Retrospektive: Outcast

Michael Förtsch im Gespräch über einen Blockbuster, der nie einer wurde.

Es gibt diese Videospiele wie Doom oder Ultima Online, die die Welt der digitalen Unterhaltung nachhaltig geprägt haben. In den 1990ern wollte ein kleines Studios aus Belgien einen Markstein der Videospielgeschichte erschaffen – und digitale Games auf eine Stufe mit Hollywood-Filmen heben. Das Ergebnis war Outcast, ein durchaus wegweisendes Werk, das es aber dennoch nur zum Geheimtipp brachte.

„Outcast ist ein futuristisches Action-Adventure des belgischen Spieleentwicklers Appeal. Es wurde im Sommer 1999 durch den französischen Spielepublisher Infogrames veröffentlicht.
Wikipedia.

Wozu tiefstapeln, wenn man hohe Ansprüche hat? Genau das schien bei Outcast das Motto zu sein. Viele, die sich noch an das Action-Abenteuer erinnern, werden daher zuvorderst wohl eines in Erinnerungen haben. Nämlich die Stimme des Helden Cutter Slade. Die hat in der deutschen Fassung Manfred Lehmann beigesteuert – der Synchronsprecher von Bruce Willis mit der markanten Nase. Und die begleitete nicht nur durch die Einführungssequenz, sondern durch das gesamte Spiel. Ende der 90er war das besonders und beeindruckend – und es unterstrich das Ziel, das das Studio Appeal mit Outcast verfolgte. 

Michael Förtsch

Schreibt eigentlich über Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, das Internet, Science-Fiction und wurde immer wieder gezwungen, die Blockchain und NFTs zu erklären. Er lebt derzeit im Wallfahrtsort der WASTED-Community.

Es sollte das Videospielgegenstück zu einem Hollywood-Blockbuster werden – und dadurch nicht nur mit anderen Videospielen, sondern auch mit Kinofilmen gleichziehen. Insbesondere den Sommerblockbustern, die zu dieser Zeit die Jahresplanung sämtlicher Pubertierender bestimmten. „Es ist das erste Videospiel, das versucht ein echter interaktiver Film zu sein“, sagte damals Bruno Bonnell, Chef des damaligen Publishers Infogrames. Outcast sollte einen Meilenstein in der Videospielindustrie setzen. Eine ehrgeizige Ansage, die damals Ver- als auch Bewunderung hervorrief. Insbesondere wenn man schaute, woher das selbstsichere und ambitionierte Team kam.

YOLO!

Das Studio Appeal wurde 1995 von Yves Grolet, Yann Robert und Franck Sauer im schönen Belgien gegründet. Und zwar allein, um Outcast zu entwickeln. Die eigentliche Geschichte beginnt aber schon ein Jahr davor. „Ich habe mit den Kollegen damals bei Art & Magic an Arcade-Spielen gearbeitet“, erzählt mir Franck Sauer, der bei Outcast als Director, Artist und Designer fungierte. Bei Art & Magic lief es seinerzeit nicht so dolle. Und zwar, wie die Entwickler feststellten, weil immer mehr Menschen auf ihren Heimcomputern – vor allem IBM-kompatiblen PCs – spielten. Aber vor allem: Die Grafik vieler Automaten wirkte mittlerweile antiquiert. Die Games beeindruckten nicht mehr. Die Belgier wollten daher etwas neues und aufregendes versuchen: 3D-Grafik!

Als wir an den Arcade-Games gearbeitet haben, da war das die Zeit, als 3D aufkam – und zwar überall“, erinnert sich Sauer. Viel Erfahrung hatten die Entwickler nicht. Doch sie waren bereit, zu lernen. Die schon damals prominente Technik, dreidimensionale Figuren aus zweidimensionalen Dreiecken, den Polygonen, zusammenzusetzen, war in ihren Möglichkeiten noch eingeschränkt. Das Team wollte auf den Spiele-Automaten nicht nur kleine Charaktere durch vorgerenderte Umgebungen laufen lassen, sondern 3D-Welten erschaffen. Also ganze Landschaften, in denen sich der Spieler frei bewegen kann und die mit Tieren, Pflanzen und begehbaren Häusern bestückt sind. 

Trotz der enttäuschenden Erkenntnis über das begrenzte Vermögen der Polygone wollten Frank, Yves und Yann nicht gleich aufgeben. Stattdessen suchten sie nach Alternativen und wurden fündig. In einigen Fachblättern war über eine Rendertechnik zu lesen, die dreidimensionale Objekte nicht durch das Verstücken von 2D-Flächen entstehen lässt, sondern dem Verbinden von würfelgleichen Pixeln, die ein Volumen aufweisen: Voxel. Das war es, wonach die Entwickler gesucht hatten. Sie waren begeistert: „Wir dachten anfangs sogar darüber nach, einen eigenen 3D-Chip für das Rendern von Voxel-Grafik zu bauen, aber dafür war die Technologie noch nicht bereit“, sagt Sauer. 

Voxel-World

Die drei Belgier entwickelten in kurzer Zeit eine rudimentäre Grafik-Engine, die große Umgebungen aus Voxeln darstellen konnte. Echt hübsche Umgebungen. Sie konnte runde Hügel, geschwungene Täler und organisch ausgegrabene Flussbetten zeichnen, die mit Wasser gefüllt waren, das weiche Wellen schlagen konnte. Aber die hübschen Landschaften machten noch lange kein Videospiel. Daher sponnen sie eine Geschichte zusammen: ein Drogenbaron, ein südamerikanischen Kartell, Geiselbefreiungen, das waren die Stichpunkte. „Wir dachten, das würde gut zu der Art von Umgebung passen, die wir gestalten konnten“, sagt Sauer. „Aber mit der Zeit erkannten wir, dass unsere Landschaften doch etwas unrealistisch waren und eher exotische Formen hatten.“

Yves Grolet kam die Idee, ein Science-Fiction-Abenteuer zu entwickeln, das in einem Paralleluniversen angesiedelt ist. Denn es war gerade die Zeit, in der in der Popkultur über die Viele-Welten-These und die String-Theorie debattiert wurde. Mit diesen Ideen rannte der Trupp bei seinem aktuellen Arbeitgeber aber keine offenen Türen ein. Daher kündigte das Trio und machte sich auf die Suche nach jemanden, der verrückt genug war, ihnen genug Geld zu geben, um die Idee alleine und mit einer eigenen Firma umzusetzen. Und zwar auf der Plattform der Stunde: Dem PC.

Der PC als offene Plattform, dachten wir, wäre die bessere Möglichkeit, unsere Idee zu verwirklichen“, meint Sauer. Tatsächlich fanden die Belgier mit Themes einen kleinen Hardware-Entwickler, der zumindest genug Geld beisteuerte, um die Gründung des Studios und die Entwicklung eines Prototypen des noch namenlosen Games zu stemmen. „Es war eine stressige Zeit“, sagt Sauer. Denn er und Yann Robert hingen aufgrund vertraglicher Verpflichtungen noch eine Weile bei Art & Magic fest. Und mehr als ein kleines Büro in Lüttich war finanziell nicht drin. Dennoch ging es voran und bald manifestierte sich etwas, das durchaus als der Grundstock und die Idee für ein Videospiel identifiziert werden konnte.

Der Weg zum Ausgestoßenen

Das kleine Team wollte ein Videospiel entwickeln, das mehrere offene Umgebungen bietet – die besser aussehen sollten als alles, was andere bieten konnten. In denen sollten der Spieler oder die Spielerin verschiedene Aufträge von Nichtspielercharakteren erledigen. Portale sollten die offenen Areale miteinander verbinden, die neben friedfertigen Einwohnern auch angriffslustige Tiere und fiese Gegner beinhalten. Beim Herumprobieren mit der rudimentäre Engine stellen die Spielemacher fest, dass Voxel alleine nicht ausreichen würden. Mit diesen ließen sich keine Charaktere oder begehbare Gebäude umsetzen. Diese mit flachen Sprites – also zweidimensionalen Bildern – wie etwa in Doom umzusetzen war eine Idee, die aufkam, aber schnell wieder verworfen wurde. Deshalb mussten nun doch Polygone her. 

Es klopfte bei jedem Videospielvertrieb an, den es finden konnte

Mehrere Wochen hatte das Team in den Prototypen investiert und ging dann auf Tour. Es klopfte bei jedem Videospielvertrieb an, den es finden konnte. Wie bei Ubisoft in Paris, wo das Team jedoch sofort eine Absage kassierte. Auch einige Hersteller, die längst dem Vergessen anheim gefallen sind, mochten den Belgiern keine Chance geben. Ganz anders sah es in Lyon aus, wo das 1983 gegründete Infogrames seinen Sitz hatte. Das war in den letzten Jahren durch Erfolge wie mit der Alone-in-the-Dark-Reihe gerade auf Erfolgskurs und gerne bereit, einige Risiken einzugehen. Auch um Ubisoft eines auszuwischen, wie den Entwicklern angeblich ganz offen gesagt wurde.

In der Demo, die die drei Belgier vorführten, sahen die Infogrames-Mitarbeiter einiges an Potential. Und zwar für ein großes Prestigeprojekt: Ein opulentes, mutiges, aber potentiell auch teures Videospiel, das international Aufmerksamkeit erregen könnte. Das gefiel dem Infogrames-Gründer Bruno Bonnell und Co-Gründer Eric Mottet. Nur wenige Tage nach dem Besuch bei Infogrames hatte das Team einen Vertrag in der Tasche und einen ersten Scheck über umgerechnet 150.000 Euro in der Hand. Bruno Bonell persönlich habe ihn ausgestellt und den Entwicklern überreicht, sagt Sauer.

Von dem Geld leistete sich das kleine Team zunächst ein Büro der Universitätsstadt Namur und kaufte Art & Magic die Rechte für alle vom Team dort entwickelten Technologien ab. Danach wurden weitere Entwickler eingestellt, nicht wenige davon direkt von der dortigen Universität. Zwischen 20 bis 25 Mitglieder zählte das Team das offiziell Outcast genannten Projekt schuftete. „Wir hatten viel Arbeit und viel Spaß“, erinnert Sauer an die ersten Monate. Dabei setze die Gruppe auf Learning by doing. Denn keiner von ihnen hatte wirklich Erfahrung mit Team- oder Projektmanagement. Dennoch musste aus all der Technik und den Ideen nun irgendwie ein vollwertiges Videospiel werden.

Liebenswerter Sci-Fi-Trash

Mit Lust und Eifer webte das Team die primär von Yves Grolet ausgelegten Stränge und Einfälle zu einem Gesamtkonzept. Aus den Ideen zu einer Reise in eine Parallelwelt wurde ein liebenswert-trashiges Skript, in dem es Militärwissenschaftlern gelingt, ein Loch in die Raumzeit zu schlagen. Auf der anderen Seite finden sie einen Planeten und senden eine Sonde hindurch, die aber von einem einheimischen Wesen beschädigt wird. Es kommt zu einer Rückkopplung, die ein Wurmloch erzeugt, das nun die Erde zu verschlingen droht. Die einzige Chance auf Rettung? Ein Team von Wissenschaftlern muss auf die andere Seite und die Sonde reparieren. Und natürlich brauchen die Wissenschaftler einen Beschützer – den abgehalfterten, zynischen-humorigen Soldaten, der eigentlich keinerlei Lust auf so einen Quatsch hat. Und klar, etwas geht bei der Reise durch den Riss schief und das Team wird über den gesamten Planeten verstreut.

Outcast: Intro

Als der Soldat aufwacht, wird er von den Eingemischen für einen messianischen Retter gehalten, den Ulukai, der sie von der tyrannischen Herrschaft des fiesen Fae Rhan befreien soll. Der Soldat hält all das für totalen Unfug, aber fügt sich letztlich seinem Schicksal. Natürlich war zu Beginn noch einiges anders als im fertigen Spiel. Der Soldat, der letztlich Cutter Slade heißen sollte, trug etwa den Namen Stan Blaskowitz und rannte mit Pumphosen und einem schrägen Helm herum, der an einen Vogelkopf erinnert. Die Namensähnlichkeit zu einem anderen wichtigen Soldaten der Videospielgeschichte soll übrigens purer Zufall gewesen sein. 

Dazu reiste eine kleine Delegation nach Russland

Ebenso werkelte ein Teil des Teams an einer eigenen Sprache für die langgesichtigen Aliens, die Talaner. Denn es sollte ein wichtiger Teil des Videospiels sein, die Einheimischen verstehen zu lernen. Parallel entstanden die sechs großen Regionen der Spiegelwelt Adelpha, die durch die Stargate-gleichen Daoka-Portale verknüpft sind. Figuren-Modelle wie die Talaner wurden entworfen, das Tigerwesen Gamor, die Rüsselratte Sanmenai und der legendäre Killerdino Gorgor. Dazu reiste eine kleine Delegation nach Russland, wo der Soundtrack über eine Woche eigens vom Moskauer Symphonie Orchester eingespielt wurde.

Parallel entwarfen Yves Grolet und einige der fähigen Informatiker ein System das Game’s Artificial Intelligence with Agents – kurz: GAIA – genannt wurde. Dahinter verbirgt sich eine rudimentäre Künstliche Intelligenz, die den Talanern eine begrenzte Autonomie und einen Tagesrhythmus einhauchte. Während der Entwicklungszeit wurde auch immer wieder der irgendwann Paradise Engine genannte Grafikmotor aufgerüstet. Zwischen dem Beginn der Arbeit an Outcast und dem letztlichen Erscheinungstermin tat sich einiges. So kam es während der vier Jahre Entwicklungszeit zum Schwenk von 256 Farben zu 24-Bit, also 16,78 Millionen Farben. Die kontinuierlich steigende Leistungsfähigkeit von Prozessoren erlaubte neue Effekte inmitten der Voxel-Engine, die sich in reinen Polygon-Spielen erst Jahre später zeigten. Darunter Linsenreflexionen, Unschärfe-Effekte, Echtzeitschatten und mehr. 

First Person View

Ich glaube unsere Stärke war, dass wir nicht auf andere Spiele schauten, sondern das machten, was wir gerne erleben, sehen und spielen würden“, sagt Sauer. Nicht zuletzt wegen der grafischen Finessen und dem freien und ungezwungenem Spielprinzip war Outcast bei seinen Präsentationen auf Fachmessen wie der E3 1997 und 1998 ein echter Magnet. Insbesondere andere Entwickler waren sehr an dem Game dieses unbekannten Studios aus Europa interessiert – und waren beeindruckt, was dessen Macher sich trauten. In Vorschauberichten kleideten Journalisten ihre Erwartungen in blumige Worte und spekulierten, dass dieses Videospiel einen bleibenden Eindruck hinterlassen könnte.

Fahrt gegen die Wand

Am 20. August 1999 stand Outcast in den Läden. Viele der Tests in den großen Magazinen waren lobend und versuchten den Zauber der Welt von Adelpha, die etwas schräge aber unterhaltsame Story gut einzufangen. Tatsächlich war es ein Erlebnis, Cuter Slade durch die fremde Welt zu führen, wie durch die Schneewüste von Ranzaar, das sumpfige Okasankaar und das grasige Okaar, wo versunkene Tempel und idyllische Pagoden sich abwechselten. Dazwischen wird mit Pistole, Plasma- und Granatwerfer und Flammenwerfer gegen die Mannen von Fae Rhan angekämpft – wobei sich zwischen Third- und First-Person-Sicht umschalten lässt. Das ist auch heute noch echt cool. Es amüsiert, teils bizarre Aufträge für die Talaner zu erledigen – etwa Dinokacke einsammeln oder Steuereintreiber aus dem Dorf zu jagen.

Mit solchen Ideen war Outcast seiner Zeit voraus.


Dazu ist Outcast mit seinem schrulligem Humor und zahlreichen Details einfach liebenswert – und überraschend fortschrittlich. Gesuchte Orte werden nicht einfach auf einer Karte markiert, sondern die Talaner zeigen mit einem Finger in die entsprechende Richtung. Je nach Spielweise ändern sich Dialoge und Aufträge – und das bevor Peter Molyneux es in Fable als Revolution verkaufte. Es ist möglich als Cutter auf einer Art nacktem Vogel Strauß umher zu reiten – zwei Jahre bevor es in Halo lenkbare Fahrzeuge gab. Ist einem das zu langsam, lassen sich Teleporter-Plattformen in der Gegend platzieren, die einen hin- und herbeamen. Und das Speichern eines Spielstands Erfolg nicht einfach über ein Menü, sondern den magische Gaamsaav-Stein. Totaler Blödsinn, aber auch irgendwie… cool. Mit solchen Ideen war Outcast seiner Zeit voraus.

Hardware frisst Software

Trotz alldem floppte Outcast. Offiziell gingen 400.000 Exemplare über den Ladentisch – in den USA sogar nur 50.000. Aber angeblich lagen die Verkaufszahlen noch einmal einige Zehntausend Kopien niedriger. Aber wieso? „Weil die 3D-Grafikkarten kamen und die Spieler nach Spielen suchten, die mit ihrer Hardware laufen würden“, sagt Sauer heute. „Wären wir ein Jahr schneller gewesen, wären die Dinge anders gelaufen.“ Der Fortschritt im 3D-Bereich hatte die Entwickler schlichtweg überholt. 3D-Beschleuniger konnten 1999 umfangreiche Polygon-Welten erzeugen und waren erschwinglich geworden: die Polygone haben gesiegt. Outcast unterstützte keine 3D-Beschleuniger. Denn Voxel profitierten nicht von diesen Karten. Dazu kam der Erfolg von Konsolen wie der PlayStation, die es so einfach machten, imposante Games zu spielen, wie zuvor.

Was die Spieler für Outcast brauchten waren hingegen PCs mit schnellen Prozessoren – also seinerzeit 500 bis 600 Megahertz und auch 128 Megabyte RAM waren nicht schlecht, um das Game ruckelfrei genießen zu können. Aber nur in einer Auflösung von 320 x 240 oder 512 x 384 Pixel. Für ähnlich ansehnliche Games mit Polygon-Motor war weniger CPU-Power nötig, da die Grafiklast eben von einer schnellen GPU gestemmt wurde. Dazu sahen etwa Games wie Legacy of Kain: Soul Reaver zwar nicht so organisch aus, aber durchaus ebenso spektakulär – und das auch in 640 x 480 oder sogar 800 x 600 Pixeln.

Outcast wirkte damit zu seinem Erscheinen zwar hübsch, aber auch antiquiert oder obskur. Aber es war nicht nur das, was dem Erfolg von Outcast ein Bein stellte. In Europa machte Infogrames durchaus viel Aufhebens um das Game und fuhr eine große Werbekampagne. Aber in den USA? „Infogrames hatte dort gerade Accolade gekauft, um ihr US-Geschäft zu organisieren“, erzählt Sauer. „Ihnen gefiel die Idee nicht, von Europäern irgendwelche Anweisungen entgegenzunehmen. Daher boykottierten sie Outcast.“ Werbung in Magazinen, Pappaufsteller für Elektronik- und Games-Geschäfte? Darum mochte sich das Team von Accolade nicht kümmern. Selbst der Versand des Games an bekannte Magazine wurde angeblich nur widerwillig abgewickelt. „Verdammt kindisch“, sagt Sauer. „Du arbeitest vier Jahre an einem Spiel und dann entscheidet so ein inkompetentes Pack, dass es dein Produkt nicht verkaufen will.

Nach den enttäuschenden Verkäufen schraubte Infogrames seine Ambitionen für Outcast zurück. Eine geplante Umsetzung für Dreamcast wurde auf Eis gelegt und weitere Portierungen nicht debattiert. Das Team von Appeal war dafür sogar dankbar. „Als das Game fertig war, waren wir alle müde“, meint Sauer. Die Truppe war ausgebrannt und einige zweifelten, ob sie weiterhin in der Games-Branche bleiben wollten. Dennoch sollte es mit Outcast weitergehen. So groß der Stress war, der Großteil des Teams liebte die Welt, die es erschaffen hatte. „Ich denke, jeder stimmte zu, dass das Outcast-Universum großes Potential hatte, ein starkes Franchise zu werden“, meint Sauer. Daher begann nach einer kurzen Auszeit direkt die Arbeit an Outcast 2: The Lost Paradise

Wegen der schlechten Verkaufszahlen auf dem PC, forderte Infogrames, wir sollten uns auf die Konsole [die Playstation 2] konzentrieren“, erinnert sich Sauer. Erneut auf Voxel zu setzten war nicht möglich. Stattdessen baute das Team mit Blick auf die Architektur der PlayStation 2 eine neue Engine, die große Welten und detaillierte Figuren erlauben sollte. Auch das Gameplay und der Look sollten modernisiert werden. „Der Fokus sollte stärker auf der Action liegen. Oft wurde gesagt, es hätte keinen Abenteueranteil mehr gegeben: das ist aber nicht wahr!“, korrigiert Sauer verschiedene Gerüchte um das Game. „Das Ding ist: wir wussten, wie man den Abenteuer-Part gestaltet und haben uns daher zunächst auf die Action konzentriert. Im fertigen Spiel wäre ein großer Teil ‚Erforschen und Entdecken‘ drin gewesen.

Was die Story angeht, planten die Macher, die Stränge zum Vorgänger zu kappen und eine klassische Revolutions-Story zu erzählen: Nachdem Cutter die Erde und Adelpha rettete, beginnen die Menschen eine Invasion der wehrlosen Parallelwelt. „Es wäre natürlich etwas komplexer gewesen, aber im Grunde war es genau das“, meint Sauer. Mit der Arbeit an der Engine kam Appeal recht gut voran. Dann begannen die Probleme: „Es war nicht gerade einfach und billig, unsere Vision auf der PlayStation 2 umzusetzen. Zur gleichen Zeit machte der Marktdruck Infogrames Schwierigkeiten. Unser Budget wurde von sieben auf fünf Millionen gesenkt“, erinnert sich der Belgier. „Nachdem wir 3 Millionen ausgegeben hatten, drehten sie uns den Hahn zu, weil sie keine Mittel mehr für externe Studios freimachen konnten – oder wollten.“ 

In See stechen: Outcast-Style

Appeal geriet binnen Wochen in finanzielle Schieflage. Mitarbeiter des Kernteams, darunter Programmierer und Gründer Yves Grolet, verließen das Studio um das Jahr 2000. Einige Monate später wurde Outcast 2 eingestellt. „Es war weit davon entfernt, fertig zu sein. Es war lediglich ein Vertical Slice [eine Art Demo]„, erklärt Sauer. „Wir hatten zwei oder drei Level – und auch die waren alles andere als final.“ Das verbleibende Team unternahm angestrengt Rettungsversuche. Es wurde nach Publishern gesucht, die Outcast 2 übernehmen wollten und es wurden Investoren angesprochen. Dafür ließ sich das Studio auf einen zweifelhaften Deal ein. Im Tausch für die Rückkaufsrechte an Studioanteilen und Lizenzen von Infogrames sollte Appeal mit der Entwicklung eines Tim-&-Struppi-Spiels für die PlayStation 2 beginnen – und tat das auf Basis der Outcast-2-Technik. Aber nichts half. 2002 meldete Appeal Insolvenz an und das Studio wurde geschlossen.

Rückkehr

Nun jedoch feiert Outcast tatsächlich ein Comeback. Im Februar 2013 hatten Yves Grolet, Franck Sauer und Yann Robert verkündet, dass sie gemeinsam die Rechte an Outcast vom insolventen Publisher Atari S.A., der aus Infogrames hervorging, zurückgekauft haben. Mit dem Ziel Outcast wiederzubeleben. „Wir hatten seit Jahren immer wieder Kontakt mit Infogrames und Atari“, erzählt Sauer. „An einem Punkt im Jahr 2012 sahen wir, dass Atari am Rande zum Bankrott stand und wir wollten einen Rückkauf arrangieren. Wir machten ein anständiges Angebot und sie stimmten zu.“ Zunächst entwickelten die Belgier ein Remaster des Originals. Dafür wurde das gesamte Game auf die einst von Sauer entwickelte Engine Fresh 3D – die übrigens auch für das Kinect-Beat’em Up Fighter Within genutzt wurde – portiert und dann als Outcast 1.1 veröffentlicht. 

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Outcast 2 – A new Beginning. Trailer

Dann wurde Appeal neugegründet und mit Outcast: Second Contact ein echtes Remake von Outcast angegangen, das den Klassiker 2017 mit viel Passion aber auch einiger Stolperei in die Moderne hievte. Danach begann die Arbeit an einem neuen Outcast 2 an dem Franck Sauer zwei Jahre lang mitgearbeitet hat. Aber zwischenzeitlich hat er Appeal verlassen, um „andere Dinge“ zu tun, wie er meint. Was er selbst bislang von Outcast 2: A New Beginning, wie nun der Titel des neuen Outcast 2 lautet, gesehen hat, findet er beeindruckend. Wie er meint, wäre nichts davon ohne die langjährigen Fans möglich gewesen, die mit Fanseiten und Projekten wie Open Outcast: Legacy of the Yods immer wieder bewiesen, dass Outcast zwar ein Videospiel ist, aber auch eine Vision. „Ich denke“, sagt er. „sie haben das Outcast-Universum wirklich am Leben erhalten. Sie sind fantastisch – ihr seid fantastisch.“ 

Mit Elsewhere Entertainment hatte Yves Grolet im November 2001 neues Studio gestartet. Dort wollte er, wie er meinte, eine Art spirituellen Nachfolger zu Outcast entwickeln. Wovon er sprach, das war ein Xbox-Titel, der unter den Namen Project Alpha oder auch The Incident entwickelt und 2002 als Symbiosis enthüllt wurde. Ein Squad-basierter Shooter für vier Spieler sollte es werden, der die Helden in einer futuristischen Umgebung auf Kampfeinsätze schickt. Allerdings wurde das Game zugunsten eines anderen Titels auf Eis gelegt: Totems, ein Action-Abenteuer, das den Spieler als indianische Helden in New York City gegen Geister und Dämonen antreten lässt. Doch auch hieraus wurde nichts, nachdem der deutscher Publisher 10TACLE das Studio Elsewhere 2005 übernahm und mitsamt diesem im Jahr 2008 unterging. Tja.

Michael Förtsch Freier Autor

MF

Schreibt eigentlich über Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, das Internet, Science-Fiction und wurde immer wieder gezwungen, die Blockchain und NFTs zu erklären. Er lebt derzeit im Wallfahrtsort der WASTED-Community.

11 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Jagoda Jagoda says:

    Danke an @Michael für den tollen Beitrag. Sehr genossen. Insbesondere, weil ich die Tragik der neuen 3D-Beschleuniger und das Ende der Voxelgrafik zum 1. Mal verstanden habe. Des einen Leid…

  2. Avatar for Bonito Bonito says:

    Oh ja, outcast! Hat mein Rechner damals nicht gepackt und als ich es Jahre später dann endlich mal durchgespielt hab, gab es längst größere Welten, deren Karten einfach spannender designt waren.
    Nun mal eine andere Frage ins blaue, vielleicht kann mir die jemand zufällig beantworten. Und zwar habe ich vor kurzem beruflich mit CT-Scans zu tun gehabt, die als voxelgrafik vorlagen. Ein Kollege riet für eine längerfristige Nutzung zur Anschaffung eines Gaming-PCs, wegen der dedizierten Gpu. Aber sind gpus nicht vor allem für Polygongitter zu gebrauchen? Dass da möglicherweise noch irgendwelche Lichtshader hilfreich sind, konnte ich mir noch vorstellen, aber schon die Berechnung von texturen funktioniert doch bei voxeln komplett anders, oder ist das überholt?

  3. Avatar for Adrian Adrian says:

    Das kommt drauf an wie die Software funktioniert. Auch Voxel-Engines profitieren enorm von den parallelisierten Vektor-Berechnungen von Grafikkarten. Nvidia bietet ja auch ein framework für Voxel an und es gibt wohl paar Engines die Voxel auf der GPU nutzen.

    Außerdem kann es durchaus sein, dass nur die CT-Scan Informationen als Voxel gespeichert werden, diese aber später als Polygonen gerendert werden (so funktioniert z.B. Minecraft).

    Zu Outcast: war eigentlich das 9Minuten intro überspringbar?

  4. Avatar for Bonito Bonito says:

    Aah, das macht total Sinn. Vielen Dank!

  5. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Kein Wunder hat sich das nicht durchgesetzt. Rein auf CPUs und in annehmbarer Auflösung berechnet, ist das der reine Horror. Da wird das Spiel zur Diashow.

  6. Witzigerweise hatte ich erst vor ein paar Monaten mit jemanden aus der Medizininformatik gesprochen: Und ja, genau das ist bei vielen Systemen der Fall. Die Voxel werden als Polygone gerendert, und das eben dynamisch basierend auf der gewünschten Auflösung. Ganz ähnlich wie eben mit Vektorgrafiken. Die werden auf die gewünschte größe „gezogen“ und dann eben als Polygone oder Pixel ausgerendert.

  7. Mist. Das hätte ich testen sollen. Aber wenn ich mich recht erinnere … zumindest zum Launch ging das nicht.

  8. Ja, wären sie etwas früher, oder etwas später dran gewesen, hätte das alles anders laufen können.

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