Storylastige Games werden gerne als „interaktiver Film“ bezeichnet – das ist meist beleidigend gemeint. Zu Unrecht: Solche Videospiele können uns dazu bringen, uns in moralische Fragen hineinzuversetzen. Und das oft besser als Filme. 

Es ist das oberste Kriterium, das ein Spiel für mich erfüllen muss: Es braucht eine interessante Story. Gerade, wenn es mir längerfristig im Gedächtnis bleiben, mir damit nachhaltig etwas „geben“ und mich über die bloße Spielzeit hinaus beschäftigen soll. Das schaffen vor allem jene Titel, die sich mit Themen beschäftigen, die mit realen Verhältnissen zu tun haben.

Arabella Wintermayr

arbeitet als freie Redakteurin für die Öffentlich-Rechtlichen und schreibt über Kulturelles für diverse Zeitungen, wie die taz, die Berliner Zeitung und der Freitag

Mein Anspruch an Games und Filme ist ziemlich ähnlich. Und trotzdem bedeutet ein guterPlot, der sich mit gesellschaftlich relevanten Dingen beschäftigt, im Videospiel etwas anderes, als im Film. Um das zu verdeutlichen, muss ich etwas ausholen.

Unangefochten auf dem ersten Platz meiner Allzeit-Lieblingsspiele-Liste steht: „Detroit: Become Human“. Im vor vier Jahrenzunächst exklusiv für die Playstation 4 erschienen Titel,wird eine nicht allzu ferne Zukunft gezeichnet, in der humanoide Roboter der Menschheit einen Großteil unliebsamer Tätigkeiten abgenommen haben. Sie werden als Haushaltshilfen, als Arbeitskräfte und Soldat*innen eingesetzt.

Anno 2038 ist die Welt aber gar nicht mal so lebenswert, wie es zunächst klingen mag. Da die Maschinen den Menschen die Mehrheit ihrer täglichen Beschäftigungen genommen haben, sind nicht nur die Arbeitslosenzahlen rasant in die Höhe geschnellt. Das Unternehmen „CyberLife“, das besagte Roboter erfand und produziert, hat qua seiner Monopolstellung in politischen Prozessen die Oberhand.

Mensch oder Maschine? | Bild: Detroit: Become Human

Je menschlicher die Maschine, desto größer die Empathie.

Und nicht nur das: Auch das Verhältnis der Menschen untereinander hat sich durch die Präsenz verändert. Da sie Asimovs Robotergesetzen unterworfen sind, sind sie ihren Besitzer*innen hörig. Und da der Mensch ein eitles Wesen ist, das nur ungern kritisiert wird, ziehen viele ihre Gesellschaft vor, sind zu Beziehungen auf Augenhöhe gar nicht mehr richtig fähig.

Obendrauf kommt es natürlich auch hier dazu, dass die Androiden ein Bewusstsein entwickeln, ihre Stellung als Unterdrückung wahrnehmen und sich gegen die Behandlung als reine Ware zu wehren beginnen. Der Clou an „Detroit: Become Human“ ist, dass die Spieler*innen gleich drei Figuren steuern – und zumindest teilweise lange im Unklaren darüber bleiben, ob sie nun Mensch oder Maschine steuern.

So kann man aus erster Hand erleben, was ein Team aus deutsch-niederländischen Forscher*innen bereits herausgefunden hat. Teilnehmer*innen der Studie waren mitunter bereit, verletzte Menschen zu opfern, um den Roboter zu retten. Dabei galt: Je menschlicher die Maschine, desto größer die Empathie.

„Detroit: Become Human“, it’s happening

Das Entwicklerstudio „Quantic Dream“ geht bei seinem Gedankenexperiment nicht gerade zimperlich mit den Spieler*innen um: Beispielsweiseschlüpft man selbst in die Rolle einer Figur, die „entsorgt“ werden soll – und von den eigenen Entscheidungen und Fähigkeiten hängt es ab, ob sie zerstört werden wird.

Dass wir uns auch in der realen Welt ernsthaft mit Roboterethik auseinandersetzen müssen, unterstreichen Entwicklungen wie Ameca, eine weiblich-gestaltete Androidin, die Anfang des Jahres vorgestellt wurde. Ihre Mimik und Interaktionsfähigkeiten sind noch menschlicher als die von Sophia, die bereits vor den Vereinigten Nationen sprach und mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel plauderte.

Thematisiert werden allerdings nicht nur mögliche Probleme im Umgang des Menschen mit Robotern. Angestoßen werden auch Überlegungen, was ihre Existenz für unser Miteinander bedeutet: Relativ zu Beginnder Handlung müssen die Spieler*innen einen Tatort im sogenannten „Eden Club“ untersuchen, indem die Kund*innen mit prostituierten Androiden anstellen können, was sie wollen.

Realität | Bild: Ameca
Spiel | Bild: Detroit: Become Human

Erste Versionen von Künstlicher Intelligenz gesteuerter Sex-Roboter existieren bereits, wie Harmony beispielsweise. Auffällig dabei: Alle der bekannten, menschenähnlichen Roboter, die bereits existieren, sind Frauen nachempfunden. Ganz ähnlich wie bei den Sprachassistenten, die standardmäßig mit weiblicher Stimme ausgestattet sind, kann man durchaus befürchten, ob dadurch Stereotype der Frau als unterwürfige Gehilfin verfestigt werden.

Lange Rede, kurzer Sinn: „Detroit: Become Human“ dreht sich um eine komplexe Problemlage, die uns bald ganz real beschäftigen wird. Oder es zumindest sollte, wenn Entwicklungen, die sich bereits abzeichnen, frühzeitigaktiv gestaltetals nachträglich mit Mühe und Not verwaltet werden sollen.

Was bitte, kann ein Spiel mehr leisten, als ein Bewusstsein für derlei Dinge zu schaffen, womöglich sogar Neugierde für weiterführende Recherchen zu wecken? Und das, genau, gelingt natürlich nur über eine packende Story.

Der „Schmetterlingseffekt“ ist etwas für das wahre Leben

Was für mich den wesentlichen Unterschied einer durch ein Spiel erzählte Geschichte zum Plot eines Films ausmacht, ist die Interaktivität. Natürlich kann auch letzterer dazu anregen, sich zu fragen, was man in der Situation der Held*innen tun würde. Der Unterschied ist: Ein Game zwingt gewissermaßen dazu, nicht nur zu überlegen, sondern zu handeln. Gerade unter Zeitdruck kann das zu ganz anderen Ergebnissen führen, als ein rein hypothetischer Denkprozess.

Nichts bringt dich näher an die reale Erfahrung, als ein Spiel.

Umso mehr, indem meine Handlungen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte nehmen.Womit wir bei der alten Diskussion angekommen sind, wann ein Videospiel ein Videospiel ist –und wann einfach „nur“ ein interaktiver Film, wie man Titel wie „Detroit: Become Human“ gerne abschätzig bezeichnet.

Für mich fallen unter dieses Label ausschließlichtatsächliche Filme, wie „Black Mirror: Bandersnatch“ oder „Unbreakable Kimmy Schmidt vs. The Reverend“ auf Netflix. Solche, die an wenigen Punkten des Plots zwei, drei oder manchmal auch vier Entscheidungsoptionen eröffnen. Hat man eine ausgewählt, kann man sich erst einmal zurücklehnen und dem Film weiter beiwohnen. Weiteres Eingreifen ist in der Regel nicht notwendig.

Echter Interaktiver Film: Black Mirror: Bandersnatch | Bild: Netflix

Unnötig zu betonen, dass Spiele, wie die von „Quantic Dream“, viel mehr Interaktion erfordern und damit ein intensiverer Reflexionsprozess einhergeht. Dennoch stimmt es natürlich, dass handlungsgetriebene Spiele, deren Verlauf von den Spieler*innen abhängig ist, manchmal mehr Einfluss, gravierendere Konsequenzen vorgaukeln, als es wirklich der Fall ist.

Immer wieder gibt es Sequenzen, in denen es so scheint, als wäre das Meistern von Quick-Time-Events nun maßgeblich für das Überleben einer Figur, obwohl sie in besagter Szene gar nicht sterben kann. Natürlich kann man das bemängeln.Ich verstehe es aber als eine simple Folge einer gewissen Praktikabilität, an die die Entwickler*innen gebunden sind. Kein Spiel kann jede Eventualität abbilden, schlicht aus Umfangsgründen. Kein Spiel kann die irrwitzigen Zusammenhänge des realen Lebens abbilden, soll am Ende eine kohärente, in sich stimmige Geschichte erzählt werden.

Der Schmetterlingseffekt, wonach selbst winzige Handlungen weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft nehmen, bleibt letztlich etwas, das dem Leben selbst überlassen ist. Auch wenn Spiele, wie die „Life is Strange“-Reihe, gerne mit der Idee kokettieren.

Emotionale Tiefe trifft gesellschaftlich Relevantes

Das Entwicklerstudio „Dontnod Entertainment“ dahinter ist ein weiterer wichtiger Vertreter des Genres, das aufgrund der wenigen Titel, die unter es fallen, keinen eigenen Namen hat. Obwohl seine Spiele zu denen gehören, die besonders viel Raum für Erkundungen lassen, sind sie auf dem Spektrum dessen, wie sehr sich ihre Handlung beeinflussen lässt, eher am unteren Ende zu verorten.

Im ersten Teil der Reiheentdeckt die 18-jährige Max – gerade in ihre Heimat, ein malerisches Hafenstädtchen in Oregon, zurückgekehrt – ihre übernatürlichen Fähigkeiten, als sie ihrer besten Freundin aus Kindertagen, Chloe, das Leben rettet. Sie kann die Zeit beeinflussen, was jedoch für erhebliche Probleme sorgen soll. Obwohl man sich als Spieler*in darum bemüht, das Rätsel um ihre Gabe zu lüften, und in die erstaunlich düsteren Geheimnisse von Arcadia Bay eintaucht, wird man am Ende vor einer finalen Entscheidung stehen, die letztlich einzig ausschlaggebend für den Ausgang der Geschichte ist.

Die großen Entscheidungen. | Bild: Life is Strange

„Meh“ könnte das Fazit an dieser Stelle lauten, tut es in meinem Fall aber nicht. Denn was an Folgenschwere der vorangegangenen Entscheidungen mangelt, wird durch die Feinfühligkeit der Geschichte ausgeglichen. Nur wenige Spiele erreichen eine ähnliche emotionale Tiefe, wie die des französischen Teams.

Das gilt umso mehr für das Prequel zum ersten Teil. „Before the Storm“ setzt drei Jahre vor den Ereignissen des Hauptspiels ein und erzählt in einer nuancierten Coming-of-Age-Story von Chloes Werdegang von der schüchternen Außenseiterin zum Punk-Teenie, dem angespannten Verhältnis zu ihrem autoritären Stiefvater undihrer ersten Liebe.

Mit dem zweiten Teil um die Brüder Sean und Daniel, die nach einem tragischen Unfall auf eigene Faust in die mexikanische Heimat ihres Vaters fliehen wollen, nimmt dann auch die Folgenschwere der eigenen Handlungen bedeutend zu: Ob der 16-jährige Sean im Verlauf der fünf Episoden seinem Bruder moralisch gutes Verhalten oder doch eher Aggression und Egoismus vorlebt, wird letztlich darüber entscheiden, welche der sieben möglichen Enden der Spielverlauf nimmt. Darüber hinaus wagt sich „Life is Strange 2“ noch näher an gesellschaftlich relevante Themen, wie Rassismus.

Das 2020 erschienene „Tell Me Why“, das als erster größerer Titel einen trans* Mann als Protagonist einführte, und „Life is Strange: True Colors“, das letztlich harte Kritik an der Macht unethisch agierender Konzerne übt, setzen diese Trends fort.

Wenn ich Titel von „Dontnod“ spiele, weiß ich in der Regel, dass ich nicht zu viel an einem Stück zocke. Die pastellfarbene Indie-Welt und ihr zuckersüßer Soundtrack täuschen: Schicksalsschläge stehen an der Tagesordnung. Und gerade, weil die Reihe trotz ihrer übernatürlichen Elemente vor allem mit realen zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt, ist das Spielerlebnis immer ein intensives.

Das gilt übrigens auch für einen Großteil der Titel aus dem Hause „Telltale Games“, die mit „The Walking Dead“ das wohl gefühlvollste Zombie-Spiel überhaupt hervorbrachten – und mit dem Finale des ersten Teils eines der tränenreichsten Spielenden. Lee… Still not over it.

Mit einer überzeugenden Story haben Spiele wirklich etwas zu sagen. | Bild: Tell me Why

Erzählerisches schützt vor Fabrikarbeit-Feeling

Natürlich sorgen auch Games ohne tiefgehenden Plot für Spaß, nicht umsonst gehören „Dead by Daylight“ oder die „Tropico“-Reihe ebenfalls zu meinen Favoriten.

Doch auch wenn man hier nicht von einer ausgeklügelten Geschichte sprechen kann, braucht es doch eine gewisse Erzählung – und wenn sie auch nur über charismatische Charaktere oder ein einnehmendes Setting transportiert wird. Sonst wäre erst genannter Titel nicht viel mehr als eine ausgeklügelte Mischung aus Versteck- und Fang-Spiel für Erwachsene, und Wirtschaftssimulatoren nichts anderes als nüchterne Zahlenanalyse.

Das heißt gleichzeitig auch, dass für mich Interaktivität was die Bedeutung angeht leicht hinter einer guten Story zurückbleibt. Erzählerische Meisterwerke kommen mitunter auch ohne sie aus – „Red Dead Redemption“ oder „The Last of Us“ sind die besten Beispiele dafür. Meine persönliche Beobachtung ist allerdings: Games, die auf eine interaktive Handlung setzen, legen automatisch mehr Wert auf einen packenden Plot.

Während sie bei großen AAA-Spielen oftmals als Feigenblatt dient, als loser Kitt zwischen den Missionen, und deswegen in erster Linie nervt. Deswegen läuft es für mich immer auf dasselbe hinaus: Die Story ist die Seele eines Spiels. Nicht anders als beim Film. Hat es keine überzeugende Geschichte, hat es mir in der Regel nicht viel zu sagen. Umso besser, wenn ich sie nach meinem Gefallen formen kann. Dann haben Spiele dem Film in puncto Intensität und Aha-Effekt des Narratives sogar die Nase vorn.

8 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Lyra Lyra says:

    Schöner Artikel, dem ich so zustimmen würde. Detroit Become Human fand ich aus den genannten Gründen auch sehr schön

    Aber bitte nochmal drüberlesen, da fehlen ein paar Leerzeichen :nerd:

  2. Ich persönlich finde die Story von Detroit: Become Human unterhaltsam, aber nicht besonders ausgeklügelt. Die Handlungsfreiheit wirkt mit den übermäßigen Einsatz der Quick-Time-Entscheidungen etwas gekünzelt. Es hat mir zwar spaß gemacht, die unterschiedlichen Ausgänge zu sehen, aber sie haben nichts zur Geschichte beigetragen und manchmal auch keinen Sinn ergeben. Das Spiel müsste sich mehr auf die spielerischen Interaktionen fokussieren, um erzählerisch zu überzeugen. Ich darf nur mit Objekten interagieren, wenn mir das Spiel es vorgibt. Für mich haben Videospiele dann nicht viel zu sagen, wenn sie viel quatschen und die spielerische Interaktion außer Acht lassen. Rollenspiele wie Fallout machen es durchaus besser. Videospiele können aber auch mit wenig Dialog und Cutszenes eine herausragende Geschichte erzählen. Gris und Inside wären hier zu nennen.

  3. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Danke, wollte nicht wieder der erste „Meckerer“ sein. :smiling_face:

  4. Avatar for Adrian Adrian says:

    Ging mir genauso :rofl:

  5. Avatar for Purf Purf says:

    Ich bin durchaus offen dafür, mich von solchen Games überraschen zu lassen - ich hatte eine Weile ein Let’s Play von The Walking Dead (Season 1) verfolgt, das dann sehr schnell abgebrochen, um es selber zu erfahren und es hat mich umgehauen - aber mein Interesse an Spielen, deren Interessen nur darin liegen, mir explizit etwas erzählen zu wollen, und jegliche Interaktion diesem Ziel unterordnen, anstatt mir durch Spiel Freude zu bereiten, ist doch eher klein.

  6. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Die erste Staffel von The Walking Dead war schon herausragend (trifft auch auch auf die ansonsten unsägliche TV-Serie zu), vorallem das Ende … episch. Da wusste man ja noch nicht so richtig, dass man (sehr) wenig Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Da technisch und spielerisch kein Fortschritt stattfand, wurde es mit jedem weiteren Telltale-Spiel langweiliger.
    Die Welt von The Wolf Among Us war interessant, doch wurde der erste Teil leider nie fortgesetzt. :frowning_face:

    Generell mag ich die bekannten narrativen Spiele sehr, also alles von Quantic Dream, Supermassive Games und Dontnod Entertainment.
    Mit genügend Abstand dazwischen bereiten die mir immer viel Freude und Leid. :upside_down_face:

  7. Avatar for Peter Peter says:

    Ist in Arbeit und erscheint nächstes Jahr. Und wenn dir die Welt gefällt, dann bietet sich natürlich die Vorlage an: Fables (comics) - Wikipedia

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