Endgames fressen das Ende

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Ob Jan ein großer Fan von Fortsetzungsromanen ist, wissen wir nicht. Was wir aber erahnen können, dass der Unendlichkeitsfetisch der AAA-Videospiele wenig Zuspruch bei ihm findet. Über die Konsequenzen der Konsequenzlosigkeit.

Jan Bojaryn

Jan Bojaryn schreibt für Tageszeitungen und Kulturzeitschriften über Videospiele und vergleichbar wichtige Themen.

Alles endet. Das ist eine der wenigen Gewissheiten, die wir mit uns herumtragen. Nur Games orientieren sich zunehmend an dem kindischen Wunsch, sie sollten doch bitte immer irgendwie weitergehen.

Was ist ein gutes Ende? Es bringt eine gewisse Endgültigkeit mit. Es lässt einen Spannungsbogen aufschlagen, vielleicht gibt es ein kurzes Nachbeben, dann ist die Geschichte vorbei. Ein gutes Ende will nicht alles erklären, es schielt aber auch nicht auf eine Fortsetzung. Ich werde alt und rührselig, deswegen mag ich tief empfundene Wahrheiten an den Enden meiner Geschichten, nach denen es dann aber auch nicht mehr sinnvoll weitergehen kann. Hindsight, Minute of Islands, Vampire Survivors – alle haben ein wunderbar endgültiges Ende. Tod akzeptieren, Scheitern eingestehen, selber sterben: Das sind Enden, mit denen ich etwas anfangen kann.

So gesehen ist ein gutes Ende eine einfache Sache. Es gäbe gute Beispiele und kreative Lösungen, über die wir sprechen können. Doch der Mainstream des Mediums veranstaltet etwas ganz anderes. AAA-Games folgen einer wirtschaftlichen Logik, jede weitere Logik ist höchstens ein netter Bonuseffekt. Keine Mocap-Session mit bekannten Schauspieler*innen kann darüber hinwegtäuschen, dass es solchen Spielen gar nicht darum geht, eine Geschichte zu erzählen, die etwas bedeutet – dann wäre sie ja angreifbar. Lieber sollen sie Phantasien der Spielerinnen einlösen und ihnen viel Handlungsfreiheit geben. Und so richtig aufhören dürfen sie auch nicht. Cliffhanger drücken vordergründig so etwas wie Spannung aus, vor allem aber die Hoffnung auf Folgefinanzierungen.

So wird es schwer, überhaupt ein Ende einer Geschichte in einem AAA-Game zu finden. Und schon auf dem Weg dahin wird längst so erzählt, dass ehrlich gesagt die wenigsten noch zuhören. Der Trend zu Open-World-Spielen hat die Sache verschlimmert. Wenn ich jederzeit überall hin kann, warum muss ich dann je mit angeblicher Eile an einen bestimmten Ort? Wie soll sich je etwas dramatisch zuspitzen? Einerseits wird immer noch regelmäßig so getan, als passiere genau das, aber das führt zu merkwürdigen Zwischensequenzen, die wie Fremdkörper in Spielen sitzen, die ich eher entspannt verfolge.

Assassin’s Creed Valhalla: als Postkarte umwerfend, als Erzählung flach

Solche Spiele können eigentlich nichts Interessantes erzählen.
Zumindest nichts, was zusammenhängt und eine Struktur hat. Mit einem gewissen Mut zum Stilbruch können Titel wie die Yakuza – Like-A-Dragon-Serie originelle kleine Kurzgeschichten und einen melodramatischen übergeordneten Plot verheiraten. Aber um das zu erreichen, traut sich Yakuza/Like A Dragon harte Schnitte zu, springt in der Zeit, wechselt Protagonistinnen und Schauplätze. Wir können nicht jederzeit alles in der Welt machen, weil die Geschichte sonst nicht funktionieren würde. Das finde ich beim Spielen durchaus mal frustrierend, aber ich verstehe es. Nur so kann es funktionieren. Das ist eine einfache Frage der Priorität. Andersherum: je offener ein Spiel sein will, je klarer es sich dem Wunsch nach endloser Abwechslung und Beschäftigung unterordnet, desto beliebiger und nichtssagender wird es. Es kann immer noch toll sein, aber es kann mir nichts mehr erzählen. Höchstens irgendwelchen Fanservice-Fortnite-Metaverse-Alles-geht-Bullshit, der ja durchaus auch unterhaltsam sein kann. Aber das sind Verlegenheitserzählungen, die mich nie ernsthaft interessieren, und die auch nicht so wirken, als wären sie den Studios dahinter wichtig.

Fortnite: Hier könnte auch The Kid Laroi oder diese Banane durchs Bild treiben. Die narrative Zuckerwatte geht nie aus.

Spiele, die diesen Widerspruch nicht auflösen, sind eine schleichende Enttäuschung. Zuerst packen sie mich, und dann verlieren sie das Interesse an mir, bis ich den Wink verstehe, und nicht mehr zuhöre. So entstehen Titel wie Assassin’s Creed Valhalla; es versucht einen Spagat zwischen der epischsten Geschichte und der größten Welt, reißt irgendwann in der Mitte durch, und ist dann aber noch längst nicht fertig. Lauter wilde Dinge passieren in einer endlosen Mitte, in der ich selbst bestimmen kann, was wann passiert. Also passiert alles irgendwann. Nichts entwickelt sich, bis die Erzählung eine Schwelle überschreitet und behauptet, all das Gehacke hätte auf ein logisches Ziel zugesteuert. Aber das glaube ich nicht mehr. Und dann braucht das Spiel mehrere Anläufe, um einen Abspann zu finden. Beim zweiten oder dritten Ende wurde es so absurd, dass ich ausgestiegen bin.

Wie ich höre, wurde seitdem noch ein weiterer Abschluss nachgereicht, den ich aber nicht mehr erleben werde. Valhalla hat es tatsächlich geschafft, als „zu lang“ wahrgenommen zu werden. Doch insgesamt hat sich das Problem inzwischen auf einen absurden Höhepunkt gesteigert. Ein Teil des Publikums dreht mit am Rad. Es begreift jedes Ende an sich als Zumutung, als unterlassene Dienstleistung. Games sollen gar nicht mehr aufhören. Im Live-Service-Zeitalter ist das voll ok. Niemand ist mehr an einem Ende interessiert. Wenn wir beim Spielen mehr Geld ausgeben als beim Kauf, dann hat ein Ende keinen Sinn mehr. Dann enden Spiele höchstens noch mit einem plötzlichen Weltuntergang, weil die Spielerinnenzahl unter einen kritischen Wert fällt und der Server abgeschaltet wird.

In allen Titeln hat sich mein Interesse schnell als Missverständnis herausgestellt

Nichts daran muss ein Problem sein. Persönlich finde ich es aber tragisch, diesen Widerspruch immer wieder zu leugnen und so zu tun, als könnte The Division, Destiny, Gotham Knights oder sonst ein betreffender Titel der letzten Jahre je etwas bedeutet haben. Verräterischerweise haben solche Spiele eine Erzählung, die ich nicht bis zum Ende spiele, sondern bis ins Endgame. Leider meint der Begriff sein Gegenteil. Zwar mag sich ein Abspann ereignen, alles abgeschlossen wirken, doch dann erhebt sich das Spiel von den Toten und schlurft grundlos weiter über den Bildschirm.

Ich kann mich bei jedem dieser Kandidaten daran erinnern, mich einmal dafür interessiert zu haben. The Division: Wie sähe eine etwas realistischere Apokalypse aus? Destiny: Was macht dieser große Ball am Himmel? Sogar Gotham Knights: Ist Batman wirklich tot? In allen Titeln hat sich mein Interesse schnell als Missverständnis herausgestellt. Orientierungslos rannte ich durch die Kulissen und fand niemanden, der mit mir reden wollte. Und wenn ich dann in eine Zwischensequenz stolperte, dann quatschten mich uneingeführte, uninteressante Charaktere ohne Einführung zu. Dann verschwanden sie für lange Zeit wieder. Die düsteren Held*innen von The Division kannten sich alle, waren im Thema und besprachen mit martialischer Verbittertheit irgendeinen Verschwörungsquatsch, den ich verpasst haben musste. Bei Destiny behielten einfach alle ihre Helme auf. Das passte zu einer gesichtslosen Geschichte voller hohl dröhnender Substantive: Traveler, Speaker, Darkness.

Das ist glaube ich Shaxx? Ich kann mir Helme so schlecht merken.
The Division 2: Die Welt erzählt Geschichten vom Untergang, die wir aber alle schon verpasst haben, wenn das Spiel losgeht.

Auch Batmans Tod klang für mich verheißungsvoll, aber die Spannung starb schon im Intro. Wer nicht weiß, dass der tödliche Widersacher Ra’s al Ghul sich und seine Leute gern in grün leuchtenden Planschbecken wiederbelebt, der erfährt es hier bei jeder Gelegenheit. So sind Open-World- und Live-Service-Games. Sie müssen schließlich einplanen, dass ich lange brauche und schlecht zuhöre. Nicht einmal der Tod darf bei Batman etwas heißen. Merkwürdig, aber ein grundsätzliches Superheld*innenproblem ist dann, dass die Knights im Spiel ab und an trauern, als wären sie nicht längst an die Auferstehung der Toten gewöhnt. Und selbst dieser Versuch eines Gefühls bleibt kraftlos, er wirkt merkwürdig unmotiviert. Wie die meisten Live-Service-Games verstreut Gotham Knights planlos beliebige Erzählpartikel irgendwo zwischen Storymission, Funkspruch und Glockenturm, bis garantiert niemand mehr zuhört. So endet die Geschichte in der Form, wie sie in Games meistens endet: Das Publikum gibt auf und spielt woanders weiter. So enden Spiele.

Batgirl trägt eine Maske, damit wir nicht sehen können, wie sie um Batman weint.

Auf mich wirkt das Problem etwas albern. Ehrliche Live-Service-Games wissen, dass ihre Spieler*innen Missionen grinden, um den pinken Raketenwerfer zu bekommen. Das ist wichtig, keine überproduzierten Zwischensequenzen, keine Ressourcen für überflüssige Geschichten. Und Entwicklerinnen, die wirklich etwas zu erzählen haben, müssen andere Spiele machen. Sie dürfen ihre Kunstwerke nicht wie Chipstüten behandeln, die pauschal besser werden, weil 50 Gramm mehr in der Tüte steckt.
Spiele mit einer guten Geschichte dürfen auch lang sein, aber sie brauchen eine Struktur und ein Ende. Wenn sie so tun, als hätten sie einen Spannungsbogen, wird das bestenfalls komisch.

God of War Ragnarök – 20 Stunden weniger hätten es auch getan


Die Erkenntnis ist im Indie-Sektor längst gereift, aber große Titel irritieren mich immer wieder, dass sie denken, die Chipstüte müsste immer tiefer werden. Selbst große Erfolge wie God of War Ragnarök verzetteln sich um einen Howlongtobeat-Wettbewerb zu gewinnen, den ich nicht verstehe. Wir leben in einem Zeitalter des Überflusses. So lange Epic Spiele verschenkt, Steam Spiele verramscht und Tausende von Talenten ungesehen auf Itch.io verenden, hat das Argument auch keine soziale Dimension mehr. Wir alle können uns kürzere Spiele leisten. Was ich mir dagegen weniger leisten kann, ist in bedeutungslosen Erzählungen auszuharren.


Lasst uns aus dem Endgame ausbrechen. Machen wir Schluss!

God of War Ragnarök: Beim Paddeln wird der Vater schläfrig.

9 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Purf Purf says:

    Sehr schön. Siehe auch: Days Gone.

  2. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Days Gone halb so lang, dann wär’s auch gut geworden. Und ich meine damit die Story. Wer da das „Endgame“ noch spielt, ist völlig schmerzfrei. :grin:

  3. Da muss ich gleich an The Last of Us 2 denken…
    Hab die letzen 10 Stunden nur noch die Augen gerollt weils einfach nicht zum Punkt kommt :see_no_evil:

  4. Avatar for Purf Purf says:

    Ich fand’s zeimlich bitter, wie Sarah und Dings, Kumpel™ am Ende bloß für immer debil grinsend auf der Veranda hocken, während die Welt, trotz der Verheißungen, denen man zuvor 60 Stunden hinterherlief, die genau fcking gleiche ist (bisschen weniger Walking Dead Negan/Governor, oke). Dabei hatte Days Gone so viel richtig gemacht. Schade Marmelade.

  5. Avatar for VfBFan VfBFan says:

    Aber, aber, das Spiel war soo teuer und die armen Spieler:innen wollen doch „hat mich gut unterhalten 11/10“ erleben und da dürfen müssen sich Abby und Ellie noch mindestens ein Dutzend Stunden wortwörtlich im Kreis drehen, damit €/h stimmt.

  6. Das war jetzt superhart zu lesen, aber ja:
    Du hast natürlich recht, stimmt!

    Deswegen begnüge ich mich in letzter Zeit ausschließlich mit Arcade-Titeln ohne Story.

    Trotzdem hast du „Days Gone“ etwas unfair behandelt. Okay, es war eine Cowboy-Story,
    aber diese hat mir echt Spaß gemacht.
    #Update: Die Kommentatoren haben sich gleich drauf eingeschossen, bei dir
    kam das Game nicht vor, sorry!

    Man sollte nur nicht zuviel erwarten…

  7. Hey, raube mir nicht meine Hoffnung ;-). Ich hab TLOU Part 1 auf PC für nächste Woche vorbestellt, da ich die Sony-Konsolen seit der PS3 boykottiere.
    Diese dient mir noch hervorragend als Media-Gerät…

    Ist „The Last Of Us“ denn wirklich so schlecht?

  8. Nee, den ersten Teil fand ich super gerade weil er den Bogen nicht so überspannt.
    Der 2. Ist auf jeden
    Fall auch spielenswert! Sie kommen am Ende nur einfach nicht zum Punkt obwohl die „Message“ schon nach der Hälfte des Spiels deutlich ist.

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