine Best-of-CD der Original-Schöpfer – mit der unheimlichen Atmosphäre aus Dead Space 1, auf einer actionhaften Gameplay-Basis aus Dead Space 2, die kurz nach dem Gefängnis durch eine Eiswüste à la Dead Space 3 führt, damit das auch nicht vergessen wird. Alles ist drin, schmeckt aber komplett anders.
…und ihr wollt das auch so
Das Kämpfen besteht zu 70 Prozent aus Nahkämpfen mit dem Elektroschlagstock. Optisch die reinste Augen(aus)weide, aber spielerisch furchtbar. Schlagen, Ausweichen, Schlagen, Ausweichen, Schlagen – Callisto will, dass ihr euch darauf einlasst, auf dreckige, körpernahe Gefängniskämpfe, aber das Ganze ist so unintuitiv, so unnachvollziehbar, so atmo-killend, dass eine einzige Einstellung reicht, um sich all das zu ersparen: Automatisches Ausweichen. Und der Frust ist gegessen. Callisto in einem Wort: Horror Su(ffering)rvival. Denn Überleben ist eben kein Spaß, es ist ein Kampf, der in den meisten Fällen tödlich endet.
Sterbt nächstes Mal besser nicht.
Die vielen Gegner*innen kesseln euch dauerhaft ein, die Areale sind zu eng, Jacob ist zu langsam. Es gibt zwar genug Munition, aber das hilft auch nicht, wenn das Nachladen und Waffen-Wechseln zu lange dauert. Das Kämpfen ist eine solche Tortur, dass selbst Splinter-Cell-Hater*innen anfangen werden, mit Stealth zu liebäugeln, um nur einmal die rasende Herzpumpe zu schonen. Manche Parts sind anstrengend und unfair designt, andere Parts können clever und schnell gelöst werden – vor allem da die spätere Fähigkeit, Monster per Gravitation zu schleudern, stellenweise wie Cheaten wirkt: Die Monster sterben sofort (!), wenn ihr sie in den Abgrund werft oder auf Objekte abseits des Weges zielt, wie beispielsweise Container oder Betten. Wenn auch nicht Karma auf eurer Seite ist, ist es zumindest die Matrix dieses Spiels.
Irgendwo ist der Ausgang…
Callisto ist ein absolut unangenehmer Ort, so unangenehm wie schon lange kein Ort in einem Horrorspiel. Er ist endlos, besteht aus Metall, Fleisch, Blut und Dunkelheit – so verflucht, als ob der/die Schöpfende schon lange vor der Geburt Selbstmord begangen hat. Monster jagen euch durch eine Station, um euch herum befinden sich riesige, dröhnende Tanks mit Flüssigkeit – so weit weg von einem sicheren Ort hat sich noch niemand aufgehalten. Das Ende eines Kampfes lässt euch nicht jubeln, denn es bedeutet nur den Anfang des nächsten.
Quantitätsmatrix
Jeder von Jacobs verzweifelten Schreien bei einem grauenvollen Tod fühlt sich wie ein Stromschlag durch den Controller an. Sterbt nächstes Mal besser nicht. Meine grauenvollsten Ängste wurden endlich erhört, lehrt mich das Wort Horror erneut begreifen, fasst mich nicht mehr mit Samthandschuhen an, schiebt den Regler weiter. So sehr euch die schlecht gesetzten Speicherpunkte nerven, so endlos euch das elende Kriechen durch die vielen Ladezeiten-Schächte vorkommen mag, dieser Horror-Horror verschafft eine unglaubliche Motivation, weiterkommen zu wollen, endlich den Ausgang zu finden, das Spiel endlich zu beenden.
…das ist einfach nur schlecht.
Callistos bester Part ist die verwaiste Kolonie kurz vor dem Ende, spielerisch eine kleine Höllenzeitschleife, in der ihr bei jedem Versuch eine neue Todesursache entdecken werdet. Einfach zum Ausgang durchsterben. Ob ihr an blinden Kreaturen vorbeigeht oder an schlafenden, euer Herz schaltet so oder so in den Stand-By. Das Spiel legt euch nahe, durchzuschleichen, aber das ist falsch. Wenn ihr allerdings versucht, euch durchzuballern, ist das genauso falsch. Eine Tötungsmaschine, die immer wieder Monster zu euch hereinschickt, bis ihr irgendwann ein am Boden liegendes Monster tötet und damit den gesamten gescripteten Apparat außer Gefecht setzt. Der anschließende Aufzug fährt nicht nur nach oben, sondern auch nach draußen.
…aber ehrlich gesagt
In seinen schlimmsten Momenten ist Callisto Protocol eine Zumutung, zum Glück gibt es davon nur wenige und diese betreffen immer die Bosskämpfe. Durch einen einzigen Schlag zu sterben, bei einer ohnehin sehr langsamen Steuerung, ohne kämpferische Tiefe, einfach einen unsichtbaren Energiebalken zu minimieren, fühlt sich sehr unbefriedigend an. Das ist kein Horror, das ist auch kein performativer Horror (wie oben beschrieben), das ist einfach nur schlecht. Bosskämpfe sollten sich wie verdiente Finalen anfühlen, nicht wie richtig mies gelaunte Türsteher*innen, die keinen wirklichen Grund haben, euch nicht durchzulassen, außer aus reiner Freude an eurer Frustration. Wenn das Duell geschafft ist und das besiegte Monster noch die Hand für einen guten Kampf reichen will, werdet ihr sie ihm einfach abhacken. Nein, danke für nichts, du Scheusal.
Wenn nach 12 Stunden die Credits über den Bildschirm laufen, werdet ihr froh und traurig zugleich sein. Trotz allem hat sich das nach etwas Neuem angefühlt. Diese Ideen waren frisch und anders genug, sodass sie die falschen Designentscheidungen überwiegen. Metacritic ist das egal, es rechnet alles zusammen und wenn der Wert nicht über 80 fällt, ist das Spiel für die meisten Leute durchgefallen. Der Kampf gegen das Dead-Space-Remake? Den hat Callisto bereits verloren, je nachdem, von welchen Richter*innen man ausgeht. Da wird sich das Remake an mehr Standards halten und leichter konsumierbaren Horror abliefern. Zwar nichts Neues, aber nichts aus der Reihe Tanzendes, es wird deutlich leichter einzusortieren sein.
Für den direkten Vergleich: Ich habe kürzlich Dead Space von 2008 gespielt und es ist immer noch gut, keine Frage. Aber sein Horror hat eben Grenzen und nach 14 Jahren gibt es keine neuen Höhepunkte oder Überraschungen mehr. Was zeichnet guten Horror aus? Ich für meinen Teil ergreife lieber Partei für “schlechte” Spiele, wenn sie darauf neue Antworten geben, anstatt immer nur die gleichen. Ich kann niemanden dafür verurteilen, wenn er/sie/* keine 60 Euro dafür ausgeben möchte. Wenn riskante Experimente keine 60 Euro kosten dürfen. Spielt Callisto nicht, weil ihr Dead Space 4 erwartet. Spielt Callisto, wenn ihr Lust auf etwas Neues habt, eine wertvolle Praline, ummantelt von einer Hölle aus Angst. Ihr seid hiermit gewarnt und mit dieser Einstellung werdet ihr das Spiel viel besser genießen können, vertraut mir. Für meinen Teil hat Callisto schon jetzt dieses Duell gewonnen. Einfach so, damit der Hunger nach Neuem, Mutigen niemals endet.
– Wir haben eine Verspätung von 32 Minuten. Sie werden Ihren Anschlusszug nicht erreichen. Wir bitten um Entschuldigung. Wer übrigens meine Eindrücke zu Callisto Protocol als akustische Erfahrung erleben möchte, ist herzlich dazu eingeladen, auf dem kuchigsten Podcast der Welt vorbeizuschauen: Coffee, Cake & Games. –
Fazit
Die WASTED-Redaktion vergibt außerdem den
Schönes Review und Hallo Michael
Proclaimer: Ich bin einer jener, derer sich Horrorspiele eh nicht erschließen.
Aber es gehört wohl schon was dazu, ein Spiel zu designen, in denen die Kämpfe keinen Spaß machen, die Levels zu eng zum Kämpfen sind und sich Bosse eher als Strafe als Belohnung anfühlen.
Meine Wertung:
Doppel-NichtReizvoll
Schöner Text
Haben wir dasselbe Spiel gespielt? Ich finde es weder neu noch schwierig, dafür absolut durchschnittlich im Guten wie im Schlechten. Nichts daran überrascht oder gruselt mich, aber es ist eine angenehm lineare Erfahrung mit streckenweise hübscher Grafik und dem ein oder anderen cinematischen Moment. Im Vergleich mit OG Dead Space finde ich Bewegung und Kampf dynamischer und interessanter. Die Story fällt sogar hinter dem Horror-Trash-Standard zurück, dafür sehen einige Szenen und Areale recht beeindruckend aus.
Insgesamt ist es eher Uncharted mit Space Mutants als Horror-irgendwas. Und das ist schon ziemlich durchschnittlich, aber irgendwie auch bekömmlich.
Zwei Spiele auf einmal gebasht, nicht schlecht.
Habe nach dem Beitrag wieder ganz leicht gezweifelt und überlegt ob ich mir vielleicht mal irgendwann in der fernen Zukunft … nein, endgültig kein Bock drauf.
Danke dafür.
Kein Dank für das Erwähnen von Uncharted, nächstes Mal bitte Tomb Raider als mäßiges Beispiel heranziehen.
Ja, ich habe auch an Tomb Raider gedacht, aber wollte nicht, dass jemand an die alten Spiele dabei denkt.
Und ich sage das ganz lobend! Ich liebe die lineare Achterbahn daran.