Ready Parent One – Episode 12: Beat it

Vielleicht steckt in jedem ein Guitar-Hero.

Wir sind mit Spielen groß geworden. Jetzt werden unsere Kinder mit uns groß. Bleibt zwischen Windelwechseln, Krabbelgruppe und Breifütterung überhaupt Zeit zum Spielen? Was geben Games uns mit auf dem Weg mit Nachwuchs? Geben wir unsere Liebe zu virtuellen Welten weiter? Hier gibt es Monat für Monat eine Heldinnen-Reise von der Geburt bis zum ersten eigenen Griff zum Controller.

Twang. Pling. Pling. Brrrring. Kerrang. Flat-Picking. Ein Slide auf das tiefe E im siebten Bund. Flageolette-Ton auf der H-Seite im 12. Bund im 10. Flageolette auf der G-Seite. Slide. Slide. Tapping. Slide. Tapping. Flageolette-Arpeggio. Und wieder von vorne. Immer und immer wieder die gleichen Takte. Immer und immer wieder die gleichen Noten. Auf minimalem Tempo. 

Die Albumversion von „G.O.A.T“ der Band Polyphia ist von mir gerade ungefähr soweit entfernt, wie der Mond. Am Anfang schreien mein Kopf und mein Körper. Was mute ich ihnen da auch zu? Was mute ich meiner Familie zu, die sich das erbärmliche Geplinker anhören muss? Mute. Bis sich die Technik ihren Weg in mich hinein frisst. Das Lick langsam ein Teil von mir wird. Meine Finger automatisch über die Saiten wandern, der Kopf sich ausklinkt und das Gefühl übernimmt. Die ersten zwanzig Sekunden von Dreiminutenirgendwas. Ein Anfang.

Musik, Musik

Krankheit, Religion, Tod – schreib doch mal zur Abwechslung über was Schönes in deiner Kolumne, hat Teresa zu mir gesagt. Etwas Schönes mit Videospielen und Elternzeit. Mit Games hatte ich zuletzt oft das Schwere verarbeitet, mich mit meinen Sorgen, Ängsten und der Dunkelheit auf die digitale Couch gelegt. Geschaut, was der Tastendruck am Controller aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche spülte. Wenn ich Schönheit und Licht will, greife ich zur Gitarre. Vielleicht hat das etwas mit dem Ausgangspunkt beider Beschäftigungen zu tun?

Aus: HI-FI RUSH – Action-Adventure – Tango Gameworks – Release 25.01.2023

In Videospielen betrete ich die (Gedanken-)Welt anderer und haue meistens etwas kaputt (was natürlich auch etwas mit der Wahl der Spiele zusammenhängt, aber die meisten sind doch immer noch auf diese einfachste Art der Interaktion mit ihrer Welt zurückgeworfen). Mit einem Instrument in der Hand bringe ich die Dinge in mir in die Welt draußen. Der Mariachi sagt irgendwann im Film „Desperado“: 

„Es ist leichter eine Pistole zu beherrschen, als meine Gitarre… 

leichter zu zerstören als zu erschaffen.“

Beides bringt etwas in mir zum klingen. Wo ist jetzt die Schnittmenge? Zwischen Schöpfung und Zerstörung? Das Schöne, das mich vorwärts zieht und das alles verbindet. Das ich mit meinen Kindern teilen kann? Rhythmus. Beat. Musik.

Töne und Tonies

Wenn ich an meine frühesten Erinnerungen mit meiner Tochter zurückdenke, ist da immer eine Melodie. Als klassische Konsum-Opfer-Eltern haben wir bald nach ihrer Geburt eine dieser verfluchten Tonie-Boxen angeschafft, auf denen man auch selbst bespielte Figuren singen lassen kann. Meine Tochter konnte noch nicht laufen, da schwofte sie schon im Sitzen zu Aretha Franklins „Respect“, das wir auf das kleine Musikmännchen geladen hatten.

Mit nicht ganz zwei Jahren schnappte sie sich eine Ukulele aus der Wandhalterung, klimperte los und sang „Toss a Coin to your Witcher“. Heute tanzt sie im Wohnzimmer mit filigranen Bewegungen und verträumtem Gesicht, wenn „Goodbye Yellow Brick Road“ auf dem Schallplattenspieler läuft. Gerade waren wir wieder zusammen im Plattenladen stöbern, um gemeinsam Neues zu entdecken. Ihr größter Wunsch: Klavierspielen lernen wie ihr Held Sir Elton John. Wenn sie traurig ist, bringt sie „Tonari no Totoro“ wieder zum Schweben. Unser Leben ist Musik. Wie passen da Videospiele überhaupt noch rein?

Jeder Beat ein Hieb

Twang. Pling. Pling. Brrrring. Kerrang. Ein Doppelsprung mit A. Der Magnethaken auf LB katapultiert mich durch die Arena. Der Rhythmus pusht mich weiter nach vorne. Zweimal X, dreimal Y. Immer auf den Beat. Die Gitarre in meinen Händen drischt auf die Gegner ein, pulverisiert alles mit einem Kreischen aus dem Verstärker. Die Combo hat gesessen. Jeder Hieb ein Akkord. Ausweichen mit RB. Die Spielwelt von „Hi-Fi Rush“ vibriert im Takt des Songs. Bass und Drums und blinkende Lichter lassen meinen Körper auf dem Sofa wippen. Mit einem Klick auf beide Analogsticks aktiviere ich den Finisher, rutsche mit angelegter Gitarre auf die Robotergegner zu und shreddere alles in Grund und Boden. Was für ein Solo.

Wenn ich an meine frühesten Erinnerungen mit Videospielen zurückdenke, ist da immer eine Melodie. 

Dib dib – didididib dib – deb dedededeb deb deb dudeln die Chiptunes von „Monkey Island“ aus den Boxen meines Kinder-PCs. 

Brang Brang Brang Brang hallt Matt Uelmens Akustikgitarre unheilverkündend durch das nächtliche Tristram.

Dingdongdongdong Dingdongdongdong Dingdongdongdong schwebt der Harfenklang von Zeldas Feenquelle aus meinem N64. 

Dumdudumdum Dum Dum Dum wummert der Bass von Mark Morgan unter den Ambient- und Industrial-Kaskaden im Soundtrack von „Fallout“.

Welche Songs werden meine Kinder sich erspielen? Wenn mich der Score eines Spiels nicht packt, bleibe ich kalt. Wenn er greift, schwebe ich durch digitale Welten wie meine Tochter mit leichten Bewegungen durchs Wohnzimmer. Wippe im Takt wie mein Sohn bei den Beats von Nujabes. Oft genug bleibt Musik im Spiel aber nur Stimmungsmittel. Mitte der 2000er bin ich zwar auch auf der „Guitar Hero“-Plastikinstrumentenwelle gesurft. Danach war der Soundtrack zu Games oft nur Beiwerk. 

Und jetzt stolpere ich über „Hi-Fi Rush“. Das Hack-n-Slay von Studio Tango Gameworks kommt für mich aus dem Nichts. Zu einem Zeitpunkt, an dem mich viele Spiele langweilen und ich viel lieber mit und für meine Kinder musizieren will, als stumpf vor dem Bildschirm zu sitzen.

Held Chai bekommt durch einen Unfall seinen MP3-Player implantiert und einen Roboterarm, mit dem er eine Schrott-Gitarre schwingt. Im Rhythmus der Musik räumt er in der dystopischen Cell-Shading-Welt des Spiels unter den Schergen eines fiesen Mega-Konzerns auf. Die Story ist egal, dafür steht der Sound im Mittelpunkt. Alle Aktionen der Spielfigur werden verstärkt, wenn sie im Takt ausgeführt werden. Oft wird für Actionspiele die Tanz-Metapher bemüht. Hier trifft sie voll. 

Im Rhythmus springen, schlagen und ausweichen – zu Beginn ist das noch eine holprige Angelegenheit. Ein Bisschen wie einen neuen Song zu lernen. Aber sobald Hippocampus und Hände sich einig sind, wird aus der Arbeit ein Riesenspaß. Das Spiel entfaltet dann einen mitreißenden Flow, ich werde eins mit Spielwelt, mit den Songs. Am Ende eines Levels – mein Herz tanzt. Ich lege den Controller weg und nehme die Gitarre auf den Schoß. Wäre doch gelacht, wenn ich dieses Lick nicht genauso lernen könnte, wie die letzte Combo. 

Christian Neeb Freier Autor

CN

War früher Redakteur beim GEE Magazin, bei der Fernsehsendung Reload und beim Spiegel. Heute wechselt er Windeln, kocht Nudeln mit roter Soße, liest Geschichten vor und schreibt nebenbei als freier Autor.

12 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Photan Photan says:

    Wieder sehr schön, vielen Dank! Lieblingskolumne:)

  2. Toller Text. Freue mich über jede neue Folge.

    Und zwei Fragen die ich mir stelle:
    Erstens: Woher kriege ich so coole Plattenaufbewahrungsboxen? Self-made? Sind nämlich schön flach.
    Zweitens: Kann ich ohne LehrerIn Gitarre lernen? Steht nämlich noch auf meiner Bucket-List.

  3. Avatar for cneeb cneeb says:

    Vielen Dank!

  4. Avatar for cneeb cneeb says:

    Danke fürs Lesen!

  5. Avatar for cneeb cneeb says:

    Hi Strapinski, das freut mich wirklich sehr. Zu deinen Fragen:

    1. Die Aufbewahrungsboxen sind tatsächlich selbstgebaut von Teresa, die deutlich mehr handwerkliches Geschick besitzt, als ich. Es war eines ihrer Schwangerschaftsprojekte.

    2. Das geht auf jeden Fall. Ich hatte auch am Anfang keine Lehrerin. Meine erste Akustikgitarre habe ich mir vom ersten Zivi-Gehalt gekauft und dann in den Pausen (und wenn keiner geguckt hat) erstmal Akkorde geübt. Viele Songs kannst du schon mit relativ geringem Aufwand begleiten lernen. Wenn du E, D, C, G und A greifen kannst, dann spielst du wahrscheinlich 80 Prozent (oder so= aller Popsongs. Zu Beginn werden dir die Fingerkuppen etwas weh tun (besonders bei Stahlsaiten), bis du Hornhaut drauf bekommst. Dann geht es leichter. Irgendwann kommt dann so ein Lern-Plateau, wo es Sinn macht, sich mit anderen kurzzuschließen, die schon etwas mehr Erfahrung haben. Besonders, wenn du etwas spielen möchtest, das technisch etwas anspruchsvoller ist. Am meisten habe ich immer im Zusammenspiel mit anderen gelernt. Aber die Basics kann sich jeder selbst beibringen. Und es lohnt sich. Es gibt zumindest für mich kaum etwas, das schöner ist, als selbst Musik zu machen. Viel Erfolg dabei und erzähl mal, wie es klappt!

  6. Avatar for Purf Purf says:

    Unbedingt. Wenn nicht Gitarre, was dann? Das Gute auch: es ist das vielleicht einzige Instrument, in dem Stücke sehr einfach lesbar ohne Noten aufgeschrieben werden können/sind.

  7. Ich hab tatsächlich in meiner Jugend mal eine E-Gitarre gehabt, aber keine wirkliche Motivation spielen zu lernen. Damals hab ich schon gemerkt, dass die Schmerzen in den Fingern gar nicht so ohne sind.

    Und als ich vor nicht allzu langer Zeit mal wieder mit einer Akkustikgitarre rumprobiert habe, tat das auch ganz schön weh.

    In einem Video habe ich mal gehört, dass evtl. eine Stufe dünnere Saiten helfen könnten. Hat dazu jemand von euch eine Meinung?

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