Stray

Dieses Jahr war nicht alles scheiße. Mit Katzen gegen die Schlechtigkeit der Welt.

Stray hat einen kleinen Hype ausgelöst. Dabei ist stundenlanges Herumstreunen durch eine postapokalyptische Welt das Einzige, das es zu bieten hat. Als Katze, wohlgemerkt. Machen wir uns nichts vor: Das ist, worauf der ganze Erfolg beruht. 

Stray Action-Adventure

Release
19.07.2022
Entwickler
Blue Twelve Studio
Publisher
Annapurna Interactive
USK
ab 12
Links
Offizielle Seite

Der Erfolgstitel des Sommers ist kein großer Blockbuster mit schwindelerregend hohem Entwicklungsbudget, sondern kommt vom kleinen „BlueTwelve Studio“ aus Südfrankreich. Stray hat innerhalb kürzester Zeit die Herzen unzähliger Spieler*innen erobert, auf Twitter und anderen sozialen Plattformen heftige Begeisterungsstürme ausgelöst und Traumbewertungen eingefahren. 

Dass auf Steam stolze 97 Prozent der rund 73.000 Rezensentinnen das Spiel positiv bewerten, liegt dabei – machen wir uns nichts vor – hauptsächlich an der flauschigen Hauptfigur, einer namenlosen Katze, der/dem titelgebenden Streuner*in. Ein Blick in die Top-Kommentare reicht, um mir zu bestätigen, dass ich mit diesem Eindruck, der mich bereits in den ersten Minuten des Spiels beschlichen hat, nicht alleine bin:

„Mit Abstand das BESTE Spiel aus 2022“, schreibt etwa nele025, ehe sie sechs Gründe für ihr Urteil nennt: 

1. Man ist eine Katze

2. Die Grafik ist WUNDERSCHÖN

3. ROTE KATZE AH

4. Cyberpunk Stil einfach mega

5. Man kann schnurren!! 

6. Man is eine Katze!!!!!!!!!!!

Lässt sich nicht leugnen: Man spielt eine Katze.

Andere hinterlassen einfach nur ein oder gleich zahlreiche Meows, kommentieren schlicht „Katze <3“, betrauern, dass ihre eigene Katze das Spiel nicht mehr miterleben kann oder beteuern, dass sie sich nach dem Spiel nun selbst eine anschaffen wollen. Es scheint, als hätte die seit Jahr(zehnt)en von „cat content“ besessene digitale Welt mit Stray endlich ein Videospiel bekommen, dass die offenbar grenzenlose Liebe zu den niedlichen Vierbeinern bedient. 

In der Schlechtigkeit der Welt ist eine arglose Katze willkommener Fluchtpunkt

Eigentlich seziere ich leidenschaftlich gerne das Erzählpotenzial von Videospieltiteln, setze mich mit ihren gesellschaftlichen Implikationen auseinander und hebe besonders aussagekräftige Elemente eines Plots hervor. In diesem Fall kommt mir das alles aber deplatziert vor. 

Klar, das Setting von Stray könnte dazu einladen. Schließlich dient eine postapokalyptische Welt als Kulisse, in der es keinerlei Menschen mehr zu geben scheint. In einem unterirdischen Netz an Slums, kleinen Siedlungen und autoritär regierten Mega-Städten hausen nur noch Roboter. Sie träumen von der „Außenwelt“ zu der sie seit vielen Jahren keinen Zugang mehr haben. Die Menschen haben sie vor ihrem offenbaren Aussterben abgeriegelt, nachdem sie für sie unbewohnbar geworden ist. 

Das lässt natürlich sofort an die Gegenwart denken, in der die Menschheit ebenfalls unaufhörlich an ihrem eigenen Niedergang arbeitet, indem sie durch ihre Lebensweise jede Lebensgrundlage nachhaltig zerstört. Der metaphorische Gehalt des Spiels ist allerdings recht plakativ und enthält keine Aspekte, die nicht zum dystopischen Standardrepertoire gehören. Das Setting erzeugt eine dichte Atmosphäre, ist aber sicherlich nicht ausschlaggebend für den Erfolg von Stray

Mitunter ist die Spielwelt düster, richtig unangenehm wird es dank Katze aber nicht 

Das Elend, das die meiste Zeit der ungefähr sechsstündigen Spieldauer dominiert, regt weniger zum echten Nachdenken an als dass es die ohnehin schon enorme Liebenswürdigkeit der Hauptfigur noch stärker hervorhebt. Vor dem Hintergrund der Schlechtigkeit der Welt der Menschen ist eine arglose Katze willkommener Fluchtpunkt, eine Art stummer Freudenspender bei all der Beschissenheit, mit der wir uns ansonsten konfrontiert sehen. 

Und hoppla, schon wieder wähnt man sich weniger in der fiktiven Zukunft als im tatsächlichen Jetzt. Schließlich sind Katzen hierzulande nicht umsonst die beliebtesten Haustiere überhaupt, in beinahe jedem vierten Haushalt wohnt mindestens eine von ihnen. In der Realität wie im Spiel schlägt das Kindchenschema (großer Kopf, große Augen, kleine Nase) mit allen positiven Gefühlsregungen, die es auslöst, voll ein. 

Stray verpasst es nicht, die nervtötenden Eigenschaften von Katzen abzubilden

Quantitätsmatrix

Wie gut es den Entwickler*innen gelungen ist, das echte Verhalten von Katzen im Allgemeinen in die Spielwelt zu übersetzen, wird schon in der ersten Sequenz klar. In der ominösen Außenwelt haben es sich vier Katzen während eines Gewitters in einem Vorsprung eines überwucherten Industriegeländes gemütlich gemacht. 

Die Hauptfigur streckt sich zunächst ausgiebig, dann kann ich mit den Artgenossen interagieren. Sie rollen sich auf dem Boden, um einander zum Spielen aufzufordern, putzen sich mit dem Pfötchen das Gesicht, schleichen umeinander her und necken sich, ehe sie zu einer gemeinsamen Erkundungstour aufbrechen. Dabei wird die Hauptfigur in einem ersten von vielen herzzerreißenden Momenten von der Gruppe getrennt, als sich ein Rohr überraschend absenkt und die Katze in die Tiefe, und damit in besagte Unterwelt, stürzt. 

Eine erste von vielen anrührenden Cut-Scenes in „Stray“

Zu diesem Zeitpunkt ist mir bereits klar, dass es diesem Spiel sicherlich auch nicht um eine ausgeklügelte Spielmechanik geht. Sämtliche Sprünge werden mit der immer gleichen Taste durchgeführt, Fehler sind ausgeschlossen und alle weiterführenden Wege innerhalb der grundsätzlich offenen Welt vorgezeichnet. Mit Gegenständen und Robotern interagiert man mit einer weiteren immer gleichen Taste. Abseits davon gibt es noch die Möglichkeit zu rennen und zu miauen.

Pure Eifersucht oder schlichter Neid aufs Fell?

Und das ist tatsächlich nicht nur ein sehr süßes Extra, sondern kommt obendrein der authentischen Darstellung von Katzen zu Gute. Je nach Situation kann das nämlich ein freudiges, ein ängstliches oder gar ein bockiges Miauen sein. So wie man es von seinem eigenen Haustier kennt, wenn man nach dessen Meinung mal wieder zu lange aus war – oder sich gar fremde Miezen ansieht statt dem eigenen Kater die volle Aufmerksamkeit zu widmen.  

Dass es Stray nicht verpasst, auch die nervenzehrenden Eigenschaften der Vierbeiner abzubilden ist nicht nur charmant, sondern vergrößert die Spielfreude. So ist es nicht nur möglich, Möbel und Teppiche zu zerkratzen – an einigen Punkten ist es sogar notwendig, Objekte herunterzuwerfen und somit für Chaos und Verwirrung zu sorgen.

Ein meditatives Spiel in krisengeschüttelten Zeiten

Und dennoch thront die allgemeine Zuckrigkeit über allem. Als würde eine Katze als Hauptfigur noch nicht reichen, setzen die Entwickler*innen noch einen obendrauf: Kurz nach dem folgenreichen Absturz kommt es zu einer Begegnung mit einer kleinen Drohne. Ihre Gestaltung stimmt, wie könnte es anders sein, ebenfalls mit dem Kindchenschema überein.

„B-12“ heißt sie und ist mit einem Bewusstsein ausgestattet, das mir dabei hilft, die Geschehnisse der Vergangenheit zu entschlüsseln und mit den Robotern, die ich kurz darauf antreffe, zu kommunizieren. Zusammen gilt es, einen Weg zurück an die Außenwelt zu finden. Von der träumen nämlich auch die Maschinen, die mittlerweile ein Seelen- und Gefühlsleben entwickelt haben und unter dem ständigen Eingesperrt-, aber auch dem Getrenntsein von Familienmitgliedern und Freund*innen, leiden.

Cuteness Overload: B-12 ist in „Stray“ ständiger Begleiter.

Mit B-12 an der Seite erkunde ich also diese ganz besondere Art von Vorhölle, versuche Roboter ausfindig zu machen, die mehr über das ominöse Draußen wissen oder sogar selbst einmal versucht haben, es zu erreichen. 

Dabei müssen vor allem kleine Botengänge erledigt und einfache Rätsel gelöst werden. Als tödliche Feinde tauchen neben Killer-Drohnen einzig die sogenannten „Zurks“ auf, eine fiese Form von mutierten Bakterien, die von den Menschen erschaffen wurden, um ihre Unmengen an Müll zu tilgen. Die nun aber – zumindest, wenn sie in Schwärmen agieren – zur tödlichen Bedrohung geworden sind und die Roboter dazu zwingen, in ihrem jeweiligen Wohnort zu verbleiben. 

Sie abzuschütteln ist nicht allzu schwer. Und auch das ist sicherlich beabsichtigt. „Stray“ will am Ende vor allem Wohlfühlspiel ohne allzu große Herausforderungen sein. Für mich selbst hat das hervorragend funktioniert: Das gemächliche Streunen ist ein wirkungsvoller Kontrast zu actiongeladenen Games und hat beinahe etwas Meditatives. 

Noch keine Teaserbox ausgewählt

Neben aller Katzenversessenheit ist es wahrscheinlich auch das, was das Spiel zu einem derartigen Erfolg macht: Obwohl ich selbst kein großer Fan von Titeln bin, die sich voll und ganz dem Eskapismus hingeben, haben Games wie Stray gerade in krisengeschüttelten Zeiten wie den unseren eine ganz besondere Berechtigung. Passend dazu finden sich in den positiven Bewertungen auf Steam auch Kommentator*innen, die betonen, dass ihnen das Spiel beim Abschalten geholfen, sie sogar glücklich zurückgelassen habe.

Für mich persönlich kommt hinzu: Stray ermöglicht eine Erfahrung, die wirklich gänzlich exklusiv der Spielwelt vorbehalten ist. Denn während heldenhafte Taten zu vollbringen, wie es andere, menschlicherer Protagonist*innen tun, zumindest teilweise und theoretisch im Rahmen des Möglichen liegt, weiß ich doch, dass ich in diesem Leben ganz sicher keine Katze mehr werde. Und jetzt weiß ich zumindest, warum sie so gerne Zeug herunterwerfen. Es macht einfach unglaublich viel Spaß. 

Fazit

Punkte: 80

Arabella Wintermayr

arbeitet als freie Redakteurin für die Öffentlich-Rechtlichen und schreibt über Kulturelles für diverse Zeitungen, wie die taz, die Berliner Zeitung und der Freitag

Games wie „Stray“ haben gerade in krisengeschüttelten Zeiten wie den unseren eine ganz besondere Berechtigung

Stray

Ein meditatives Spiel in krisengeschüttelten Zeiten

Stray Karte
Höhe in Disketten
21,34 m
Spieltiefe
52 bar
Ist das noch Indie?
73%
Gewalt
2 Doom
Eleganz
8,5
Metascore-Abweichung
-3

4 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Lyra Lyra says:

    Habe jetzt am Wochenende Stray durchgespielt. Ich fand es sehr schön, sehr angenehm zu spielen und die Atmosphäre war schon sehr gut. Ich könnte mir die Welt auch super für ein anderes Spiel vorstellen. Einzig die zwei Level als man die „Stadt“ das erste Mal verlässt, fand ich schon etwas eklig. Aber an sich ist das Spiel wirklich schön und ein schöner Snack zwischendurch - endlich mal kein Riesenklopper >30h. And it looks so good:

  2. Avatar for kkuez kkuez says:

    Liebäugel auch schon damit. Meine Freundin hat das Spiel und eine RTX Graka, werde mir das bei Laune (und wenn der PC mal frei ist) mal zu Gemüte führen :slight_smile:

  3. Avatar for Purf Purf says:

    Papperlapapp. Stray ist sicherlich nichts, worüber ich noch lange nachdenken werde - also, außerhalb meiner Reaktionen auf aBeR cYbErPuNk!? und kAtZe1! - aber das war ein ganz feines, wunderschönes Päckchen von einem Spiel.

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