Wir sind mit Spielen groß geworden. Jetzt werden in unserem Leben unsere Kinder mit uns groß. Bleibt zwischen Windelwechseln, Krabbelgruppe und Breifütterung überhaupt Zeit zum spielen? Was geben Games uns mit auf dem Weg mit Nachwuchs? Geben wir unsere Liebe zu virtuellen Welten weiter? Hier gibt es Monat für Monat eine Heldinnen-Reise von der Geburt bis zum ersten eigenen Griff zum Controller.

„Hör mal, die Grillen.“ „Ich riech nix.“ Verstehst du? Weil die eine denkt, es geht um die Insekten. Und der andere… Puh. Vaterwitze.  Muss ich jetzt eigentlich auch damit anfangen? Jetzt schon mal üben, damit sich nachher das Kind schön schämen kann, wenn es versteht, was für einen Humbug ich da gerade erzählt habe? Dad Jokes sind so peinlich, dass sie manchmal dann doch ganz gut sind. So wie Kratos aus „God of War“.

God of War Action-Adventure

Plattformen
PC, PS4
Release
20.04.2018
Entwickler
SCE Santa Monica Studio
Publisher
Sony Computer Entertainment
USK
ab 18
Links
playstation.com

Der wurde auch im gleichen Jahr wie ich Vater. Also zumindest haben wir alle erfahren, dass er wieder Vater ist. In den ersten Spielen, die noch auf PS2 und PS3 erschienen, war der brutale Muskelklotz ganz alleine auf Rachezug gegen den Olymp unterwegs, weil die Götter ihn im Wahn seine Familie ermorden ließen. Nicht witzig. Entsprechend blutrünstig fiel die Antwort darauf aus, bei der Kratos in insgesamt neun Spielen beinahe den gesamten griechischen Pantheon mit seinen Kettenklingen in klitzekleine Teile zerhackt. Cut.

In der Neuauflage ist er nach Norwegen ausgewandert. Dort lebt er als Singledad mit seinem Sohn Atreus in einer verschneiten Hütte, fernab von den prunkvollen Palästen des antiken Griechenlands. Irgendwie ja dann doch ganz passend. Also thematisch.

Für meine abendlichen Ausflüge in andere Welten habe ich 2018 zu dem Titel gegriffen. Nach den Anfängen mit Nathan und Joel bin ich bereit für etwas mehr Spiel – weniger an der Hand geführt, mehr erkunden. Je sicherer ich werde mit der neuen Situation, mit Kinderwagen, Babytrage, Brei und Windeln, desto sicherer scheine ich auch wieder beim Thema Games zu werden. Also zurück zu den Wurzeln. Allabendlich, wenn alles schläft, schleiche ich vor den Fernseher, um durch die Mythenwelt zu stampfen und Monster zu verkloppen. Und dann ist der alte Bekannte Kratos auf einmal selbst im Vaterzwist. Er muss sich seinem Kind erklären, muss sich um es sorgen und mit dessen Launen klar kommen. Wie konnte das passieren?

Katharsis a la Kratos

Der grimmige Grieche ist eine dieser Figuren, die mittlerweile aus der Zeit gefallen scheinen. Muskelbepackt, hochgradig aggressiv, erbarmungslos – eine toxische Männlichkeitsfantasie. Ein Betrogener, der es allen heimzahlt. Mit Fäusten und Klingen und mit um die Fäuste gewickelten Klingen. Frauen spielen hier keine Rolle, sie dienen nur als Rampe für die Gewaltexzesse oder müssen für erbärmliche Sex-Minigames herhalten. Kratos ist eine Ausrede für arcadige Aggressionsverarbeitung. Ein Träumchen für schaumige Ecken des Internets. Was macht man nach fast 15 ausgelutschten Jahren mit so einem Typen?

Vielleicht macht man ihn ein bisschen menschlicher. Nach dem Tod seiner Frau Feya (weibliche Charaktere scheinen dem Studio immer noch schwer zu fallen) macht sich Kratos mit Sohn Atreus (warum nicht mit seiner Tochter???) auf den Weg, um ihr den letzten Wunsch zu erfüllen: Ihre Asche auf einem Berg auszustreuen. Dabei muss er – wir – natürlich wieder ganz viele Monster und Götter umbringen (diesmal nordisches Pantheon), aber er erzählt jetzt auch seinem Sohn Geschichten beim gemeinsamen Kanufahren (wie papaig ist das bitteschön?)! Das sind dann tatsächlich die besten Momente im Spiel. Wenn er mal nicht mit einem penetranten „Junge“ eingeleitete Spaßverderberweisheiten von sich gibt.

Mein Vater und mein Opa haben mir als Kind unglaublich viele Geschichten erzählt. Sagen, Märchen, selbst erdachte. Von Grischka und seinem Bären. Von Momo und den grauen Herren. Vielleicht suche ich dieses initiale Geschichten-erzählt-bekommen immer noch in allen Filmen, Büchern und Spielen, die ich konsumiere. Kratos als Geschichtenerzähler und Kanufahrer und Kümmerer in „God of War“, das sind wunderbare Momente, gerade weil sie den einfältigen, manchmal sogar etwas blöden Charakter brechen. (Im Ernst, wer lässt sich eigentlich auf Dauer so vom Olymp verarschen, wie Kratos?)

Witzfigur

Noch eine Spur stärker bricht Kratos seine eigene Stimme. Gesprochen wird er im Spiel von Christopher Judge (ja, der Teal’c aus „Stargate“). Und der ließ sich bei einem Promo-Termin mit Polygon zum Release des Spiels dazu hinreißen, als Kratos Dad Jokes zu erzählen. Das ist auf so vielen Ebenen so hinreißend komisch. Dieser grummelige Gewaltmensch, der auf einmal zum cringen Michael Scott aus „The Office“ mutiert und einen Kalauer nach dem nächsten erzählt. Und dabei doch auf so eine hilflose Art ganz wunderbar liebenswert ist?

Und da bin ich dann wieder ganz am Anfang. Wer wollen wir eigentlich als Eltern sein für unsere Kinder? Eine Geschichtenerzähler beim Kanufahren? Ein bisschen wie mein eigener Vater und auch ein bisschen wie dieser neue Kratos? Vielleicht doch ein bisschen eine Witzfigur, wie wir unsere eigenen Eltern manchmal erfahren haben, wenn sie Späße rissen, die uns die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben und die wir doch so sehr lieben?

Meine Tochter liebt mittlerweile nicht mehr nur das Geschichten-erzählt-bekommen, sie fängt jetzt auch an Witze zu fordern. Dazu hat sie gerade von Oma das passende Witzebuch bekommen. Drin stehen Kalauer, wie sie auch der bessere Kratos auf dem Pressetermin erzählen könnte.

„Wo wohnen Katzen“, fragte sie mich neulich. „Im Mietzhaus.“

Vielleicht wird sie ja eines Tages ein „God of War“ spielen, in dem Kratos diese Witze erzählt. Und nicht nur sein Sprecher.

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