Scars Above Review

Amalgam statt Musterlösung.

Scars Above ist wie Dark Souls. Scars Above ist wie Returnal. Für das AA-Spiel aus Serbien gibt es viele Vergleiche. Unser Autor Ben Strobel findet sogar noch einige mehr. Außerdem verrät er euch, warum Scars Above ihm gut gefallen hat.

Amalgam [amalˈɡaːm], das
Vereinigung oder Verbindung mehrerer Elemente

Vielleicht hat man euch erzählt, Scars Above sei das nächste Returnal. Vielleicht habt ihr auch von einem Vergleich mit Dark Souls gelesen. Oder ihr habt gesehen, dass es sich um einen Third-Person-Shooter in einem Sci-Fi-Setting handelt. Das alles stimmt. Mehr oder weniger jedenfalls. Vor allem aber ist Scars Above eine mutige Zusammensetzung vieler Elemente.

In diesem Review nehme ich euch mit auf eine Reise durch die Spiele, die ich in Scars Above wiedergefunden habe. Auch wenn nicht alle Elemente zünden, setzen sie sich zu einem Spiel zusammen, das mir sehr viel Spaß gemacht hat.

Returnal, bist du es?

Life is Strange (2015)
3D-Adventure des französischen Entwicklers Dontnod Entertainment

Quantitätsmatrix

Scars Above startet ruhig. Noch bevor wir auf einem fremden Planeten stranden, bevor wir verschiedene Waffen bauen und uns durch außerirdische Monster ballern, erkunden wir unser Raumschiff. Wir schlüpfen dabei in die Rolle von Dr. Kate Ward, spüren durch die Kabinen der Crew und finden ihre Spuren in Fotos und Memorabilia.

Wenn wir die Objekte betrachten, hat Kate ein paar nette Worte auf den Lippen oder macht einen neckischen Kommentar, der wie mit einem Augenzwinkern durch die vierte Wand bei uns ankommt – ganz wie wir es von ihrer spirituellen Vorläuferin Max Caulfield und anderen Figuren kennen, die wir in Spielen wie Life is Strange steuern. Das Raumschiff könnte genauso eine High School sein und die Crew-Mitglieder unsere Mitschüler. Aber es ist nicht Life is Strange in Space. Das wird schon bald sehr deutlich.

Assemble with Care (2019)
Puzzle-Spiel von Ustwo Games, den Machern von Monument Valley

Bevor schließlich alles ganz anders kommt, als die Adventure-Atmosphäre nahelegt, macht Scars Above einen kurzen Ausflug ins Puzzle-Genre. Als ich eine Waffe zusammenbauen und Einzelteile erst richtig einmessen muss, fühle ich mich an einen Sommernachmittag in einem anderen Spiel erinnert, in dem ich einen Game Boy mit viel Liebe zum Detail repariert habe. Als ich mir “Assemble with Care” ins Notizbüchlein schreibe, weiß ich noch nicht, dass es der letzte Ausflug dieser Art sein wird, den Scars Above mit mir machen würde. Zwar wird im weiteren Spielverlauf immer wieder davon die Rede sein, eine Waffe oder ein Gadget herzustellen. Anders als bei der ersten Bastelaufgabe wird es sich ab jetzt nur noch um einen einzigen Tastendruck handeln, der sich hinter dem großen Wort Crafting verbirgt. Einige mögen beruhigt aufatmen. Doch wäre es bei dem liebevoll gestalteten Minispiel geblieben, hätte Scars Above vielleicht nochmal an unserem Verständnis des bekannten Spiele-Schimpfworts rütteln können.

Ich glaube, der will nicht nur Kekse verkaufen.

Metroid Prime (2002)
Action-Adventure des texanischen Entwicklerstudios Retro Studios

Dann geht alles ganz schnell: Das seltsame Artefakt, das in Erdnähe durchs All treibt, transportiert Kate und den Rest der Crew auf einen unbekannten Planeten. Wenn wir – als Kate – wieder zu uns kommen, befinden wir uns im tiefsten Sumpf und bekommen es mit den ersten Monstern zu tun. Glücklicherweise haben wir unsere VERA mit Sorgfalt zusammengesetzt und finden sie unversehrt in ihrem Köfferchen vor. Mit gezielten Blitzen zappen wir drei Spinnen weg, dann passiert etwas Unerwartetes: Wissenschaftlerin Kate analysiert die arachnoiden Kadaver, zieht neues Wissen daraus, mit dem wir neue Fähigkeiten im Skilltree kaufen können, und formuliert einen Logbucheintrag. Nichts auf der Welt schreit mehr Metroid Prime als das Scannen von außerirdischen Lebensformen auf fremden Planeten. Es transportiert zudem sehr gut, dass Kate Wissenschaftlerin ist, die sich ihre Umgebung durch Analyse und wissenschaftliche Methode erschließt. 

Später werden wir noch die ein oder andere Keimdrüse einer fremden Lebensform analysieren, um neue Waffen oder Technologien daraus zu entwickeln. Leider bleiben diese Mechanismen sehr an der Oberfläche und trivialisieren den Prozess in zwei Tastendrücke: einen für die Analyse und einen, um unmittelbar danach ein neues Gadget aus Luft und Wissen zu erschaffen. Ich mag die ganze Idee dahinter und ich bin dankbar dafür, dass Scars Above mich nicht in einen endlosen Grind nach Ressourcen zwingt, um Wissen in eine Waffe zu verwandeln. Aber vielleicht hätte sich etwas mehr Arbeit am Ende sogar ehrlicher angefühlt als die Abkürzung durch zwei kurze Bildschirme, die ich mit je einer Taste bloß wegklicken muss.

Dark Souls (2011)
Fantasy-Rollenspiel des japanischen Entwicklers FromSoftware

Der oben erwähnte Dark-Souls-Vergleich hat seine Begründung, wenn es über oberflächliche Ähnlichkeiten nicht hinausgeht. Hauptsächlich lässt er sich dadurch rechtfertigen, dass es in Scars Above Monolithen gibt, die wie Bonfires funktionieren. Sterben wir, starten wir am letzten Monolithen, den wir besucht haben – und auch allen Gegnern wird neues Leben eingehaucht. Wie in Dark Souls müssen wir also immer einen ganzen Spielabschnitt am Stück meistern, um den Fortschritt am nächsten Monolithen zu verfestigen. Erfahrungspunkte können wir dabei jedoch weder verlieren, noch grinden.

Am Ende des Tages hat Scars Above auch wenig mit der unnachgiebigen Schwierigkeit eines Dark Souls zu tun. Allein zu Anfang zieht der Schwierigkeitsgrad kurz an, um danach aber kontinuierlich und mit jeder neuen Waffe abzufallen. Das Gunplay ist zwar abwechslungsreich – jede Waffe hat eigene Effekte wie Verbrennung, Einfrieren oder Blitzschaden im Wasser –, doch die kleine Zahl von Gegnertypen kann mit unserem Arsenal schon bald nicht mehr mithalten. Dasselbe gilt für die Vielzahl kreativer Gadgets, die wirklich rundum Spaß machen, aber einige Kämpfe viel zu einfach machen.

Ah, ein Bonfire, äh, ein Monolith!

Batman: Arkham Asylum (2009)
Action-Adventure des britischen Entwicklerstudios Rocksteady 

Scars Above muss sich jedoch nicht sagen lassen, langweilig zu werden. So gibt es immer wieder kleine Rätsel, die sich mit der Action angenehm abwechseln. Mal müssen wir Gegenstände im Inventar untersuchen und Objekte richtig einsetzen, ein anderes Mal bekommen wir es mit Schieberätseln zu tun. Die Puzzle sind nie wirklich fordernd, ihr Trick besteht vielmehr darin, das Spieltempo an den richtigen Stellen zu variieren. 

Eines dieser Elemente ist die Rekonstruktion eines Tatgeschehens, für die Batman: Arkham berühmt-berüchtigt ist. Hier wie dort muss ich attestieren, dass sie spielerisch keinen großen Mehrwert bieten und stattdessen vor allem die Fiktion des Spiels bedienen. Bei Batman wird der weltgrößte Detektiv dabei abgerufen, bei Kate trägt es dazu bei, sie als Wissenschaftlerin zu etablieren. Leider gilt hier dasselbe wie für ihre Logbuch-Einträge der Marke Metroid Prime: Ich liebe die Idee, aber sie geht nie tief genug, um mich komplett zu überzeugen. Dennoch, ich freue mich über die Abwechslung und die mutige Kombination von Spielideen.

Returnal (2021)
Roguelike-Shooter des finnischen Entwicklerstudios Housemarque 

Wenn man sich nur ein paar bewegte Bilder von Scars Above ansieht, drängt sich kein Vergleich schneller auf als der zu Returnal. Der fremde Planet, die düstere Alien-Architektur, das Mysterium um die ewige Wiedergeburt der Protagonistin. Die Parallelen sehen überzeugend aus. Zugleich ist es jedoch der am wenigsten schmeichelhafte Vergleich, den man bemühen kann. Die kompromisslose Roguelike-Bullet-Hell von Returnal ist in fast allen Belangen ausgefeilter als Scars Above. Nicht nur ist es optisch beeindruckender und technisch viel polierter, es kann seine Spielprinzipien viel geschickter mit seiner Geschichte verbinden. Im Vergleich dazu wird die Auflösung der Mysterien in Scars Above vor allem nach hinten raus ziemlich flach.

Da möchte man nicht Zahnarzt sein.

Scars Above (2023)
Action-Adventure-Shooter des serbischen Entwicklerstudios Mad Head Games

Returnal ist ein Hardcore-Spiel mit extremem Schwierigkeitsgrad, das man nicht jeder oder jedem empfehlen kann. Scars Above ist im Vergleich zugänglicher, mit rund 10 Stunden Spielzeit angenehm kürzer und auf die Zeit gerechnet auch abwechslungsreicher. 

Auch wenn Scars Above keine Rekorde schlagen und bei Award-Shows nicht großflächig abräumen wird, so ist es doch ein mutiges Spiel. Es ist nicht faul und es folgt keiner einfachen Musterlösung für Actionspiele. Scars Above ist die Vereinigung vieler Ideen und Spiele zu einem neuen. Ein solches Amalgam, auch mit seinen Ecken und Kanten, weiß ich wirklich zu schätzen. Denn es hat durchaus mehr Charakter als so manche glatt polierte Perle.

Fazit

Punkte: 79

Benjamin Strobel

Nennt sich Gamepsychologe, weil er Psychologe ist und sich mit Games beschäftigt. Produziert Podcasts, streamt und schreibt Beiträge über Spiele. Manchmal spielt er sie auch.

Gelungenes Amalgam aus Spielelementen. Ein abwechsungslungsreicher Zehnstünder, der nicht perfekt ist, aber auch nicht langweilig wird.

Scars Above

Third-Person-Sci-Fi-Horror-Soulslike mit Rätseln und Adventure-Elementen.

Höhe in Disketten
42,67 m
Spieltiefe
5 bar
Ist das noch Indie?
50%
Gewalt
0,5 Doom
Eleganz
3
Metascore-Abweichung
10

12 Kommentare


Kommentare

  1. Totgeglaubte leben länger. Enjoy!

  2. Welch’ Freude! Ein Review zu Scars Above kommt mir gerade recht. Die Wertung hatte sich mir beim Lesen schon so ungefähr aufgedrängt und beschliesst den Text schlüssig.
    Merci @Gamepsychologe!

  3. Sehr schöner Text, vielen Dank dafür!

  4. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Da ist sie wieder, die 79.
    Ok, 84 und 89 usw. werden ja auch immer gerne genommen, um zu sagen: ein bisschen besser und du wärst ein gutes/sehr gutes/geniales Spiel.
    Eigentlich braucht es nur null, vier, fünf und neun, um passende Wertungen im 100er-System zu basteln. :slightly_smiling_face:

    Eine Kleinigkeit @Gamepsychologe: Roguelike-Shooter des finnischen Entwicklerstudios Roguelike-Shooter Housemarque, Ergänzung: abwechsungsluchsreicher im Fazit. :wink:

  5. Danke für das Review, macht definitiv Lust drauf es testen. Bei mir klickt da vor allem die Mischung gepaart mit relativ kurzer Spielzeit. Finde ich mittlerweile ganz dankbar.

  6. Gutes Spiel, rockt!

  7. Oh, ein Fan? :slight_smile: Ich habe online viel Gemischtes gelesen, aber ich mochte es halt irgendwie. Was hat die gut gefallen?

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