Deathloop ist gerade erschienen – schon wieder! Das Spiel kommt aus der Hand von Arkane Studios, dem Team hinter Dishonored und dem gnadenlos unterschätzen Prey von 2017. Es ist ein weiterer Vormarsch ins Immersive-Sim-Genre, mit einem Twist: Wir sind in einer Zeitschleife gefangen und erleben dasselbe immer wieder neu. Genau wie diese Review.
Und täglich grüßt die “Und täglich grüßt”-Überschrift
Man verzeihe mir die Überschrift, doch man kommt an dieser Referenz nicht so recht vorbei. Wie Bill Murray im Filmklassiker Groundhog Day ist auch Deathloop-Protagonist Colt in einer Zeitschleife dazu verdammt, denselben Tag immer wieder zuerleben. Ist der Tag vorbei, geht er von vorne los. Stirbt Colt, geht er von vorne los. Kein Entkommen. Fast keins.
In Groundhog Day muss Bill Murrays Figur ein besserer Mensch werden, um der Zeitschleife zu entfliehen. In Deathloop läuft es anders: Um dem ewig gleichen Tag auf der Insel Blackreef zu entkommen, muss Colt die acht Visionäre töten, die die Zeitschleife aufrechterhalten – natürlich alle am gleichen Tag. Als wäre das nicht kompliziert genug, gibt es auch noch die Widersacherin Julianna, die immer wieder auftauchen kann, um Colt daran zu hindern, die Zeitschleife zu durchbrechen.
Dishonord trifft auf Hitman
Deathloop ist ein First-Person-Shooter, aber das ist egal. Viel wichtiger als das Gunplay ist die Planung des Tages und die Exploration der verschiedenen Areale. Alle acht Visionäre an nur einem Tag zu erledigen, erfordert einige Vorbereitung und gute Kenntnisse der Tagesabläufe sowie der verschiedenen Umgebungen.
Deathloop gliedert den Tag in vier Abschnitte: Morgens, Mittags, Nachmittags und Abends. Zu jedem Zeitpunkt kann man eines von vier Arealen besuchen, aber keine zwei zur selben Tageszeit. Ihr könnt euch denken, dass die Tageszeit eine entscheidende Rolle spielt, denn jedes Level spielt sich anders, je nachdem, wann man es besucht. So wird beispielsweise nur am Abend eine große Party gefeiert, morgens ist in den Straßen weniger los. Zudem können Ereignisse zu früheren Tageszeiten solche zu späteren beeinflussen. Brennt am Vormittag etwa ein Gebäude ab, steht es nachmittags nicht mehr. Andersherum könnte man beispielsweise am Mittag eine Sabotage vornehmen, die am Abend ihre Früchte trägt.
Deathloop ist ein First-Person-Shooter, aber das ist egal.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist: Colt kann, so wie ihr vor dem Bildschirm, Informationen von einem Loop in den nächsten mitnehmen. Alles andere geht verloren. Die Auflistung gesammelter Infos wird praktisch nach Ort und Tageszeit gegliedert. Außerdem führt das Spiel eine Questliste zu jedem Visionär, den es zu töten gilt. Findet man geeignete Wege, jemandem aus dem Weg zu räumen, gilt eine solche Aufgabe als abgeschlossen. Habt ihr für alle acht Figuren einen Lösungsweg erarbeitet, müsst ihr das Ganze noch einmal in einzigen Loop über die Bühne bringen. Aber keine Sorge: bis dahin kennt ihr Blackreef und seine Bewohner*innen wie eure Westentasche.
Deathloop weist einige auffällige Ähnlichkeiten zu Hitman auf. Hier wie dort geht es darum, die Abläufe in einem level genau zu studieren und durch Wiederholung immer genauer zu wissen, wie das Uhrwerk tickt, in dem man herumschleicht. Dabei tut man immer neue Weg auf, die Ziele zu erreichen und wird immer schneller und besser darin – ein belohnendes Gefühl.
Immersive Sim, Roguelike und all diese Buzzwords
Quantitätsmatrix
Deathloop löst mit seiner Zeitschleife ein zentrales Problem des Immersive-Sim-Genres. Wer Dishonored oder Prey gespielt hat, weiß, dass diese Spiele vom Quicksave leben. Denn das Genre lädt zu Exploration und zum Experimentieren ein. So manche Experimente können aber ganz schön in die Hose gehen und einen schneller ins Grab bringen als man “Und täglich grüßt” sagen können. Dann muss man den letzten Spielstand laden und es neu probieren. So tastet man sich vorsichtig durchs Spiel, speichert gründlich und lädt bei einem Fehltritt eben neu. Spätere Teile von Dishonored hatten sogar Hotkeys dafür – auch auf der Konsole! Dem Entwicklungsteam war also klar, wie ihre Games gespielt werden. Und obwohl mir Immersive Sims immer sehr viel Spaß machen, fühlt sich das neurotische Neuladen wie eine Krücke an. Weil das Speichern, das eigentlich ein Meta-Element ist, plötzlich und auf seltsame Art Teil des Spielprinzips wird.
Um dieses alte Problem zu lösen, klaut sich Deathloop eine Idee aus dem Roguelike-Genre: Es macht den Tod zu einem zentralen Spielelement. Speichern und Laden ist hier überhaupt nicht im Angebot. Stattdessen geht im Todesfall der Tag einfach von vorne los und man probiert ein Level – mit neuem Wissen – einfach noch einmal. Pro Level darf man sogar zweimal sterben und wird einige Momente zurückgesetzt, bevor der Loop endgültig endet. Das federt unnötigen Frust ab und erschien mir durchweg als gute Balance für das Spiel, das insgesamt ein mittleres Schwierigkeitsniveau hat.
Spielen, das von Neugier und Freiheit angetrieben wird.
Ein weiteres Mal bedient sich Deathloop an Roguelike-Ideen, wenn es einem die Möglichkeit eröffnet, gesammelte Waffen und Fähigkeiten aus einem Loop in den nächsten mitzunehmen. Dazu muss man Residuum aufnehmen, eine recht seltene Ressource, mit der man Gegenstände in der Zeit festhalten kann. Ein bisschen davon kann man mit Glück in Gegenständen finden, die in der Welt verstreut sind. Eine satte Menge von dem Zeug gibt es aber nur, wenn man Visionäre aus dem Weg räumt. Das ist aus verschiedenen Gründen besonders belohnend: Sie hinterlassen nämlich nicht nur das begehrte Residuum, sondern auch ihre einzigartige Fähigkeit und ihre persönliche Waffe.
Experimentierfreude
Zwar gibt Deathloop mit seinen Questreihen einige Lösungswege vor, aber die kann man eher als Angebot verstehen, dem man zwar folgen, das man aber auch ignorieren kann. So gibt es in Deathloop viele Freiheitsgrade. Zu jeder Tageszeit darf ich entscheiden, welches Areal ich besuchen möchte. Ich kann versuchen, Informationen zu sammeln oder auf Jagd nach seltener Ausrüstung gehen. Oder ich kann die Visionäre töten, um ihre Fähigkeiten zu farmen.
Diese Fähigkeiten heißen Slabs und sie sind mit dem Skill-Repertoire vergleichbar, das man aus den Dishonored-Spielen kennt. Mit dem Shift-Slab kann man sich beispielsweise kurze Strecken teleportieren, exakt wie in Dishonored. Andere Ideen sind hingegen neu, wie etwa der Nexus-Slab. Hiermit lassen sich Gegner aneinander binden und das Schicksal das den einen ereilt, trifft auch alle anderen. Wenn das jeweilige Schicksal eine Kugel in den Kopf ist, könnt ihr euch vorstellen, was passiert: alle verbundenen Feinde fallen gleichzeitig um. Als hätte Thanos mit dem Finger geschnippt! Upgrades erlauben es zudem, jede Fähigkeit zu modifizieren. Man kann den Shift-Slab beispielsweise so verändern, dass man mit einem Feind die Plätze tauschen kann. Solche Modifikatoren eröffnen immer neue Möglichkeiten in Kombination mit anderen Fähigkeiten. Beispielsweise kann ich eine Mine unter mir ablegen, bevor ich den Platz mit meinem Ziel tausche.
Deathloop zeigt, was Videospiele alles sein können.
Duch die verschiedenen Slabs gibt es viele Kombinationen, mit denen wir kreativ werden und experimentieren können. Mein persönliches Highlight: Der Nexus-Slab mit dem Ansteckungs-Upgrade. Hierbei übertragen Figuren ihre Verbindung spontan auf weitere Gegner in der Nähe, sodass ihr, sagen wir auf einer großen Party, einen Saal von 20 Personen miteinander verbinden könnt, um sie alle mit nur einer einzigen Kugel zu erledigen. Das sind die Momente in Deathloop, die einen ins Fäustchen kichern lassen und in denen man sich ebenso listig wie klug vorkommt. Kurz: mit den verschiedenen Kräften zu Experimentieren macht wahnsinnig viel Spaß.
Schadenfreude
Erinnert ihr euch an die ersten Absätze – als Julianna erwähnt habe? Sie ist Colts Widersacherin und will ihn daran hindern, den Loop zu durchbrechen. So kann sie zu jeder Zeit in einem Level auftauchen und Jagd auf euch machen. Spielt ihr online, wird Julianna von anderen Spieler*innen gesteuert. Im Offline-Modus bekommt ihr es mit einer computergesteuerten Julianna zu tun. Ihr könnt den Spieß aber auch umdrehen und mit Julianna andere in ihrem Spiel heimsuchen.
Dafür gibt es einen eigenen Spielmodus, in dem ihr Erfahrungspunkte sammelt und neue Fähigkeiten für Julianna freischaltet. Außerdem ist es eine willkommene Abwechslung. Anstatt ewig der Gejagte zu sein, werdet ihr selbst zur Jägerin, ganz ohne Risiko. Empfehlen würde ich diesen Spielmodus aber erst, wenn ihr etwas mehr Verständnis vom Spiel entwickelt habt und die Areale gut kennt. Julianna hat es nicht leicht, denn sie muss ohne die zwei Extraleben auskommen, die Colt mitbringt. Kennt man einLevel aber sehr gut, kann man sich vorbereiten und dadurch einige Vorteile verschaffen. Zum Beispiel, wenn man genau weiß, in welcher Mission die Spieler*innen gerade stecken und wo sie sich herumtreiben werden. Mit diebischer Freude habe ich auf Dächern und in Häuserschluchten auf die Lauer gelegt und ahnungslose Opfer aus dem Leben gepflückt. Wer eine Definition von Schadenfreude sucht, kann sie in diesem Modus am eigenen Leib erfahren.
Fazit
Deathloop zeigt, was Videospiele alles sein können. Man könnte es für einen Shooter halten und läge doch daneben. Arkane Studios gießen ihr Shooter-Gameplay in so eine interessante Struktur, dass bloßes Schießen in den Hintergrund tritt. Stattdessen seid ihr damit beschäftigt, euren Tag zu planen, immer neue Informationen an verschiedenen Stellen zu unterschiedlichen Zeiten aufzuspüren und mit immer neuen Puzzle-Teilen immer neue Wege zu beschreiten. Dabei fühlt sich jeder Schritt so an, als habe man ihn aus eigener Kraft erreicht und seinen eigenen Pfad dabei ausgetreten. Das erzeugt ein immersives Spielerleben, das das Beste aus dem Medium herausholt: Spielen, das von Neugier und Freiheit angetrieben wird.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dailydpad.de erscheinen.
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