E-Sport ist geil, aber online geht’s oft toxisch zu. Ein Grund mehr, warum E-Sport in der Nachbarschaft trendet. Neben den klassischen Jugend-Freizeitaktivitäten wie der Freiwilligen Feuerwehr, traditionellen Sportvereinen und Zeltlagern schießen auch im E-Sport immer mehr Offline-Angebote aus dem Boden, nicht nur für Jugendliche. E-Sport ist für alle da – und wo er überall schon angekommen ist, lest ihr hier.
Online, anonym, toxisch. Das sind die Worte, die den Einstieg der meisten E-Sportlerinnen und E-Sportler beschreiben. Kämpfst du dich durch dieses unliebsame Umfeld und schneidest nicht zu schlecht dabei ab, wirst du vielleicht sogar von Teammates angeschrieben, ob du ihrem Team joinen magst und beginnst nach etwas Training damit, an deinen ersten Tourneys teilzunehmen. So kann’s gehen.
Bist du eine Frau oder ein Mädchen, kommst du allerdings meist gar nicht erst so weit. Eine Frau im E-Sport ist noch immer ungewöhnlich – ob du willst oder nicht. In der Spanne von offenem Sexismus bis hin zu Heiratsanträgen machen sich Gamerinnen entnervt teils unsichtbar, indem sie neutrale Nicknames wählen, einfach nicht sprechen oder sich ganz vom Online-Gaming zurückziehen. Auch andere marginalisierte Gruppen machen diese Erfahrungen.
Face to Face statt Auge um Auge
Warum dieser Umstand so fatal ist? Grundsätzlich hat E-Sport etwa gegenüber dem klassischen Sport großes Inklusionspotenzial. Schließlich wird bei der kognitiven Disziplin hauptsächlich das Köpfchen angestrengt, Geschlechtsunterschiede in der muskulären Ausstattung spielen hier keine Rolle (auch wenn alle E-Sport-Engagierten wissen, dass bei einem wichtigen Turnier kein Trikot trocken bleibt). Zudem kommen gängige Chat-Kürzel wie “gl” (= good luck) und “hf” (have fun) vor einem Match sowie “gg” (= good game) und “wp” (= well played) nach der Partie nicht von ungefähr. Fairplay ist ein Grundpfeiler des elektronischen Sports. Ein respektvoller Umgang gehört zum guten Ton. In Turnieren werden verbale Ausfälle und toxische Verhaltensweisen wie etwa “Bodyshooten” (“Nachschießen” auf den bereits besiegten Gegner) deshalb konsequent bestraft.
Raus aus dem Online-Play und rein in die Offline-Angebote!
Da du Gegner*innen online jedoch nicht in die Augen schaust, sitzt das Mundwerk hier oft etwas lockerer. Triffst du die Person hingegen face-to-face bei einem Offline-Event, kann ein Handschlag (die sonst getippten) Respektlosigkeiten schon im Keim ersticken. Persönliche Begegnungen wie bei LAN-Parties, regionalen Cups, Turnieren und Meisterschaften haben das Potenzial, Abhilfe gegen Hatespeech zu schaffen und ein geschütztes Umfeld zu bieten. Und wenn es doch mal Ärger gibt, sind Menschen da, die sich darum kümmern. Hier gibt es klare Regeln, richtige Strukturen und man lernt die Menschen auf der anderen Seite wirklich kennen. Das tilgt zwar nicht alle Probleme, aber macht Vieles besser. Deshalb: Raus aus dem Online-Play und rein in die Offline-Angebote. Davon gibt es inzwischen mehr als du denkst.
1 E-Sport als Treffpunkt
Die rasch wachsende Anzahl an E-Sport-Vereinen sowie Sportvereinen mit E-Sport-Sparte bringt die Trainingsmöglichkeiten immer näher an eure Haustüren.
Die Mitglieder-Karte vom Bundesverband gibt einen Überblick, wie es um die Vereinslandschaft in Deutschland in Sachen E-Sport steht. Und auch wenn sich die meisten Angebote noch auf die Online-Welt beschränken: Die E-Sport-Vereine werden stetig professioneller im Aufbau und wollen den elektronischen Sport greifbarer machen.
Beispiele für Trainings- und Kompetenzstätten im Breitensport sind etwa der Flensburger eSports Nord e.V., der sportnahe eSport-Rhein-Neckar in Baden-Württemberg und das E-Sport-Landeszentrum in Kiel. Solche Orte sind auch Begegnungsstätten, in denen man Mitfiebern, Networken und schlichtweg mit anderen Menschen in Kontakt kommen kann. Das ist ein anderer Ausgangspunkt als Online-Matches, die stärker unter Flaming und Beleidigung leiden.
Beim Training selbst stehen Taktikbesprechungen, Teambuilding-Maßnahmen und Bewegungseinheiten im Vordergrund. Hier kann man lernen, dass es auch auf psychische und physische Gesundheit ankommt und dass Kritikfähigkeit und Teamplay wichtiger sind als Einzelleistungen. Aber es muss nicht immer nur ums Training gehen. Man kann auch gemeinsam ins Kino gehen, um einen Stream zu verfolgen, wie 2019 in der bundesweiten Initiative Cinema Loves Esports.
Oder man kommt mit anderen ins Gespräch, etwa beim E-Sport-Stammtisch vom ifGameSH oder auf Fachkonferenzen wie dem German Esports Summit. Derlei Formate bringen Interessierte zusammen und bieten Raum für Austausch und um Gleichgesinnte kennenzulernen.
2 E-Sport für Einsteiger
Nachdem E-Sport-Wettbewerbe in den letzten 20 Jahren für die semi-talentierten Normalsterblichen eher auf Online-Begegnungen fixiert waren, findest du heute mehr und mehr Netzwerke, die Meetups organisieren, regionale Trainings anbieten und Event-Fahrten veranstalten.
Auch wenn es zunächst öde klingt: Ein Blick auf die Verbände (ESBD auf Bundesebene, EVSH in Schleswig-Holstein und eSport NRW in Nordrhein-Westfalen) und regionale Vereine lohnt sich. Diese haben einen guten Überblick, was in deiner Gegend so los ist, können dir Anlaufstellen nennen oder dich direkt an passende Stellen und Personen weiterleiten.
Wichtig für den Einstieg ist noch immer der Kontakt in die Netzwerke. Dafür gibt es physische Veranstaltungsformate wie Netzwerktreffen, Turniere, Livestream-Events, Konferenzen – also genügend Gelegenheiten zur persönlichen Ansprache. Seien es Teams, Clans, Vereine oder weitere: In der Regel ist es im eigenen Interesse der E-Sport-Akteur*innen, neue Spieler*innen oder Engagierte anzuwerben und ein vernünftiges Image zu wahren. Schließlich vertreten sie meist nicht nur sich selbst, sondern bereits ab Amateurebene auch (kleinere) Partner und Sponsoren.
Wenn der regionale Zugang noch fehlt, findest du auch online Netzwerke. Zum Beispiel formiert sich mit dem “E-Sport Netzwerk DACH” seit einigen Jahren ein regional orientiertes Netzwerk, das über ihren Discord-Server einen Zugang zur Community bietet. Das ist ein echter Geheimtipp, denn öffentlich ist der Server bisher nicht. Doch Interessierte können über Munich Esports oder den 1. Esport Club Frankfurt Zugang bekommen. Auch du! Wenn du freundlich fragst, versteht sich.
Auch wenn die Szene und einzelne Communities von außen recht exklusiv wirken können: Sobald du den Einstieg gefunden hast, begegnet dir eine unglaublich passionierte, medienaffine und dynamische Welt. Vielleicht wohnst du auf dem Land inklusive miserabler ÖPNV-Anbindung? Oder du hast schon immer lieber mit anderen zusammen gezockt, anstatt alleine dein Storygame zu spielen? E-Sport könnte deine Möglichkeit sein, dir schon von zuhause aus ein starkes soziales Netz aufzubauen und wertvolle Erfahrungen im Team zu machen.
3 E-Sport in Studium und Schule
In der deutschen Uni-Liga (ehemals “University eSports Germany”) treffen ambitionierte Studis aufeinander. Denn hier ist man nicht nur in der Bib fleißig: In verschiedenen E-Sport-Titeln von Counter Strike bis Formel 1 treten die Spieler*innen regelmäßig gegeneinander an. Hate Speech und Rage Quits haben hier keinen Platz. Stattdessen gilt Fairplay.
2015 als studentische Initiative gestartet kann sich die Liga mit ihren aktuell zwölf Titeln und Partnern wie der Techniker Krankenkasse und Amazon University Esports heute richtig sehen lassen.
Auch wenn die E-Sport-Enthusiast*innen an den Hochschulen noch ordentlich zu kämpfen haben, etwa um neben den anderen Hochschulgruppen als gleichgestellt anerkannt zu werden oder ein Räumchen für Besprechungen und Trainings abzugreifen – es gibt Hoffnung! Denn es zeigt sich: Immer mehr akademische Häuser erkennen, dass der elektronische Sport durchaus ein relevantes Auswahlkriterium für Student*innen sein kann. Oder wie würdest du dich entscheiden: Für die Super-Uni mit dem perfekten Studiengang oder für die Super-Uni mit dem perfekten Studiengang UND einem famosen E-Sport-Team?
An deiner Hochschule gibt’s noch gar keine Hochschulgruppe? Das kannst du flink ändern. Gründe einfach deine eigene Gruppe und profitiere vom Know How der Uni-Liga-Community.
Auch an Regelschulen gibt es ein entsprechendes Turnier-Pendant. Dafür hat sich einer der größten E-Sport-Veranstalter, ESL Gaming, mit dem ZEIT-Verlag zusammengetan. Die E-Sport Schulmeisterschaft bietet Möglichkeiten, die digitale Disziplin an die Schule zu bringen. Die Challenge dahinter: Finde eine Lehrkraft, die sich für mehr interessiert als den Standard-Lehrplan und begeistere sie für deine Leidenschaft. Und wer weiß: Vielleicht bringst du den Stein für eure E-Sport-AG ins Rollen und holst mit deiner Schule den nächsten Titel nach Hause.
4 E-Sport für (angehende) Profis
Einmal auf der großen Bühne spielen oder mit deinem Siegtreffer auf einer Titelseite des lokalen Blattes landen – bisher ist das insbesondere in Deutschland meist nur den Großen vorbehalten.
Erste Stadtcups, Landesmeisterschaften (z.B. in Schleswig-Holstein), Bundesturniere und Talentförderungen formen jedoch den elektronischen Breitensport immer weiter aus und ebnen so Karrierewege von der Amateur-Ebene bis zur Spitze. In Schleswig-Holstein fließen dafür sogar Steuergelder in Form von öffentlichen Förderungen. Vielleicht wird das auch in anderen Bundesländern Schule machen?
Neben den bekannten Online-Kanälen wie Social Media und Livestreams zeigen begleitend auch immer häufiger die Traditionellen – also Zeitung, Radio und TV –, dass sie E-Sport als Trendthema erkannt haben und berichten entsprechend.
Dabei sind die Berichte (meistens) endlich aus dem hartnäckigen Killerspiel-Sumpf raus, holen den elektronischen Sport an die Oberfläche und nehmen ihn und seine Protagonist*innen tatsächlich Ernst.
Wenn du auch fest an deinen Durchbruch glaubst, könnten die regionalen Strukturen also deine Chance sein. Halte die Augen offen und wenn du noch etwas Zeit übrig hast, dann engagiere dich für deine Region. Denn wer weiß: Vielleicht landet als nächstes dein Gesicht in der lokalen Hall of Fame.
5 E-Sport für Oldies (ja, das heißt 35+)
Seien wir mal ehrlich: Irgendwann hat man seinen Gaming-Zenit überschritten und wird von den jungen Peoples online ständig auf die Matte geschickt. Man hat schließlich auch einfach nicht mehr so die Zeit, ständig den Updates und der neuen Meta hinterherzurennen, sondern genießt lieber mal eine ausgelassene Online-Runde. Für dich ist demnach kein Platz mehr im E-Sport? Quatsch! Eigentlich verhält es sich genau umgekehrt: Ein Blick in die Verbände und Organisationen (siehe oben) zeigt: insbesondere in den Management-Funktionen wie etwa Vereinsvorständen findet sich zumeist die ältere Generation der Gamer*innen. Selbst wenn es spielerisch nicht mehr für Top-Leistungen reicht: Heute gibt es etliche Möglichkeiten, anderweitig fester Bestandteil der Szene zu sein und sich zu engagieren. Vielleicht hast du ein Faible für Social Media oder verstehst dich in der Organisation von Turnieren? E-Sport ist so bunt und dynamisch. Und voller Aufgaben für alle Altersgruppen.
6 E-Sport für die Kleinen
Ach, du willst gar nicht selbst zum E-Sport, sondern deine Kinder? Okay, pass auf: Klar, im ersten Moment scheint es, dein Kind tickert vor dem flimmernden Bildschirm nur irgendwelche kryptischen Befehle in die Tastatur, um die komische Comicfigur mit der Spitzhacke zu steuern. Manchmal kochen dabei auch die Emotionen hoch. Hier geht es um eine Passion! Bedeutet: die Kinder gehen mit großen Ambitionen und enormem Engagement an die Sache heran und möchten zu den Besten gehören. Manchmal geht es auch mehr darum, gemeinsam mit Freund*innen oder anderen etwas zu erleben und zu erreichen. Die Motivationen für den elektronischen Sport können unterschiedlich sein. Doch was tun, wenn sie da ist?
Neben den Vereinen und Verbänden lohnt sich auch ein Blick in die Jugendarbeit: Im schleswig-holsteinischen Stormarn hat beispielsweise der Kreisjugendring eine eigene Liga, in der regionale Jugendteams in Rocket League gegeneinander antreten. Ob hier Takeoff Glinde oder eher die JugEndgamer Reinfeld den Pokal holen, bleibt vermutlich in Stormarn. Aber die Idee macht Schule. So gibt es etwa auch in Düsseldorf ein E-Sport-Jugendzentrum.
Fragt in euren Gemeinden und bei regionalen Trägern der Jugendhilfe doch mal nach. Vielleicht gibt es auch Angebote in eurer Nähe.
***
Wie du siehst gibt es Mittel und Wege, E-Sport sinnvoll zu nutzen und sich selbst aktiv einzubringen. Eines ist klar: Es stehen allen individuelle Wege offen, man muss nur neugierig bleiben und sie mit offenen Augen beschreiten.
Jana Möglich ist Zweite Stellvertretende Vorsitzende beim E-Sport-Verband Schleswig-Holstein e.V., E-Sport-Referentin bei Initiative für den Games-Standort Schleswig-Holstein e.V. (IFgameSH e.V.) und Gleichstellungsbeauftragte beim eSports Nord e.V.
Zum Thema E-Sports in der Literatur: Möchte an dieser Stelle noch einmal Juan S. Guses Roman Miami Punk ausdrücklich empfehlen: Ein deutsches Team macht sich auf den Weg nach Miami, denn dort findet das allerletzte CS 1.6 Turnier der Welt statt.
Deutschlandfunk zum Roman Miami Punk
Auch das Forum scheint sich in einem gewissen Sommerloch zu befinden, weswegen ich einfach Mal allgemein anmerken möchte, dass ich die aktuellen Sommer-Artikel und Podcasts in ihrer Vielfalt durchaus zu schätzen weiß.
Das freut mich sehr Die schönen Beiträge liegen ja auch nach dem Sommerurlaub noch zum Abruf bereit.
ich für meinen Teil komme mit der Hitze einfach 0 klar und schmore in meinem eigenen Saft und schlafe beim Podcast hören ein oder halte es nicht aus die Kopfhörer im Ohr zu behalten.
Das Gain Magazin bezeichnet Miami Punk in der aktuellen Ausgabe als „den ersten deutschsprachigen Roman, der Videospielkultur ernst nimmt“ und veröffentlicht außerdem ein Interview mit Guse. Ist jedenfalls ein verdammt guter Text.