Lea Irion gelang es, mit Hilfe von Max und seinem überdimensionierten Plüschpenis einen viralen Hit auf Twitter zu landen. Nachdem sich auch die letzten Gamescom-Nachwirkungen gelegt haben, ist es endlich an der Zeit, diese Geschichte zu verarbeiten.
Jede Gamescom hat ihre Held*innen. 2018 war es eine vermeintliche Kacktüte vor dem Fortnite-Stand und 2022 hätte niemand ahnen können, dass es Max mit seinem überdimensionierten Plüschpenis werden würde. Ein Ereignis, sehr viel unwahrscheinlicher als wüste Schlägereien zwischen Twitch-Promis und wie es dazu kommen konnte, zeichne ich jetzt für euch nach:
Das Gamescom-Jahr 2018 war aufgrund der „Notdurft“ in der Fortnite-Warteschlange legendär und nur vier Jahre, zwei ausgefallene Messen und eine Pandemie später galt es, das Heart of Gaming wieder schlagen zu lassen. Aber das gestaltete sich schwierig, denn dieses Jahr konnte niemand vor den Stand von Epic Games scheißen – die hatten der Messe nämlich im Vorfeld abgesagt. Genauso wie die Branchenriesen Nintendo, Sony, und Activision Blizzard. Es war klar: Stabile Seitenlage reicht nicht, hier muss jemand mit dem Defibrillator ran, wenn die Gamescom wieder aufleben soll.
Mittwoch, 24. August 2022, erster Messetag für Presse- und Fachbesucher. Es lag eine gewisse Unschlüssigkeit in der Luft. Am Nachmittag waren alle Hallen abgelaufen, der Rücken kapitulierte das erste Mal und der 13 Euro teure Salat mit veganen Energy-Balls verleitete dazu, sämtliche vorangegangene Lebensentscheidungen zu hinterfragen. War die Gamescom 2022 gescheitert, ehe sie richtig begonnen hatte?
Alles deutete darauf hin, bis plötzlich ein junger Mann die Halle 10.2 betrat. 25 Jahre alt, Elektriker von Beruf, stammt aus Unterfranken, das Wichtigste aber: großer Bruder auf Mission. Kurz vor der Gamescom blieb sein Auto liegen. Fatal, wollte er doch wie jedes Jahr zum Gamescom-Camp fahren und dort übernachten. Die Lösung? Das Auto seiner Schwester. Die Bedingung? „Bring mir ein Plüschtier mit.“ Quest accepted.
Er reiste an, er betrat die Messe. Ziel: Halle 5, die Merchandise-Halle, das Mekka aller Vitrinenbesitzer*innen und Schlüsselanhänger-Ultras.
Der gewiefte Unbekannte schlenderte durch die Gänge, kam an Pikachu-Mützen und Bodypillows vorbei, wurde aber nicht fündig. Bis er schließlich einen kleinen, unscheinbaren Stand ganz am Ende der Halle entdeckte. Von weitem ließ sich erkennen: Da gibt’s Plüschtiere. Perfekt. Er steuerte auf den Stand zu, und je näher er kam, desto mehr erkannte er, welche Art Plüschtier ihn erwarten sollte. Eine Mischung aus Unglaube und Begeisterung überkam ihn. Da war es! Das perfekte Geschenk für seine Schwester: ein überdimensionierter Plüschpenis zum Kuscheln, mit roten Bäckchen und Ich-hab-dich-lieb-Gesicht. Für 80 Euro. Jackpot.
Peinlich wird es nur, wenn du es zulässt
Der werdende Plüschpenis-Papa zückte sein Smartphone. „Schwester, ist es egal, was für ein Plüschtier es ist?“ – „Ja, Hauptsache keinen Schlüsselanhänger.“ Geldbeutel gezückt, ein Exemplar ausgesucht und da war sie, die passende Entlohnung für die Autoleihe. Weil der Messetag noch nicht ganz vorüber war und es sich als überraschend anstrengend erwies, einen über einen Meter großen Kuschelpenis per Hand durch die Kölnmesse zu tragen, klemmte der heimliche Held die Errungenschaft an seinen Rucksack.
Natürlich zog das ungewöhnliche Duo Blicke auf sich, aber das war dem unterfränkischen Elektriker egal. „Peinlich wird es nur, wenn du es zulässt“, so sein Mantra. Eine Weisheit, wie sie nur Legenden der Gamescom schöpfen können. Von einem Spieleentwickler kam der entscheidende Tipp: „Du musst den Penis so hindrehen, dass das Gesicht nach hinten zeigt!“ Gesagt, getan. Initialising Magic.
17.30 Uhr, Halle 10.2. Ich schlenderte am Indie-Arena-Booth vorbei, ließ mich von den unabhängigen Entwickler*innen berieseln und staunte über deren geballte Kreativität. Doch auch meine Kraft ließ langsam nach, der Rücken klagte, der Schrittzähler war schon bei über 20.000 angelangt und mein Girokonto hatte den Salat mit den veganen Energy-Balls noch nicht gänzlich verdaut. Und dann geschah es.
Ich hatte plötzlich Blickkontakt mit einem gottverdammten, riesigen Plüschpenis. Auf der Gamescom. Ich traute meinen Augen nicht.
Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, doch der erste Impuls war: Foto! Sonst glaubt mir das daheim niemand.
Ich stand noch eine Weile da und blickte baff in Richtung dieses Typs. Ich war erstaunt, ich bewunderte ihn, die Frage „Warum?“ begleitete mich schließlich auf meinem Heimweg. Klar war: Das ist mein persönlicher Gamescom-Moment 2022. Und deshalb entschied ich mich dazu, das Foto auf Twitter zu teilen:
Nach einer ruhigen Nacht ein unruhiger Morgen: tausende Twitter-Likes und hunderte Kommentare. Darunter ein besonderer: Ein gewisser Max hat geschrieben, er sei der Mann auf dem Foto. Und da kickte der journalistische Instinkt: Ich musste Max kennenlernen und, noch viel wichtiger, seine Geschichte.
Wir verabredeten uns für den Nachmittag. Diesmal ohne gigantischen Plüschpenis, dafür mit Story im Gepäck. Max erzählte vom kaputten Auto, von seiner lieben Schwester, von der Suche nach dem passenden Geschenk und dem Encounter mit seinem neuen Familienmitglied.
„Jemand hatte mir einen Screenshot deines Tweets geschickt und gesagt: Max, du trendest auf Twitter“, verriet der Retter der Gamescom 2022. Plötzlich waren die Penisse in aller Munde: Jede*r wollte seinen*ihren eigenen in Halle 5 abholen. „Es gab auch verschiedene Größen“, berichtete Max. Aber als er den für 80 Euro sah, war sofort klar, mit welcher Version er seine Schwester beglücken würde.
Das Gute: Nicht alle mussten 80 Euro für ihren eigenen Plüschpenis hinblättern. Es gab auch Wohlfühlgrößen, es gab große, kleine, dicke, dünne, weiße, schwarze. So konnte jede*r nach persönlichem Geschmack aussuchen. Das begehrteste Exemplar wurde die kleinste Variante in Schlüsselanhängergröße, die diskret im Rucksack verschwinden konnte und keine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Plötzlich waren die Penisse in aller Munde
So wurde die Gamescom 2022 quasi über Nacht von einer inhaltsarmen Videospielmesse zum Dreh- und Angelpunkt einer nun gefüllten Marktlücke, die niemand auf dem Schirm hatte: Plüschpenisse mit süßem Grinsegesicht, Icebreaker in so gut wie allen Lebenssituationen. Besonders für Gespräche über die menschliche Anatomie, die die Gesellschaft gerne peinlich berührt unter den Tisch zu kehren versucht. But not anymore.
Wo Penisse erwähnt werden, sind Schenkelklopferwitze nicht weit entfernt. „Einer der besten Kommentare unter dem Tweet war, dass ich die Scheibe im Auto einen Spalt weit offen lassen muss, damit der Penis genug Luft bekommt“, lachte Max und lieferte hinterher auch ein Beweisfoto, auf dem das brachiale Glied auf dem Beifahrersitz angeschnallt war.
Andere Kommentare schrieben Max die „dicksten Eier der Gamescom“ zu, manche sahen in dem Penis ein Seitenschläferkissen oder eine therapeutische Behandlungsmethode gegen Hohlkreuze, andere fragten den unterfränkischen Helden, ob sie seinen Penis anfassen oder umarmen dürften. „Die Sprüche waren genial“, resümierte Max.
Im Gamescom-Camp selbst wurde das Plüschtier ebenso schnell zum Hit. Viele wollten ihren eigenen Plüschpenis, ein gemeinsames Lagerfeuer mit den potenziellen Neuankömmlingen wurde umgehend geplant.
Die Standbetreiber*innen hingegen kamen mit dem plötzlichen Ansturm kaum hinterher: Stellenweise waren manche Größen vergriffen. Diejenigen, die ihre bevorzugte Penisart erlangen konnten, präsentierten sie wie eine Trophäe und liefen unerschrocken durch die Gänge der Kölnmesse. Wie ein Club, zu dem du nur gehören konntest, wenn du dich getraut hast, einen Penis zu kaufen. Max’ wundervolle Geschichte musste nach dem Plüschpenis-Hype natürlich weitererzählt werden. Ich durfte ein Foto mit ihm machen und auf Twitter teilen, und es dauerte nicht lange, bis Max vom unbekannten Penisträger zum Helden der Gamescom 2022 aufstieg.
Ich hatte aus Versehen Blickkontakt mit einem Verkäufer
Ich selbst konnte die Messe natürlich nicht ohne eigenen Plüschpenis verlassen und entschied mich am Gamescom-Freitag dazu, den Stand mit Kaufabsicht aufzusuchen. Eine absurde wie erinnerungswürdige Erfahrung für mich, wie sich hinterher herausstellen sollte.
Ich näherte mich dem Stand, wie zig andere um mich herum, eher zögerlich an. Dann passierte es: Ich hatte aus Versehen Blickkontakt mit einem Verkäufer. Es gab also kein Zurück mehr. „Hi“, war das Begrüßungswort seiner Wahl, und es wirkte auf mich. Wie grüßt man als Verkäufer*in von Plüschpenissen seine Kundschaft? Ein „Hallo“ wäre wohl zu förmlich, ein „Hey“ könnte auf manche aufdringlich wirken, ein „Hi“ schien perfekt. Ich war umgehend begeistert von der Kompetenz dieses Menschen und fühlte mich, inmitten eines Plüschpenis-Potpourris, plötzlich wohl. „Hi!“, entgegnete ich. „Was darf’s denn sein?“ Ja, das war tatsächlich die Frage, auf die ich mir eine Antwort des Verkäufers erhofft hatte. Aber gleichzeitig löste es eine Debatte in mir aus, die ich als lesbisches Individuum noch nie führen musste: Welche Art Penis bevorzuge ich?
Der Verkäufer erkannte meine Unentschlossenheit. „Also, wir haben hier die kleinste Variante für 7 Euro, sein Bruder kostet 30 Euro und den etwas kleineren Bruder gibt’s für 20 Euro. Und der ganz große Penis kostet 80 Euro.“ Ich trat näher und begutachtete die Brüder von Nahem. Auf meine Frage „Darf ich die in die Hand nehmen?“ bekam ich ein herzliches „Aber natürlich!“ vom Penisexperten zugeworfen. Es kam innerer Druck auf, denn jetzt hatte ich den Verkaufsprozess schon zur Hälfte durchgemacht. Wegrennen ging nicht, dafür war die Halle viel zu voll und außerdem hatte der Verkäufer irgendwie schon eine besondere Verbindung zu mir aufgebaut.
Schorsch.
Ich grub in der Kiste nach einem Penis, der mir besonders sympathisch vorkam. Und tatsächlich: In der zweituntersten Schicht strahlte mir „Schorsch“ entgegen. Den Namen bekam er natürlich erst hinterher, aber es brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu wissen: Er ist es.
Ich zog Schorsch freudestrahlend aus dem Penishaufen heraus und streckte ihn dem Verkäufer entgegen. „Der soll’s sein? Eine gute Wahl!“ Zu diesem Zeitpunkt war ich emotional schon so mitgerissen, dass es sich nicht mehr wie der Kauf eines Plüschtiers, sondern wie eine Adoption anfühlte. Ich dankte abschließend und zog freudestrahlend von dannen.
Traumpaar.
Traumpaar. Auch.
Max versprach derweil, ein Foto der Übergabe zu schießen, sobald er seine Schwester wiedersehen würde, und das tat er auch: Am 28. August tweetete er den Satz „Die Übergabe war ein voller Erfolg“, darunter das Bild seiner grinsenden Schwester mit einem Plüschpenis, der schier größer ist als sie selbst.
Unter all den Kommentaren, die Max erreichten, waren mitunter auch welche dabei, die es nicht so gut mit dem stillen Gamescom-Helden meinten. „Das ist der Grund, warum Gamer so ein schlechtes Image haben“, kommentierte ein Nutzer. Max hingegen ließen solche Sprüche kalt. Er antwortete: „Habe dafür als großer Bruder viele Punkte gesammelt.“
Ich habe Max als eloquenten und energievollen Zeitgenossen kennengelernt, stets mit einem Lächeln und pfiffigen Spruch bewaffnet. Er geht seit Jahren nicht mehr für die Gamescom an sich nach Köln, sondern für das Camp und die Menschen dort. „Die Messe selbst ist mittlerweile eigentlich in den Hintergrund geraten, vor allem dieses Jahr durch das Fehlen vieler großer Publisher“, schrieb er mir hinterher auf Twitter.
Das ließ er so aber nicht stehen. Ob gewollt oder ungewollt, Max war derjenige, der zum Defibrillator griff und das Heart of Gaming über Nacht wieder zum Schlagen brachte. Er war es, der die Gamescom 2022 nicht wegen ihres Äußeren, sondern ihrer inneren Werte zu schätzen wusste: die Menschen, die Freundschaften und Momente.
Und so war die Plüschpenis-Legende der Gamescom 2022 geboren, eine Art moderne Sage, die sich in die Reihen vorangegangener Legenden wie dem Fortnite-Kotbeutel einreihen darf.
Max, es war uns allen ein Fest. Danke für deinen Einsatz.
Leute, ich freue mich, dass wir hiermit den Höhepunkt meiner journalistischen Karriere gemeinsam feiern können. Qualifiziert mich das für die Rente?
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Report! Als gesellschaftlicher Außenseiter, an dem die gamescom wieder mal völlig vorbeigerauscht ist, habe ich ja nur hie und da in Podcasts und Scherzen Eingeweihter vernommen, dass da wohl irgendwas mit einem Plüschpenis war. Nun weiß ich Bescheid, wie gesagt, vielen Dank dafür (und das meine ich nicht sarkastisch!)
Während nun allerdings das Rätsel des Penisträgers gelöst ist, beschäftigt mich doch noch eine Frage: Was sind denn das für Penisse? Wer hat sie verkauft? Eine schwedische Aufklärungs-NGO? Japanische Shinto-Missionare? Kalifornische Hippies? Gamedesigner aus Rheinland-Pfalz?
Und natürlich: warum?
Und uns dadurch weitere solche Kleinode journalistischer Eleganz vorenthalten? Niemals! Keine Rente für @Lea !
Ein großartiger Text zu einer großartigen Geschichte, liebe @Lea. Habe mich beim Lesen von Dir wunderbar abgeholt gefühlt und hatte durchgängig das Gefühl, die Ereignisse noch einmal sehr plastisch mit Dir und Max nachzuerleben. Freue mich sehr, wie Du mich und die anderen Leser*innen da mitgenommen hast. Flotter Schreibstil und ein ebenso sauberer wie durchdachter Aufbau mit Euren beiden Perspektiven. Hatte viel Spaß beim Lesen.
Schorsch!!!
Mit etwas Abstand war die Geschichte nun auch zum vierten Mal trotzdem wieder sehr lustig und unterhaltsam
Ich war unsicher, ob ich das hier oder in den Guilty-Pleasure-Thread posten soll. Aber: „Plötzlich waren die Penisse in aller Munde“ … ich habe lauter gelacht, als ich sollte.
Bekommt der große Penis auch einen Rollkragen Pulli? Dem wird im Winter richtig kalt.
Zumindest Nannen Preis sollte drin sein.