Brief und Sigl: Free to Pay

Nichts macht größere Umsätze als ein kostenloses Spiel

Alle zwei Wochen setzt sich Rainer Sigl an seine Tastatur und schreibt dir einen Brief. Ja, dir. Es geht um die großen, wichtigen, letzten Dinge: Sex, Tod, die Liebe, das Leben, den Sinn des Ganzen. Und um Videospiele. Große, kleine, teure, obskure, die Menschen, die sie machen, kritisieren, spielen und lieben. Kurzum: Es geht ans Eingemachte. „Brief und Sigl“ ist eine Depesche aus dem Ludoversum.

Wien, 03.06.2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn du diese Zeilen liest, wird sich wohl schon eine Art Konsens über Diablo Immortal gebildet haben, den gerade erschienenen Mobile-Ableger der altehrwürdigen Diablo-Reihe. In meinem letzten Brief gab’s ja so einiges über eine aktuelle Fehleinschätzung von Activision-Blizzard in Bezug auf die Sinnhaftigkeit des eigenen Diversity-Tools zu lesen, aber die Jungs von Blizzard waren auch schon bei der bombastischen Ankündigung von Immortal nicht ganz mit dem Publikum d’accord. 

In einer bodenlos peinlichen Q&A-Session bei der Blizzcon 2018, bei der die Frage aus dem Publikum kam, ob es Immortal denn auch als PC-Port oder ausschließlich für Mobile-Plattformen geben würde, gab’s auf die verneinende Antwort jede Menge Buhrufe zu hören. „Do you guys not have phones?“, war die perplexe Antwort des Blizzard-Entwicklers Wyatt Cheng auf diesen Unmut. Die nur scheinbar naive Ahnungslosigkeit, die hinter dieser Frage steckt, dürfte vielleicht sowas wie die inoffizielle Firmenphilosophie sein.

Blödstellen ist immer eine Option, denn die eigentliche Frage, zumindest meine, wäre nicht die nach der Plattform gewesen, sondern die nach der zugrundeliegenden Designphilosophie. Beziehungsweise, was aufs selbe rauskommt: nach dem Bezahlmodell. 

Do you guys not have enough money?, hätte man Wyatt Cheng zurückfragen sollen, aber naja, die Antwort darauf ist im Spätkapitalismus auf deprimierende Art und Weise immer schon vorgegeben. Es gibt nie genug, und wenn die neue Melkkuh größer ist als die alte, wird Letztere eben keines Blickes mehr gewürdigt. Klar hätte Blizzard auch einen regulären Nachfolger zu seinem Kult-ARPG machen können, und man kann sich ziemlich sicher sein, dass so ein Diablo 4 ein Bombengeschäft gewesen wäre. Aber eben: nicht so ein Bombengeschäft wie ein Ableger für den monströs riesigen globalen Free-to-Play-Markt.

Blizzard hat sich natürlich inzwischen eines Besseren, sprich: noch lukrativeren Geschäfts besonnen und ist vom Mobile-only-Plan abgerückt. Diablo Immortal wird es auch für PC geben, aber das ist keine gute Nachricht, weil es eigentlich nur bedeutet, dass Free-to-Play in den vier Jahren seitdem längst auch endgültig auf PCs und Konsolen angekommen und etabliert ist. 

Mehr Geld als mit Free-to-Play kann man in der größten Entertainment-Industrie des Planeten nicht verdienen: Fortnite hat 2020 über fünf Milliarden US-Dollar eingespielt, der Newcomer Genshin Impact seit dem Launch vor zwei Jahren drei Milliarden. Zum Vergleich: Das mit 238 Millionen KäuferInnen erfolgreichste reguläre Videospiel der Games-Geschichte, Minecraft, hat auch drei Milliarden US-Dollar eingespielt; insgesamt, in den elf Jahren seit Release.

Nun gehören wir zwei, du als hochgebildete und spezialinteressierte AbonnentIn einer reflektierten Gameskultur-Seite, und ich, als deren Autor, ja einer Gruppe von SpielerInnen an, die vermutlich diesbezüglich einer Meinung sind: Free-to-Play-Spiele sind nicht das, was wir von diesem Medium hauptsächlich wollen.

Rainer Sigl

Schreibt und spricht seit 2005 (nicht nur) über Videospiele. Lebt in Wien.

Diese Abneigung entspringt jetzt nicht einem snobistischen Herabblicken auf Omis, die am Handy Candy Crush suchten, sondern liegt in einer Besonderheit von Free-to-Play-Spielen, die sie halt grundlegend von klassischen Spielen unterscheidet. Immer, wenn das Gespräch mit Menschen außerhalb der klassischen Gamer-Bubble auf Videospiele kommt, stelle ich mit Erschütterung fest, dass exakt davon die meisten absolut keinen Schimmer haben. 

Nein, F2P-Spiele sind keine Videospiele wie alle anderen, nur gratis. Kurzgefasst: Ein Spiel mit  Ingame-Bezahloption ist nicht dafür gemacht, Spaß zu bereiten. Im Gegenteil: Es soll Schmerzen bereiten, in einem genau berechneten Warm-kalt-Wechselbad von Belohnungsendorphin und absichtlicher Frustration. 

Sorry fürs Eigenzitat, aber, es gilt noch immer, was ich vor fast genau zehn Jahren hier schon mal gesagt habe. „Das F2P-Spiel SOLL seine Spieler gerade so weit langweilen und frustrieren, dass sie bereit sind, Geld zu bezahlen. […] Das bedingt allein durch seine Struktur ein anderes Spieldesign. Ein Spiel, das mit F2P-Modell Geld verdienen will, muss seine Spieler naturgemäß manipulieren – sonst bezahlen sie schließlich nicht.“ Dass Spiele mit rein kosmetischen Käufen das auch ein bisschen kundenfreundlicher, also eher mit Karotten statt mit Peitsche, ausgestalten – geschenkt. Immortal wird sich die Worst-Practices, von Pay-to-Win abwärts, wohl auch verkneifen; grundsätzlich bleibt es aber ein Programm, das uns zum Geldausgeben motivieren soll.

Eigentlich kein Wunder, dass die Diablo-Serie jetzt in dieser Designphilosophie angekommen ist, denn die ihm von Beginn an innewohnende Suchtspirale war irgendwie schon immer genau auf Manipulation, auf diese Zyklen von Endorphinbelohnung und Routine ausgelegt. Jedes Klingeling, wenn Loot droppt, jeder Levelaufstieg, die genau berechneten Intervalle zwischen den erneuten positiven Reizen haben die Spiele schon immer gewissermaßen  zu einarmigen Banditen gemacht, zu perfekt optimierten Stimulus-Response-Maschinen, die in exakt ausgetüftelten Abständen Belohnungen und Endorphine produzieren, um ihr Publikum bei der Stange zu halten. 

Eigentlich unfassbar logisch, dass dieses schon Jahre vor dem allerersten Free-to-Play-Spiel perfektionierte Spieldesign jetzt sozusagen final zu sich selbst findet. Wenn man drüber nachdenkt: Alles, wirklich alles hat schon lange vor dem Schwenk zum F2P genau zu diesem Geschäftsmodell gepasst, das uns zuerst mit chirurgischer Präzision auf seine altbewährten Endorphinkicks trainiert – um sie uns dann vorzuenthalten, wenn wir nicht doch bezahlen. 

Do you guys not have phones? Klar, haben wir. Und, ich zumindest: eine gewaltige, gähnende, nach 100 Jahren Schlaf rufende, vollgefressene Übersättigung mit bombastischen Gelddruckmaschinen, die meine Knöpfchen drücken wollen, damit ich Geld ausspucke. 

Wir spielen Free-to-Play-Spiele, aber noch mehr: Die spielen uns. Aber ja: Klar schau ich mir das an. Und klar lass ich’s dann wieder bleiben, eher früher als später. Weil: Das Leben ist zu kurz.

Dein

22 Kommentare


Kommentare

  1. Herz dafür!

    Eine Frage habe ich noch immer im Kopf rumschwirren:
    Was würde passieren, wenn ich an jedes F2P-Game mit folgender Prämisse rangehen würde.
    Für einen anderen Titel hätte ich ja rund 50 Taler ausgegeben. Genau diesen Betrag lege ich mir jetzt zur Seite und kaufe mir nun im Verlaufe der Spielrezeption Zusatzinhalte (z.B. fünf Mal den Battle Pass, oder eben 10 leuchtende Skins).

    Angenommen ich könnte der Bezahlspirale entkommen, sobald die 50€ aufgebraucht sind: Würde das irgendetwas besser an dem Konzept F2P machen?! Wahrscheinlich nicht, oder doch?

    Was denkt ihr?

  2. Avatar for Bonito Bonito says:

    Tja, wenn du das so machen würdest, wäre das sicherlich keine größere finanzielle Belastung für dich, als wenn du einen Normalpreistitel erworben hättest. Ich hingegen würde ja maximal 19€ Budget vorhalten, das ist der Preis für die game of the year edition drei Jahre später. Aber weder Dein Budget noch meins würden das Design dieser Spiele verbessern, denn um uns geht es bei f2p nicht, auch wenn das in der PR immer suggeriert wird. Du spielst normal Dein Spiel und kaufst halt mal ein Cape oder eine Kiste? Nein, wenn das das Ziel wäre, würden die Teile nicht ein Vielfaches der normalen Ergebnisse einspielen. Die dreckige Wahrheit über f2p ist, dass diese Spiele nicht nur ein bissl am einarmige Banditen erinnern, sie funktionieren genau so:
    Ein geringer Prozentsatz der Menschen ist anfällig für extremes Suchtverhalten in Spielen. Ich kann es dir nicht genau erklären, aber die übliche Kosten-Nutzenrechnung funktioniert bei denen einfach nicht. Wahrscheinlich ist das bei denen genauso wie bei mir, wenn du mir eine Tafel Schokolade gibst. Ich weiß genau, dass es keine gute Idee ist, die komplett runterzuknuspern, aber bevor dieser Gedanke in meinem Hirn angekommen ist, ist die Tafel schon weg.
    Zurück zu diesem, sagen wir mal, einen Prozent der Menschen. Die werden halt nicht dick weil sie sich bei Schoki nicht unter Kontrolle haben, sondern sie werden arm, weil sie sich bei p2w nicht unter Kontrolle haben. Vielleicht werden sie auch nicht arm, weil sie einen guten Job haben und irgendwie ihr Suchtverhalten in eine funktionierende Biographie einbetten können. Tatsache ist aber, sie schmeißen Geld auf das game und zwar wie verrückt. So verrückt, dass du mit den Einnahmen Städte wie Las Vegas aus dem Boden stampfen kannst. So verrückt, dass sich davon eine gratis Spieleentwicklung für 99% der anderen Menschen finanzieren lässt, aber eben auch so verrückt, dass alle anderen zahlenden Kunden unwichtig werden und du Deine ganze Branche auf dieses eine kranke Prozent (krank, weil dieses Suchtverhalten wirklich viel Leid verursacht) ausrichten kannst. Und games sind so herrlich dafür geeignet, weil du kannst deine Opfer bereits ohne jeden Jugendschutz anfixen, solange sie noch 16, 12, 8 Jahre alt sind. Kindermarketing, yeah! Am besten, noch bevor sie ein Gefühl für Geld entwickeln und die Kreditkartendaten ihrer Eltern zocken können.
    Dieses Modell macht gaming, wie wir es kennen, kaputt, und zwar auch für die Entwickler. In solchen Firmen, die sich auch f2p spezialisieren, gibt’s keinen Schwerpunkt auf Kreativität, Originalität oder irgendwas. Da wirst du als Entwickler in eine Maschine gesetzt und hast jeden Tag das Poster mit dem Cash-Zyklus vor der Nase - denn du bist nicht derjenige, der da irgendwas entscheidet. Diejenigen, die dort das Sagen haben, sind irgendwelche kranken Wichser, die straight aus der Mafia in die tech-branche investieren, weil wieso koks und heroin anbauen, wenn man genauso gut Pferderüstung anmalen kann? Und wieso dann nicht trotzdem noch koks und heroin anbauen, weil wer weniger schläft zockt länger?
    Nein, du wirst dieses abgefuckte Prinzip nicht verändern, weil du Dir 50€ nur für dieses Spiel an die Seite legst. Tatsächlich wird sich in diesem Firmen niemand einen feuchten Kehricht um deine 50€ scheren. Denn um dich geht’s da nicht und um mich auch nicht.

    Ach ja, bevor mich jemand falsch versteht ich denke, das Blizzard nicht eines dieser mafiösen Unternehmen ist und auch der Seitenhieb mit der Pferderüstung ist genaugenommen nicht ganz zutreffend,weil Blizzard und Bethesda ja beide aus der ‚klassischen‘ Entwicklerrichtung kommen. Insofern kann Deine Überlegung bei diablo immortal vielleicht sogar ganz gut funktionieren, aber Blizzard umarmt da eben ein Geschäftsmodell, das aus einer ganz ekelhaften Richtung kommt und ich finde nicht, dass man die weiter etablieren sollte. Ich finde, und das meine ich jetzt wirklich ernst, dass f2p verboten werden sollte, genauso wie Glücksspiel.

  3. Entschuldige, dass ich mich jetzt speziell auf diesen einen Satz stürze … ansonsten würde ich aber größtenteils zustimmen.

    Ich halte „f2p“ nicht für das eigentliche Problem, sondern den massiven Missbrauch manupulativer Mechanismen.
    Es gibt ja immerhin Spiele, die beweisen, dass f2p auch ohne (oder aber zumindest mit deutlich weniger) davon auskommen. Ich finde Herr der Ringe online dafür ein super Besipiel: Das Grundspiel ist kostenlos, größere Erweiterungen kann man als Addon kaufen und per Monatsabo gibts n paar Komfortfunktionen.
    Auch Apex gehört zu den okayen Spielen, bezahlen ist nur nötig, wenn man keine Geduld hat die Helden freizuspielen (und die sind nicht nötig um zu gewinnen) oder man Skins haben will - welche so unverschämt teuer sind, dass sogar ich nicht zugreife.
    Auch mobilespiele wie Rogue Adventure (ähnlich wie Slay the Spire) zeigen, wie es gehen kann.
    Hier kosten Werbung entfernen und alle (alternativ freispielbaren) Inhalte freischalten zusammen n Zehner - weitere Kaufoptionen gibt es nicht.
    Ja, wäre es nicht erstmal kostenlos würde das Spiel vmtl. keiner ungesehen Kaufen, aber nicht weils das nicht Wert ist, sondern weil man ja alles umsonst haben muss - aber das ist nochmal ein anderes Thema.

    Auch in b2p Spielen geht es nicht um uns. Wieviele Vollpreisspiele mit bullshit Erweiterungen gibt es? Man schaue auf die Sims oder Dead or Alive die, wenn man sie komplett haben möchte, nicht in der goty 19,99 kosten, sondern 3-4 stellige Beträge (große Simulatoren mal außen vor gelassen).
    Achso und auf Ubisoft, die gemerkt haben, dass Spiele auch mehr als einen Seasonpass haben können und dass es Menschen gibt die für Erfahrungsbooster oder crafting Materilien in AC extra bezahlen. Und damit steht das böse Ubisoft ja nichtmal alleine. Wieviele „DLCs“ im Stil einer Pferderüstung gibt es bspw. für Tomb Raider oder Hitman? Wieviele extra Autos und Waffen kann man in Mafia kaufen (ab Teil 2, vor den remasters)?

    Ich denke nicht, dass sich der ganze Scheiß verbieten lässt - dafür sind die ganzen dark patterns schon zugut in alle Bereiche unseres Lebens eingedrungen.

  4. Avatar for Bonito Bonito says:

    Ja, das sind gute Argumente, und im Prinzip können wir uns gern auf die manipulativen Mechanismen einigen. Die große Frage ist halt, wo fangen die an? Und für ein Verbot müsste man das halt schon genau definieren. Und das ist halt letztlich eine juristische Frage, die wir hier eh nicht klären können. Ich denke, dass es gesellschaftlich schon eine relevante Forderung ist, manipulative Designmechanismen in Software zu regulieren, denn das betrifft ja im breiteren Sinne nicht nur games sondern auch social media. Oder Serien, die mich mit Laberfolgen quälen, die nur auf den Cliffhanger am Ende zulaufen, der mich zwingt, noch eine Folge zu schauen. Der letzte Satz ist natürlich nicht ernst gemeint und zeigt gleichzeitig, wie schwer das zu definieren sein dürfte, denn auch da geht es ja darum, uns dazu zu bringen, Lebenszeit in ein bezahltes Abo umzuwandeln. Hm. Ja, schwierig, aber die Lösung kann dann auch nicht sein, die Verbreitung dieser dark patterns hinzunehmen. Und wie bei so einigen Dingen, die in unserer Gesellschaft gerade nicht so super laufen, finde ich es falsch, die Verantwortung hier komplett auf die Konsumenten zu schieben.

  5. Das und die tatsache, dass der F2P markt den gamingmarkt im gesamten absolut dominiert, und die entwicklung auch nicht so aussieht, dass das demnächst ein ende hätte, lässt mich die ganzen „spiele sind kunst“ und „gaming ist erwachsen“ artikel inzwischen nur noch mit einem müden lächeln konsumieren.
    Wenn ich sie denn überhaupt noch lese.

    Da denk ich mir immer: auch wenn bestimmt schon wahre kunstwerke mit scheiße erzeugt wurden, so muss ich den akt des „klogehens“ nicht als kunst überhöhen :roll_eyes: :poop:

  6. Aber nur weil es dumme Popkulturdrucke auf Etsy gibt, die sich alle gegenseitig kopieren ist ja ein Werk von zB Tim Berresheim (um mal wen zeitgenössischen der teilweise mit Popkulturellen Versatzstücken arbeitet zu nennen) ja immer noch Kunst.
    Man muss halt etwas suchen.

    Und so ist das bei Spielen doch auch. Viel links liegen lassen und sich auf die Schönheiten konzentrieren.

  7. Der Gedankengang ist unsinnig. Weil es schlechte Bücher/Filme/Platten gibt, sind Bücher/Filme/Platten als Medium scheiße? Das ergibt keinen Sinn.

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