Bei Free-to-play-Spielen kann die Kreditkarte schon mal sehr locker sitzen. Besonders, wenn die eigene Vernunft sich im Flow vom Acker macht. Ein Aufschlag von Fabu.
Einige wenige von euch werden sich vielleicht an mein Gespräch mit Christian Schmidt erinnern, in dem ich von meinen Erfahrungen mit dem Mobile Game Tennis Clash und dessen Free-to-play-Mechaniken berichtete. Da mich das Spiel damals durch eigenes Verschulden eine ganze Stange Geld kostete, war ich dann aber auch recht froh, das Kapitel abzuschließen. Schließlich spiele ich Tennis Clash gar nicht mehr und überhaupt waren es ja auch “nur” 300 Euro und nicht Haus und Hof.
Nun drehte ich vorhin meine übliche Runde durch Instagram und plötzlich erinnerte mich ein Werbevideo daran, bei Tennis Clash doch mal wieder den Schläger schwingen zu können. Fuck it! Also ja, vielleicht tue ich das nachher noch, aber bevor das geschieht und ich womöglich Geld für magische Schweißbänder ausgebe, möchte ich dem Thema hier etwas Raum geben.
Um mein Verhältnis zu Tennis verständlich machen zu können, muss ich zurück zu meiner Kindheit und Jugend springen. Ballspiele faszinieren mich, seitdem ich denken kann. Ich war jedoch ein unsportliches und später auch übergewichtiges Kind, sodass mir der Zugang zum Teamsport meist verwehrt oder madig gemacht wurde. Irgendwann stieß ich dann auf Tischtennis und bemerkte, dass ich mein Übergewicht mit guten Reflexen und Ballgefühl kompensieren konnte. Yeah! Nach zweimaligem Gewinn der Vereinsmeisterschaft beim TSV Vorwärts Hanerau-Hademarschen konnte ich dort nichts mehr rocken, folgte dem Ruf der Natur und trat in den Tennisverein meines Heimatdorfes ein. Naja, letztlich ist das nur eine blumige Umschreibung dafür, dass die coolen Girls der Schule dort auch verweilten, während im Tischtennisverein ein paar Nerds ihre Hölzer polierten.
Ballwechsel müssen nicht schön, sondern siegreich sein
Also Tennis. Das war gut. Und cool. Immerhin trug ich das pinke André-Agassi-Outfit. Ein bisschen eng, okay, aber egal. Ich brachte das Ballgefühl vom Tischtennis mit und es bereitete mir sehr viel Freude und ansehnliche Ballwechsel, das auf den Sandplatz zu übertragen. Irgendwie war ich jetzt fast ein bisschen sportlich. Dann begannen die Punktspiele und Turniere und das ist der verflixte Knackpunkt: Sobald es um etwas geht, gerate ich in eine Starre und verliere die Freude, weil effizientes Spielen verlangt wird. Ballwechsel müssen nicht schön, sondern siegreich sein. Beim Tischtennis kam ich damit durch, aber das Mitbewerberfeld dort war im Schnitt auch einen Kopf kürzer. Bei sowas zeigt sich dann letztlich ja auch, wieviel Fleiß man bereit ist, in etwas zu investieren. Aber naja, dann hatte ich plötzlich meine erste Freundin und eh keine Augen mehr für Tennis. Der Sport hat mich trotzdem nie ganz losgelassen und phasenweise gucke ich mir bis heute Matches an oder versuche mein Glück auf digitalem Wege. So gelang ich dann auch zu Tennis Clash, und ihr zu der Passage, in der es eigentlich erst losgeht.
Sich in ein Tennisspiel auf dem Smartphone zu verbeißen, könnte die Vermutung hervorrufen, jemand habe weder Ahnung von Tennis noch von Spielen. Meine Expertise als zweifacher Tischtennis-Vereinsmeister des TSV Vorwärts Hanerau-Hademarschen sollte für dieses Medium aber ausreichen, um glaubhaft bescheinigen zu können, dass Tennis Clash ein ziemlich gutes Tennisspiel ist. Die Steuerung geht intuitiv in die Fingerspitzen über, Schläge fühlen sich wuchtig an und mit der Zeit lassen sich wirklich sehr ansehnliche und spannende Matches gegen Mitspieler*innen bestreiten. Weit mehr Arcade als Simulation, aber nah genug am echten Tennis, um zu erkennen, dass hier fähige Menschen am Werk sind. In gewissen Bereichen leider etwas zu fähig, denn im Verlauf meiner Spielzeit über drei Wochen gab ich 296,70 Euro für Mikrotransaktionen aus. Die wiederum gingen zum Großteil für Zeitersparnis drauf. Bei Tennis Clash ist es nämlich so, dass nach jedem Sieg eine Sporttasche ins Inventar flattert, was letztlich eine Lootbox in neuem Gewand ist. Das Öffnen der Tasche ist mit einer Wartezeit verbunden, die sich mit kostenpflichtigen Schlumpfbeeren umgehen lässt. Das Inventar kann eine begrenzte Anzahl Taschen fassen, sodass, wenn ich im Spielfluss bin, ein Stau unumgänglich ist. Nun kann ich also warten oder blechen. Die ersten 60 Euro redete ich es mir schön, es sei schon okay, schließlich würde man das auch für einen Vollpreistitel ausgeben. Und, klar, niemand zwingt mich, die Wartepause bis zum nächsten Loot abzukürzen, aber… den inneren Zwang gibt’s ja durchaus.
Denn natürlich ist Loot neben Skill ein elementarer Bestandteil auf dem Weg zur Charakter-Optimierung. Werte wie Schlagkraft und Laufgeschwindigkeit lassen sich durch Kleidungsstücke beeinflussen. Diese müssen sehr mühsam gesammelt und optimiert werden. In Kombination mit dem künstlichen Stau im Inventar ist Frustration vorprogrammiert, die sich aber mit Cash wegzaubern lässt. Und, nun, ich bin anfällig dafür. Der Flow wurde ständig unterbrochen und der Flow war gut. Richtig gut. Also wurden aus 60 sehr bald 200 Euro, um im Rhythmus zu bleiben.
Ich muss dranbleiben, sonst werde ich bestraft
In einer höheren Liga rannte ich dann gegen eine Wand. Auch hier galt verstärkt: Ballwechsel müssen nicht schön, sondern siegreich sein. Ich pumpte noch etwas Zeit rein, aber die Mauer hielt stand und ich verlor das Interesse. Ein paar Wochen später guckte ich mal wieder rein und sah, dass ich durch meine Inaktivität in die Anfangsliga abstieg. Auch das noch. Ich muss also dranbleiben, sonst werde ich bestraft. So ist das beim Tennis ja auch.
Ich möchte fast den Hut ziehen vor den Entwickler*innen für die Raffinesse, die in die Monetarisierung dieses Spiels fließt. Es steht mir frei, mich dem nicht auszusetzen. Demnach war es eine bewusste Entscheidung, Schlumpfbeeren zu kaufen. Und eigentlich möchte ich auch gar nicht darüber sprechen, weil’s mir durchaus unangenehm ist. Ich konnte die 300 Euro ganz gut verkraften, aber ich kenne auch Zeiten, in denen die den Unterschied zwischen Miete und Kündigung ausmachten. Davon abgesehen gibt es viele Menschen, die weitaus mehr Kohle in F2P-Games ballern. Es missfällt mir, dass das immer einfach so hingenommen wird. Und als sei es ein Problem der Anderen. Aber auf Vernunft ist kein Verlass.
Christian Schmidt fragte mich im Podcast, ob ich den Geldeinsatz bereuen würde. Die Frage zu beantworten, fällt mir bis heute nicht leicht. Der Preis für das reine Spielerlebnis war natürlich viel zu hoch, aber mir wurde erneut vor Augen geführt, wie empfänglich ich für derlei Mechaniken bin. Und ich hoffe, es hilft beim nächsten Mal dabei, dem Reflex zu widerstehen, um jeden Preis den Flow aufrecht erhalten zu müssen. Und, Sega ey, bringt endlich mal neues Virtua Tennis raus.
Finde ich sympathisch das Fabu hier die »beim richtigen Spiel kann das jeden erwischen« Diskussion aufmacht, anstatt diesem ewigen »diese Leute müssen ja doof sein« Getue. Ein Bekannter von mir, der schon in Rente (sprich alt) und Bipolar ist, hat in seinen manischen Phasen Unmassen an Geld in Pokemon Go gesteckt. Der hat auch vorher schon, klar, in solchen Phasen Geld verplempert. Aber F2P-Spiele machen einem das unendlich viel einfacher.
Schöner Text.
Ich bin froh das ich bei Spelen anscheinend nicht sonderlich anfällig dafür bin. Vielleicht ist es fehlender Ehrgeiz, wenn immer in Titeln eine Bezahlschranke kommt denke ich „Dann halt nicht“ und mache etwas anderes oder spiele später nochmal.
Meine Frau hingegen hat mal einiges an Geld erst in FarmVille und dann in diesem Simpsonsableger davon gesteckt. Wo man (für mein Gefühl) ja nicht mal spielt.
Aber wo ich dieses Problem auf jeden Fall kenne, sind diese schrecklichen Münzschieber in der Arcadehalle in niederländischen Ferienorten. Habe da mal direkt am Urlaubsanfang 200€ verballert und als Gegenwert nur Krimskrams bekommen. Da war die Urlaubskasse nicht drauf vorbereitet.
Mechaniken, wie in diesen Spielen, sind einfach nur niederträchtig.
Die Entwickler:innen verwenden Unsummen an Ressourcen darauf, in der menschlichen Psyche Knöpfe zu drücken, damit am Ende Geld fließt. Und auf die ein oder andere Art ist jede:r dafür anfällig. Das hat nichts mit mangelnder Disziplin oder Schwäche des Einzelnen zu tun, sondern ist eine nahezu allen Menschen immanente Eigenschaft, die von geldgeilen Unternehmen ausgenutzt wird.
Und Knöpfe, auf die man psychisch anspringt, hat wirklich nahezu jede:r. Nur welche das sind, unterscheidet sich hier und da. Die Algorithmen der großen Techunternehmen wie Facebook & Co. sind schon sehr gut darin, bei jedem:r das zu triggern, was ihn/sie eben triggert. Darauf basiert deren ganze Existenz. Aber es gibt eben auch Knöpfe, die fast jede:r teilt und da kommen dann eben auch so Spiele wie Tennis Clash ins Spiel: Fear Of Missing Out, Frust, Belohnung, … all die Klassiker eben, die wir als Computerspieler:innen schon lange kennen.
Wie viele Leute schon in ihrem echten Leben schlimme Probleme hatten, nur weil sie durch solche Unternehmen ausgetrickst wurden und ihnen das Geld aus der Tasche gezogen wurde - ich will es gar nicht wissen.
Für mich ist deshalb Free-to-Play nicht nur ein alternatives Bezahlmodell, das wir akzeptieren sollten, wie alle anderen auch, sondern ein Angriff auf grundlegende, menschliche Schwächen, vor denen niemand von uns gefeit ist - nicht mal die Menschen selbst, die diese Sache programmieren. Ich mache um möglichst alles davon einen großen Bogen. Nicht, weil ich Sorge habe Geld auszugeben, das ich nicht ausgeben will. Sondern weil ich derlei Praktiken nicht mit dem unterstützen will, was wertvoller ist als Geld: meiner Zeit. Gibt genug gute Spiele, die ein ehrliches und faires Bezahlmodell haben.
Danke für diesen Artikel! Finde ich richtig stark da auch mal die eigene „Schwäche“ zum Thema zu machen. Wobei ich @strapinski natürlich auch recht gebe: das ist geschickte Manipulation, die mal mehr mal weniger jeden treffen kann. Da muss man sich nicht für schämen. Ich vermute, dass fast jeder da mal in die Falle getappt ist. Ich ärgere mich noch immer über jeden Cent, den ich mal in Hearthstone und die Kartenlootboxen investiert habe
Uff, ja, dafür habe ich damals auch viel ausm Fenster geworfen.
Tandem-TT… Tolles Tischtennis, toller Text!
Habe in dieser Form tatsächlich noch nie Kohle verballert. Da scheint ein Teil meines Hirns blockiert zu sein. In dem Fall zum Glück.
Ich bin dafür bei meinem Media-Budget insgesamt völlig maßlos. Der -Content drückt in meiner Psyche Knöpfe. Nicht niederträchtig, sondern so gut.
Schöner text.
Schöne tennisleidenschaft.
Selber kann ich ja nur ein wenig tischtennis spielen. Aber ich habe da auch ähnliche sympathien zum sport und dazugehörigen computerspielgenre.
Tie Break und vor allem topspin4 habe ich gerne und ausgiebig gespielt.
Top spin war zu dieser zeit ein richtig gutes spiel und vorallem die sounds liessen einen richtig im tennisstadion sein
Ich kann mit Tennis ja gar nichts anfangen. Dabei war ich als Grundschüler sogar mal eine zeitlang im Tennisverein (paar Monate vielleicht). Habe sogar mal ein „richtiges“ Punktespiel gegen jemand Fremden gespielt. Aber ich kann so Wettbewerbsdruck nicht gut aushalten. War ewig im Fußballverein, wegen der Freunde, und war sehr froh, dass ich da 98% der Zeit auf der Ersatzbank saß.
Trotzdem hatte ich auf dem SNES „Super Tennis“ und mit meinem Bruder auch recht viel gespielt. Aber warum wir das hatten? Ich weiß es nicht. Erinnere mich nicht daran, dass irgendwer von uns irgendeinen Faible für Tennis hatte oder hat. Wenn höchstens mein Vater, aber der war da schon ausgezogen.
Tischtennis hingegen ist natürlich geil. Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend kein Rundlauf gespielt haben, sollten jeden Tag beten, dass sie die Erfindung der Zeitmaschine noch erleben dürfen.