Warum die Netflix-Serie „Arcane“ den Gaming-Diskurs bereichert

Alice genießt als Fan von Videospielen, auch mal nur Chips zu essen und trotzdem alles mitzubekommen.

Ein professionelles „League of Legends“-Team trainiert 8-12 Stunden am Tag. Davor und danach wird jede freie Minute genutzt, um privat weiter zu üben. Selbst als Amateur*in braucht es jede Menge Zeit und Skill, um das MOBA zu beherrschen: Laut Riot Games verbrachten Spieler*innen im Durchschnitt 832 Stunden mit LoL.

Um die neue Serie „Arcane: League of Legends“ zu sehen, musste ich weitaus weniger leisten: Pinkeln, Chips holen, Serie auf Netflix starten. Fröhlich vor mich hin gammelnd fragte ich mich: Wird der Trend von Videospielverfilmungen unser Verständnis von Gaming nachhaltig prägen? Ziemlich lange gab es einfach keine gelungenen Verfilmungen. Jeder klägliche Versuch scheiterte daran, dass die Elemente aus dem Spiel nicht sinnvoll auf die Leinwand übertragen werden konnten. Auch wenn Super Mario Bros. 1993 für mich einen gewissen nostalgischen Charme besitzt. Der von Dennis Hopper gespielte Koopa sah einfach nur lächerlich aus und dass Toad ein weirder Straßenmusiker war, habt ihr zurecht längst verdrängt.

Ähm. Nein.

Selbst simple Fighting Games wie Tekken oder Mortal Kombat konnten lange nur auf B-Movie-Niveau umgesetzt werden. Auch Uwe Boll versuchte immer wieder sein Glück und wurde für „Alone in the Dark“ und „Bloodyrayne“ mit der goldenen Himbeere nominiert. Mein einziges Paradebeispiel für eine gute Verfilmung war lange Zeit Takashi Miikes „Phoenix Wright“ von 2012. Die japanische Komödie traf genau den Ton der beliebten Videospiel-Reihe und ließ abgefahrene Charaktere in den Gerichtsverhandlungen agieren.

Eine neue Hoffnung

In den letzten Jahren kamen viele neue Versuche hinzu. Eine freudige Überraschung war 2019 Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu, der die Elektromaus und viele andere Pokémon sehr charmant mit den bekannten Attacken und Eigenheiten in einer fiktiven Großstadt inszenierte. Im selben Jahr zeigte auch die Witcher-Serie, wie man auf Basis von Roman und Videospiel eine Geschichte inszenieren kann, die auch Nicht-Spieler*innen begeistert.

„Meisterdetektiv Pikachu“ ist die bestbewertete Videospielverfilmung bei Rotten Tomatoes.

Doch trotz höherer Budgets und deutlich besserer Technik, gab es 2020 weiterhin grauenhafte Kreationen wie Sonic the Hedgehog und Monster Hunter. Und auch Resident Evil: Welcome to Raccoon City (2021) mag zwar näher am Spiel liegen, als die inhaltsleeren Action-Spektakel von Paul W. S. Anderson, bietet als Film aber einfach keinen Mehrwert. Diese Fails zeigen immer wieder, dass es nicht reicht, einfach Setting und Charaktere aus den Videospielen nachzustellen. Ein gelungener Film muss auch ohne Fans funktionieren, die konstant „ich kenn‘ das aus dem Spiel“ rufen.

League of Legends ohne Training

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Das beweist „Arcane: League of Legends“ gerade sehr erfolgreich: Nach einer Woche kletterte die Serie in 38 Ländern auf Platz 1 der am meisten geschauten Titel auf Netflix. Und das, obwohl viele der Zuschauer*innen das Spiel nicht kennen. Auch ich habe noch keine Sekunde LoL gespielt und fand es unheimlich angenehm, dass das bei Arcane scheinbar völlig okay ist und niemand fragt „Du hast das echt noch nie gespielt?“ Bei den anstehenden Verfilmungen zu Uncharted und Last of Us sehe ich mich jetzt schon jedes Detail auf Authentizität überprüfen. Bei Arcane ließ ich mich von dem beeindruckenden Mix aus handgezeichneter Kunst und CGI endlich mal treiben und lernte mit Runeterra eine komplett neue Welt kennen.

Im Zentrum der Geschichte stehen die verwaisten Geschwister Violet und Powder, die von Ziehvater Vander gefunden werden. Als kleine Gruppe schlagen sie sich durch die Industrie-Stadt Zaun, die in Konkurrenz mit dem anderen führenden Stadtstaat Piltover steht. Beide konkurrieren darum, die besten wissenschaftlichen Innovatoren zu sein. Immer wieder spielen Kristalle eine Rolle, die von den Wissenschaftlern Viktor und Jayce in mächtige „Hextech“-Edelsteine verarbeitet werden können. Nach einem fatalen Unfall in der dritten Folge, sehen wir wie die beiden Geschwister getrennt voneinander aufwachsen. Als bekannte „League of Legends“-Charaktere Vi und Jinx stellen sie sich dem Konflikt von unterschiedlichen Seiten.

Alice Wilczynski

Nach ihrem Lehramtsstudium hat Alice sich mit Sprachen und Game Studies beschäftigt und ihre besten Jahre bei 4Players als Head of Video verbracht. Jetzt will sie mit ihrem YouTube-Kanal Horrorzeit reich und berühmt werden.

A house divided

Die Geschichte einer gespaltenen Region passt gut in die Welt des Gaming. Immer noch gibt es bestimmte Vorstellungen, welche Dinge man wissen sollte und welche Fähigkeiten man haben muss, um mitzumachen. Dadurch können bei Außenstehenden Unsicherheiten entstehen, dass sie nicht die Skills oder Technik haben, um Videospiele mal auszuprobieren. Immer, wenn ich in einem Nicht-Gaming-Umfeld einen Zockabend veranstaltet habe, musste ich vorab mit Sätzen wie „ihr braucht kein Vorwissen, jede Person kann kommen“ Überzeugungsarbeit leisten.

Es hat sich zwar einiges in den letzten Jahren getan und den Satz „Gaming ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, haben sich einige bereits auf ihr Dekokissen gestickt. Dennoch braucht es nach wie vor bestimmte Phänomene, um die breite Masse anzusprechen. Und durch den Boom von VOD-Diensten ist die Einstiegshürde so gering, dass Opa sich plötzlich dafür interessiert, mit der Enkelin über Hextech zu sprechen.

Meine Mutter spielt mittlerweile jeden Tag Pokémon Go

Auch Pokémon Go hat zuletzt bewiesen, dass es nur Konzepte braucht, die auch Nicht-Spieler*innen kennen, Monster fangen und spazieren gehen, um Leute fürs Gaming zu begeistern. Meine ursprünglich nicht zockende Mutter spielt mittlerweile jeden Tag kompetitiv Pokémon Go, hat schnell das Maximallevel erreicht und kennt alle Strategien. Gaming hat ihr plötzlich so viel Spaß bereitet, dass schnell auch eine Switch ins Haus kam und Zelda: Breath of the Wild und Witcher 3 durchgespielt waren. So viel zum Thema „die spielen doch nur Handyspiele“, ihr Trottel.

Kid A Mnesia Exhibition: Ausstellung und Explorationsspiel in einem.

Mittlerweile werden regelmäßig große Stars wie Katy Perry oder Ed Sheeran in Spielen gefeatured, oder Künstler*innen spielen direkt in Fortnite Konzerte. Radiohead veröffentlichen im Epic Store gerade ihren virtuellen Mix aus Kunstwerken und den Alben „Kid A“ und „Amnesiac“.

Quo Vadis Gaming-Diskurs?

Klar, nicht jede Person, die durch ein Massenphänomen auf das Thema Gaming stößt, wird direkt zum Fan des Mediums. Aber vielleicht können diese neuen Augenpaare den Blick, wie wir Spiele wahrnehmen, verändern? Es kann ziemlich spannend sein, mit Leuten über Dinge zu sprechen, die sie gerade zum ersten Mal entdecken. Razbutens Video darüber, wie Zocken für jemanden ist, der noch nie gespielt hat, wurde mittlerweile 11 Millionen Mal aufgerufen. Und auch für mich öffnete sich das metaphorische Gatter, als ich erfuhr, dass ich auch ohne Vorwissen Spaß an Arcane haben kann.

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Momentan ist es doch so, dass wir vor allem im Rahmen der PR-Hypemaschinerie über Spiele sprechen. Ein Trailer oder Gameplay droppt, einen Tag reden alle drüber. Das Spiel erscheint, einen Tag reden alle reden drüber, dass sie es gekauft haben. Und da das Tempo der Neuveröffentlichungen mittlerweile so rasant ist, kommt es oft nicht mal mehr zum Tweet, wie das neuste Konsumprodukt überhaupt gefallen hat. Die neuste Collector’s Edition von XY trendet gerade, keine Zeit. Auf YouTube konnte ich diesen Ablauf jedes Mal mit Zahlen illustrieren: Kannst du vor dem Release etwas zu Grafik, Gameplay und Technik erzählen, machst du jede Menge Klicks. Das gleiche Video generiert wenige Tage nach Release nur noch einen Bruchteil der Aufrufe.

Daher stelle ich mir die Frage, ob vom Gaming inspirierte Filme und Serien vielleicht die Chance bieten, zumindest etwas länger über die Ideen hinter einem Spiel zu sprechen. Was macht die Charaktere aus, welche Sorgen haben sie, welche Konflikte herrschen in dieser Umgebung? Basierend auf der Lore der „League of Legends“-Charaktere haben Riot Games und das französische Animationsstudio Fortiche eine wahnsinnig gelungene Serie erschaffen, die allein dadurch, dass so viel mehr unterschiedliche Menschen drüber sprechen können, nicht so schnell verpuffen wird. Plötzlich geht es nicht mehr darum, wer den größten Open-World-Prengel hat, sondern ob die Welt interessant ist.

Auch wenn einige immer noch für das Korsett kämpfen, das einen „Gamer aus Leidenschaft“ ausmachen soll. Alles was man zum Spielen benötigt, ist am Ende die Freude daran. Wenn Videospiel-Verfilmungen das Interesse einer breiten heterogenen Masse wecken und eventuell echten Gaming-Diskurs etablieren, dann immer her damit!

9 Kommentare


Kommentare

  1. Toller Kommentar!

    Arcane ist für mich ein Paradebeispiel für eine gelungene Videospiel-Filmadaption. Denn Verfilmung kann man ja eigentlich nicht sagen, da es nicht um das Spiel bzw. die (ohnehin nicht vorhandene) Handlung des Spiels geht, sondern die Hintergrundstory. LoL macht es da den Drehbuchautoren allerdings auch relativ einfach, da die Lores der LoL-Charaktere bislang - zumindest nach meiner Wahrnehmung - eher bruchstückhaft und nicht in ein abschließend beschriebenes Universum eingebettet sind. Daher bleibt viel Raum für erzählerische und visuelle Kreativität.

  2. Schöner Beitrag!

    Ich glaube auch durchaus, dass seriöse und gute Angebote wie jetzt Arcane oder das von dir erwähnte Witcher einen Beitrag bei der Vermittlung leisten und ein gewisses Interesse sowie Verständnis fördern.

    Gaming-Fremde konnten Gamer:innen doch in der Regel nur belächeln, weil vieles fast wie eine Fremdsprache wirkt. Wenn dann noch lachhafte Produkte in den Mainstream schwappen, hat das deren falschen Eindruck sicher nur bestärkt.

    Vielleicht sehen wir da eine Parallele zu den Comics, die es auch jahrzehnte lang nicht verstanden haben den Mainstream zu erreichen bis man mit dem MCU eine seriöse Plattform geschaffen hat, die auch Non-Comicfans verstehen und verfolgen wollen. (Auch wenn die Menge und Gleichartigkeit langsam nur noch overkill ist)

  3. Oh, @Horrorzeit spricht mir mit diesem Kommentar wirklich aus dem Gamer-Herzen. :heart:

    Auch wenn einige immer noch für das Korsett kämpfen, das einen „ Gamer aus Leidenschaft “ ausmachen soll. Alles was man zum Spielen benötigt, ist am Ende die Freude daran. Wenn Videospiel-Verfilmungen das Interesse einer breiten heterogenen Masse wecken und eventuell echten Gaming-Diskurs etablieren, dann immer her damit!

    Das ist so verdammt richtig. Sign³ !

    So scheiße das Aus von 4P auch ist, so cool ist es für die Berichterstattung hierzulande, dass Leute wie @Horrorzeit , @MatthiasSchmid und Jörg Luibl jetzt so breit verbreitet arbeiten können.

  4. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Kleiner Typo im Artikel, sollte wohl „BloodRayne“ heißen.

  5. Toller Text! Vor allem der Punkt, dass durch solche kulturellen Angebote die Halbwertszeit eines Diskurses verlängert werden könnte… Sehr treffend und für mich die wichtigste Erkenntnis.
    Aber… War Sonic echt so kacke? Hab das Echo eigentlich als positiv in Erinnerung, auch wenn es kein 10/10-Eintrag bei IMDb sein soll…

  6. Ne, Sonic war recht spaßig. Kein Film den ich unbedingt wiedersehen muss, aber den zweiten Teil werd ich auch schauen. Grundsolide eigentlich.

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