If I can make it there

Wie ich auszog, das große Versprechen von New York City zu ergründen

Mindestens dreimal war ich bereits in New York City; zweimal virtuell und einmal im Herbst letzten Jahres. Als Ruhrgebiets-Provinzler stellte mich das vor mittelgroße Herausforderungen, Kulturschocks und die Frage, welches Game die Big-Apple-Experience wohl am besten einzufangen vermag.

Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht sehr groß. Mit gerade mal etwas mehr als 250.000 Einwohnern gilt er zwar offiziell als Großstadt, ist damit aber einer der kleineren im Ruhrgebiet. Und vielleicht auch einer der provinziellsten. Es gibt circa zwei gute Locations, die man am Wochenende besuchen kann und ein mittelgroßes Theater, das es in den 50ern zur Berühmtheit geschafft hat. Für mehr als zweieinhalb U-Bahn-Linien hat es nicht gereicht und der ICE hält hier samstags.

Kunst gibt’s auch: Ein Fels, der (nicht) von Wasser getragen wird („Kraft des Wassers“ von Takashi Naraha  in Gelsenkirchen) | © Wikimedia

Natürlich kenne ich auch größere und bedeutendere Städte, sie sind ja gleich nebenan. Und wenn der Schnellzug dann mal kommt, bringt er mich nach Berlin, Hamburg oder München. Eine Stadt in der Größenordnung von New York allerdings war mir bisher fremd. Umso größer mein Respekt, als ich mich vergangenen Herbst in den Flieger in Richtung Übersee setzte.

New York, oder genauer New York City, das ist diese Stadt, die überall stattfindet und die doch nur Fiktion ist. Eine unechte Stadt, ein Märchen und vor allem ein gefährliches Pflaster. Wer hier alles herumgeistert. Der Amokläufer Nico Bellic zum Beispiel, der radioaktive Peter Parker, die Ghostbusters und ihr Spuk, Frank Sinatra, Hulk, ein T-Rex und nicht zuletzt Ross Galler.

Irgendein Bild von New York

Hirngespinste sind das Eine, die Grenzkontrolle kurz nach der Landung das Andere. Obwohl sie mich nur mit trivialen Fragen löcherte. Ja, auch die Frage nach meiner Absicht, straffällig zu werden, war dabei. Hier macht man besser keine Scherze. New York gilt im weltweiten Vergleich als zwölft-sicherste Stadt der Welt, noch kurz vor Frankfurt und weit vor Rom. Am Einreise-Fragenkatalog wird es nicht liegen, denn wie sich später herausstellte, konnte ich mich an mein Versprechen, nichts Verbotenes zu tun, nicht ganz halten.

NYC ist die zwölft-sicherste Stadt der Welt

Als mich das Ankunftsterminal vom John F. Kennedy International Airport genauso schäbig empfing wie der Duisburger Güterbahnhof, war ich einigermaßen überrascht, aber auch beruhigt. So weit von zu Hause weg schien ich gar nicht zu sein, man kocht hier auch nur mit Wasser. Oder anders gesagt: Mit seinem Dreck, seinem Lärm und seinen Baustellenschildern ist New York City genauso real wie der industrielle Staub meiner Heimat.

Der Vergleich ist nicht einmal allzu gewagt: New York City, heute prosperierendes Finanzzentrum, baut auf Ruinen seiner Industriekultur des letzten Jahrhunderts auf. Vom Krieg und von Arbeitslosigkeitswellen gebeutelt steht es heute, wie das Ruhrgebiet, irgendwo zwischen Glanz und Armut, Licht und Schatten. Die Menschen echt, die Sprache universell, die Taxis gelb. 

Vertrautheit war das Gefühl, das ich Ruhrgebietsprovinzler am wenigsten erwartet hätte als die Stadt mich durch ihre Straßen schleuste. Die Brücken, die Feuerleitern, die Architektur, das Aussehen der Briefkästen und das Ampeldesign. Ich kannte das von zu Hause, dachte ich. Und das stimmte ja sogar. Ich kannte es aus dem Kino, aus den Sitcoms meiner späten Jugend und aus Grand Theft Auto IV. Zwar ist die Gangsterfantasie, der ich dort anheim fiel, zum Glück nicht zu vergleichen mit einem echten Städtetrip; das Gesicht der Stadt, ihr Wesen aber haben sich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich möchte gerne glauben, dass es dazu beigetragen hat, den Kulturschock abzufedern. 

I <3 NY suddenly

Wird oft mit Jennifer Aniston verwechselt: Barney Stinson von Brooklyn Nine-Nine.

Seitdem ich von diesem Ausflug zurück bin, spiele ich Games, die in New York stattfinden, mit anderen Augen. Ich habe den Abspann von GTA IV bereits zweimal gesehen und verbinde damit gute Zeiten im heimischen Wohnzimmer. Jetzt verbinde ich damit real Erlebtes. Quasi auf der anderen Seite des Ereignishorizonts erlebe ich das Spiel zum ersten Mal mit den Augen eines Möchtegern-New-Yorkers. Ich weiß, dass der Stadtteil „Duke“ eigentlich für Queens steht, in dem sich meine Unterkunft befand. Dass der Times Square mittlerweile verkehrsbefreit ist und ich ihn auf der In-Game-Karte sofort ausmachen kann, auch wenn er dort „Star Junction“ heißt. Die ersten gefühlten dreißig Missionen lang lauert das, was Manhattan darstellen soll, als Skyline am Horizont, wartet wie ein Versprechen. Immer wieder fahre ich auf die Wolkenkratzer zu, nur um doch rechts abzubiegen in einen Stadtteil, der „Bohan“ heißt und die Bronx vertreten soll. 

Die Skyline Manhattans wartet wie ein großes Versprechen

Taxis in einer stehenden Stadt

Um in New York ein Taxi führen zu dürfen, benötigt man neben einer Fahrlizenz auch ein so genanntes Medallion. Es gibt ungefähr dreimal so viele lizensierte Taxifahrtüchtige wie Medallions, was die Preise dieser übertragbaren Ausweise zeitweise in die Millionen trieb – zumindest bevor Uber und Lyft am Markt mitgemischt haben. In Liberty City der späten Nullerjahre gibt es diese Services noch nicht. Dafür kann man die gelben Kutschen als Schnellreise nutzen und die Fahrzeit bei Bedarf überspringen, was ich nicht mehr tue. Zu prägend ist die Erinnerung an meine erste tatsächliche Taxifahrt von JFK nach Manhattan (52 US Dollar übrigens, ein gesetzlicher Festpreis für diese Route). Währenddessen rufen mich Dimitri, Bruce und Roman an, der wieder beim Bowling verlieren möchte. Wenn man dem Taxifahrer in Liberty City sagt, er solle einen Zahn zulegen, endet das meist in völlig unnötigen Crashes. Wenn man das in New York City sagt, ändert das am Ankunftszeitpunkt rein gar nichts, denn die Verkehrsdichte in NYC ist ungleich höher als in Liberty City. Ein Report aus 2018 beziffert die Durchschnittsgeschwindigkeit des Autoverkehrs in NYC auf gerade mal 7,5 Kilometer pro Stunde. Ein tatsächlicher schwerer Kraftfahrzeugdiebstahl (Grand Theft Auto) lohnt schon allein deswegen nicht. Was soll man schon mit Autos in New York City?

Don’t fuck with the cab driver

Wo wir hinschwingen brauchen wir keine Straßen

Wer nicht fahren kann, muss zusehen, wie er durch die Stadt kommt. GTA IV ist nicht das einzige Videospiel, das in NYC spielt, und auch nicht die originalgetreuste Variante. Diese Trophäe hält seit 2018 Spider-Man (das Spiel), das sogar mit echten Orts- und Straßennamen angeben kann. Hier heißt der Central Park so wie er heißt und beherbergt tatsächlich die zwei großen Wasserreservoirs, an denen ich entlang spaziert bin, bis hin zu dem kleinen Unterstand am Ufer, an dem ich Pizza aß. Das Spiel ist technisch auf einem anderen Niveau als GTA IV, alles glänzt, was nicht nur am Raytracing liegt. Spider-Man’s New York City ist eine ganze Spur aufgeräumter, hübscher und gefälliger. 

Dass alles glänzt liegt nicht nur am Raytracing

Wie für alle landläufigen Superhelden gilt auch für Spidy Gewalt als Universallösung aller Probleme. Nun mangelt es in New York an Problemen nicht, aber zufällig auf dem Times Square marodierende, mit Raketenwerfer bewaffnete Gangs gehören selten dazu. In Spider-Man (dem Spiel) marodieren sie allerdings minütlich, mit viel Krach und Brimborium. Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, braucht halt Probleme, die aus Nägeln bestehen. Dieser Umstand nötigt einem nicht nur bei Spider-Man (dem Helden) einen tiefen Schluck aus dem Suspension-of-Disbelieve-Glas ab, sondern bei ausnahmslos allen so genannten Superhelden der Unterhaltungsindustrie. 

Welches Spiderschweinchen hätten’s denn gern?

Allein seit dem Jahrtausendwechsel gibt es mindestens zehn separate High-Budget-Verfilmungen mit Spider-Man in der Hauptrolle und noch eine weitere Handvoll Co-Auftritte in anderen Marvel-Filmen. Und immer wieder Onkel Ben, Tante May, Mary-Jane und immer wieder New York. Die Stadt funktioniert dabei wie eine Bühne für ein fantastisches Spektakel, in dem Helden und Schurken sich die Klinke in die Hand geben. Eine eigenständige Rolle bekommt sie dabei kaum. Manchmal wird von „People of New York“ gesprochen, als ob das ein einheitlicher Körper wäre, der sich als Kollektiv versteht, das dazu verdammt ist, all die Zerstörungswut über Jahre hinweg einfach hinzunehmen. Im Film und besonders im Spiel ist die Stadt eingeteilt in brave Bürger, die vor Katastrophen und vor ihrer eigenen Unfähigkeit beschützt werden müssen, und bewaffneten Räubern, die nur darauf warten, dass der Spinnenmann sich herablässt, um ihm dann mit Sprüchen und gezückter Waffe Angst machen zu wollen. Immerhin bemüht sich die ubisoftesque Karte von Spider-Man (dem Spiel), unter ihre Markierungen auch Sehenswürdigkeiten zu mischen, für deren Ablichtung Gadgets freigeschaltet werden. Empire State Building, Broadway, Madison Square Park – Spider-Man (das Spiel) ist damit mindestens auf dem Niveau eines Sightseeing-Touristenbusses. 

Ich fahre gerne Bus, aber nicht als Tourist

Ich fahre zwar gerne Bus, aber nicht als Tourist, und begebe mich wieder nach Liberty City. Das kann mit echten Straßennamen, geschweige denn der realen Größe von NYC nicht mithalten, und wirkt doch echter als die Hollywood-Version mit Peter Parker. Niemand versucht hier die komplexen Probleme einer Großstadt im Alleingang zu lösen. Im Gegenteil, hier bin ich, alias Nico Bellic, Teil des Problems. Das ist zwar auch nur Fiktion, aber sie findet in einer Umgebung statt, die ansonsten einem recht beschaulichen Alltag nachgeht. Hier hat niemand auf mich gewartet, kein New Yorker muss von mir gerettet werden (allerhöchstens vor mir); die Stadt, so wunderschön und dysfunktional, schnurrt auch ohne meine Anwesenheit selbstvertieft weiter. Mein Beitrag zu diesem System ist noch nicht einmal originell, ich bin nicht der erste und nicht der einzige Soziopath mit Geldsorgen in der Stadt und selbst wenn ich einem zweifelhaften Amoklauf-Verlangen Raum gebe, drückt die Stadt kurz danach den Resetknopf und erfreut sich seinem Business as Usual. Ein bisschen dramatisch, aber nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Sing Hallelujah if you can

In meinem Real-Life-Besuch in Brooklyn besuchte ich unter anderem einen Gottesdienst, der, übertrieben ausgedrückt, christlich-fundamentalistisch war. Die Community waren zwar hauptsächlich People of Color, auf der Bühne aber predigte ein Pastor, der weißer nicht hätte sein können, und war sich in seiner Predigt nicht zu schade, den Obdachlosen von New York zu „helfen“, indem er zum Gebet für sie aufrief. Viel mehr könne man von den rechtschaffenden Menschen nicht verlangen, Gottes Wege und so. Auf mich wirkte das weltfremd und absurd. Und doch bot dieser Gottesdienst den Anwesenden Trost, Halt und ein versöhnliches Miteinander. Als Nico Bellic von seinem ersten Date Michelle gefragt wird, wie er Liberty City als Hinzugezogener denn so fände, meint er: „Diese Stadt macht die Leute verrückt“. Was er damit meint, verstehe ich nach drei Stunden „Praise the Lord! God is love! Love is God!“ ganz gut. Diese Erfahrung war bizarr, eine infantile Kultmesse mitten in einer progressiven Großstadt, aber kaum aus den Türen des ehemaligen Theaters hinausgetreten und die Welt war wieder zurückgesetzt, auf ein es-ist-was-es-ist, ohne Reue, ohne Vergeltungsdrang. An diesem Abend trank ich auf der Brooklyn Bridge ein Bier in aller Öffentlichkeit, was nach wie vor verboten ist, und kam mir einen Hauch verrückter vor, als ich es ohne NYC gewesen wäre.

Ratten der Schufte

Verrückt ist auch, dass New York ein viel größeres Problem hat als Gewalt und Verkehr: Ratten. Das passt metaphorisch unglaublich gut sowohl zu GTA IV als auch zu Spider-Man, die letzte große spielerische Thematisierung von Ratten aber findet wohl in A Plague Tale: Requiem statt, das nichtmal in den USA spielt. Mit etwas Wohlwollen lassen sich die Tauben bei GTA IV noch als Ratten (der Lüfte) bezeichnen. Sie sind ein abschießbares Collectible, einhundert an der Zahl, und der Vergleich mit der tatsächlichen Anzahl von Ratten in New York hinkt gewaltig: in 2021 wurden in NYC mehr als 21.000 Rattensichtungen gemeldet. Und das sind ja schließlich nur die Ratten, die auch sichtbar waren.

Es gibt kaum einen Ort, an dem noch keine Ratten New York City bevölkert haben | © Katapult Magazin

Besser Kammerjäger als überall Spinnenrotze

Wenn Peter Parker schon die Stadt von allem Übel fernhalten will, hätte er sich vielleicht besser als Kammerjäger-Man verdingt, und damit den „People of New York“ einen größeren Gefallen getan als überall Spinnenrotze rumhängen zu lassen. Und auch Nico wäre wohl frei von Geldsorgen und hätte seine Rachegefühle verhaltenstherapeutisch konfrontieren können, hätte sein Cousin kein Taxi- sondern ein Ungeziefer-Bekämpfungs-Unternehmen aufgebaut. Spielerisch wäre dabei vielleicht etwas zwischen Power Wash Simulator und Ghostbusters herausgekommen.

Big city devs

Irgendwas muss ja an New York City dran sein, dass Geschichtenschreibende nicht müde werden, sie immer wieder als Projektionsfläche zu nutzen. Drama, Action, Comedy, Trash, New York kann alles. Kein Wunder, es hat ja auch alles. Es ist bis zum Bersten gefüllt mit Widersprüchen und Diversitäten. Soho ist nicht nur Hipster-high-life, sondern auch zu teuer, und auch in der Bronx gibt es wohlhabende Viertel. Chinatown und Little Italy sind stolze Kommunen, keine Ghettos, und die U-Bahnen, die mich in das modernste Stadtzentrum der USA führen, sind seit Jahrzehnten nicht mehr überholt worden. Das Entwicklerstudio Rockstar Games selbst sitzt in Manhattan, nicht weit weg vom Washington Square Park und direkt an der Metrostation Broadway-Lafayette Street. Von hier aus sind es gerade mal zehn Minuten zur Brooklyn Bridge und vielleicht dreißig bis zum noch nicht fertig gentrifizierten Red Hook Hafengebiet. Und während gen Nordwesten das Finanzzentrum schimmert, erstreckt sich jenseits der Brücken eine Mischung aus Hoffnung, Lärm, Geschichte und Bubble Tea. Jeden Tag einen Arbeitsort wie diesen aufzusuchen, muss sich irgendwo im Ergebnis Bahn brechen (an dieser Stelle ignorieren wir der Dramaturgie wegen, dass GTA IV von Rockstar North entwickelt wurde, die in Edinburgh, Schottland zu Hause sind).

Jenseits der Brücken eine Mischung aus Hoffnung, Lärm, Geschichte und Bubble Tea

Es gibt nichts gutes, außer man tut es

Die Auseinandersetzung mit dem Ausgangsmaterial bei der Entwicklung ist das eine. Das spielerische Erleben einer Welt ist das andere. Für starke Gefühle zu einem Ort ist eine bedeutungsvolle Interaktion mit ihm und seinem Wesen entscheidend. Wenn Spider-Man sich durch Manhattan schwingt, kann mir ziemlich egal sein, wo genau er seine Netze befestigt. Er macht das einfach, jeder Plausibilität trotzend. Es kann mir egal sein, was da unten auf den Straßen passiert, es kann mir auch egal sein, ob ich direkt auf ein Gebäude zuschwinge und daran zerschmettern dürfte. Solange ich R2 gedrückt halte, geht es nahtlos im Spidertempo weiter, nur vertikal. New York’s Ecken und Kanten können mir egal sein. 

Nico Bellic erlebt seine Version von New York wie normalsterbliche Menschen. Er geht zu Fuß, nutzt Autos, Taxis, U-Bahnen und Busse. Die Fahrphysik von GTA IV wurde wegen ihrer Trägheit oft kritisiert, doch sie ist einer der wesentlichen Faktoren, weshalb ich mich mit den Straßen, den Autos und dem Puls von Liberty City beschäftigen muss. Es ist nicht einfach, in einer Millionenstadt voll mit Verkehr und Straßen im Hippodamischen Schema von A nach B zu kommen. Ich tue mir selbst einen Gefallen und präge mir ein, über welche Straßen welches Viertel am besten zu erreichen ist, wann ich ein Auto knacke und welche Straßen ich nutze, um den Cops zu entkommen. Die Häfen in Broker haben nur zwei Zugänge bei denen ich meinen Wagen nicht direkt schrotte, und ich weiß, dass ich in beiden deutlich vor der Kurve bremsen muss, um nicht dem totalen Kontrollverlust zu erliegen. Wenn ich schnelle Autos fahren möchte, sollte ich mich eher in Alderney statt in Bohan aufhalten und schicke Klamotten finde ich rund um den Middle Park. 

Manche Fahrzeuge in GTA IV haben ein Navigationssystem, das mit einem „Ping-Pong“-Sound auf auszuführende Manöver hinweist. Die Frauenstimme-Version dieses Navis spricht dieses „Ping-Pong“ sogar ab und zu mit menschlicher Stimme aus. Siri hat Humor. | © GTA Fandom


Mark Brown kritisierte im Rahmen seiner Game Maker’s Toolkit Reihe, dass sich „wie Spider-Man zu fühlen“ zwar dem Spiel innewohnt, aber wenig Bedeutung hat, wenn es um das eigene, persönliche Gefühl von Progression und Meistern von Skills geht. Peter Parker ist von Minute eins an übermenschlich, unantastbar und nahezu unkaputtbar (ein Begriff, der übrigens aus der Werbung der frühen PET-Flaschen aus den 90ern stammt). Der narrative Vergleich mit Nico Bellic ist hanebüchen, aber doch teilen sich GTA IV und Spider-Man (das Spiel) in etwa dieselbe Projektionsfläche und Spielende stehen in beiden Fällen vor der Aufgabe, durch New York bzw. sein fiktives Pendant zu navigieren. Spider-Man (der Held) macht das und ohne großes Zutun in perfekter Eleganz. Nico stolpert, crasht und fällt alle Nase lang hin, es sei denn, ich lerne und meistere, ihn und seine Vehikel zu beherrschen. Vielleicht auf dieser Straße mal kein Vollgas geben, vielleicht mal behutsam auf die Bremse treten um die Reifen nicht zu blockieren (geht nur mit analogen Buttons, großes Sorry an alle Tastatur-Gamer), vielleicht nicht sofort in ein Auto einsteigen, wenn gerade Cops in der Nähe sind. Zig Mikroentscheidungen beschäftigen mich, die Welt und ihre Regeln beschäftigen mich, ich beschäftige mich mit Liberty City.

In Spider-Man (dem Spiel) heißt die Brooklyn Bridge zwar wie in echt, aber sie ist weder so konstruiert noch so zu gebrauchen.
In GTA IV gibt es den auch real existierenden Fußweg oberhalb der Fahrbahnen und ich kann ihn sogar benutzen.

Wir erinnern uns nie in aller Genauigkeit an Orte und Erlebtes oder den tatsächlichen Ablauf. Wir werfen in unserer Erinnerung sogar Namen, Uhrzeiten und ganze Ereignisse durcheinander und übereinander. Das, was wir erinnern, ist das Gefühl, das wir hatten, die Assoziationen, die wir mit den Momenten verbinden. Ich war in New York und sah es wieder – einmal haargenau rekonstruiert, einmal künstlerisch nachempfunden. Die Frage danach, welcher Version ich mich verbundener fühle, ist nun leicht zu beantworten. 

Mirko Lemme Freier Autor

ML Redaktion

Mirko ist hauptberuflich Webdesigner und -entwickler, passionierter Gamer und Musiker. Irgendwann hat er mal was mit Journalismus studiert, aber am liebsten geht es ihm um den „Primary Loop“, also den Kern einer Angelegenheit. Er scheut sich darüber hinaus nicht, Douglas Adams und Sibylle Berg in einem Atemzug zu nennen.

9 Kommentare


Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel, danke! Jetzt habe ich auch Fernweh :wink: . Schade, dass meine RPG-Spiele so gar nicht in NY spielen, höchstens in den Apocalypse-Versionen von Washington und Vegas. Aber eine meiner Lieblingsserien, Elementary, zeigt NY, merkwürdigerweise aber eher die „europäische“ Seite mit Brownstone Häusern.
    So, ich checke jetzt sofort die Flugpreise in den Herbstferien :wink:

  2. Avatar for Bonito Bonito says:

    Als Freund gepflegter Noir-Narrative war ich ja vor allem verblüfft, aber auch ein bisschen begeistert, dass es im echten New York tatsächlich dampfende Gullydeckel gibt.
    Allerdings ist diese Stadt auch bemerkenswert muffig. Kein guter Ort für Schimmelphobiker…

  3. Ja, das siehst du in Manhattan wirklich sehr häufig, wenn es etwas kühler ist oder es regnet. Ist das alte Dampfheizungssystem, dessen Rohre unter den Straßen verlaufen.

    Die Tagesschau hat da etwas nettes zu geschrieben.

  4. Avatar for Faxe Faxe says:

    Ich war auch im Oktober letzten Jahres das erste Mal in NY.
    Hattest Du Zeit Dir am Moma die Präsentation der Games am Schaufenster angeschaut?

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