Dom Schott macht investigativen Spelejournalismus. Er möchte über Missstände und Leidenswege informieren. Aber er muss auch seine Miete bezahlen und seine Kater füttern. Ist in Deutschland beides gleichzeitig möglich?
Es ist eine Rechnung, die mich zu Beginn meiner Selbstständigkeit tagelang um den Schlaf gebracht hat: Damit ich als Journalist meine Miete zahlen kann, muss ich jeden Monat vier bezahlte Texte veröffentlichen. Dazu kommen vier weitere Texte für Versicherungen und nochmal vier, um Geld für Essen, Trinken und sonstige notwendige Einkäufe im Alltag zu haben. Budget für einen Bar-Besuch mit Freunden, Kino, Museum oder auch nur eine Zugfahrt steckt da noch nicht drin.
Das macht mindestens 12 Texte pro Monat, um mich nicht zu verschulden oder zu hungern – vorausgesetzt, ich bekomme das Standardhonorar der Branche gezahlt, manchmal ist es auch weniger.
Ein Monat hat vier Wochen. Das bedeutet, ich muss jede Woche drei bezahlte Texte bei den Redaktionen dieser Welt vorschlagen, pitchen, recherchieren, schreiben, redigieren und schließlich veröffentlichen, damit diese Rechnung aufgeht. Will ich nicht auch noch am Wochenende arbeiten, bleiben mir dafür nur fünf Tage für drei Texte.
Man muss nicht selbst JournalistIn sein, um zu begreifen, dass dieses Pensum einen Menschen früher oder später ausbrennt – und ganz sicher keine Grundlage für den oft geforderten investigativen Spielejournalismus sein kann. Wer hierzulande ausschließlich investigativ arbeiten will, geht zwangsläufig bankrott. Und das ist ein riesiger Missstand, über den wir endlich sprechen müssen.
Wichtige Arbeit, die niemand bezahlen will
Das Problem liegt auf der Hand: Die Honorare im Textjournalismus sind schlecht. Sie orientieren sich meist an Standardsätzen und nur selten am tatsächlichen Aufwand, der für die Recherche und das eigentliche Schreiben notwendig wäre. Das ist bereits schlimm genug. Wer aber dann noch aufwändige Reportagen pitcht, macht zwangsläufig Verlust, weil nun die Zeit für andere, weitere Texte fehlt. Recherchen, die sich über mehrere Wochen oder gar Monate ziehen, sind unter diesen Bedingungen schlichtweg unmöglich.
Die Konsequenz: Investigative Arbeit geht auf Kosten der JournalistInnen, die mit ihrer Arbeit ihre Existenz riskieren – oder sie fällt eben komplett unter den Tisch. Warum eine aufwändige Reportage über die Arbeitsbedingungen in der Spielebranche vorschlagen, die mehrere Wochen Recherche kostet, wenn in der gleichen Zeit drei Vorschauberichte oder Kurztests mehr Geld und weitaus weniger Stress einbringen würden?
Ein deutscher Jason Schreier würde seine Miete nicht zahlen können.
Eben. Ergibt finanziell keinen Sinn und passiert nur dann, wenn es sich die jeweiligen JournalistInnen wortwörtlich leisten können. Wer ein kleines Sparkonto hat, kann beim Investigativjournalismus nicht mitmachen. Selten gehörte und gelesene Perspektiven aus weniger privilegierten Gruppen werden von diesem System in der Folge einfach ausgeschlossen. Journalistische Berufsehre bezahlt keine Rechnungen.
Ein „deutscher Jason Schreier“ ist undenkbar
Regelmäßig, aber spätestens, wenn er mal wieder eine neue Reportage oder ein neues Buch geschrieben hat, wird in der Branche gefragt: Warum gibt es in Deutschland eigentlich niemanden wie den amerikanischen Investigativjournalisten Jason Schreier, der wahnsinnig gut vernetzt ist und immer wieder mit spannenden Hintergrundrecherchen für Aufsehen sorgt?
Darauf gibt es eine Reihe von Antworten, die allesamt stimmen, eine davon aber lautet auch: Ein deutscher Jason Schreier würde in Deutschland nicht seine Miete zahlen können. Zumindest nicht, wenn er zumindest nicht dazu bereit wäre, neben seinen aufwändigen Recherchen auch noch Vorschautexte, Tests und ein paar Gaming-News zu schreiben. Keine Ahnung, wie man sowas schaffen soll. Und selbst wenn dieser Burnout-Spagat gelingt, dürfte es knapp werden auf dem Haushaltskonto.
Nein, solange sich die Honorare nicht am eigentlichen Recherche-Aufwand orientieren und die Arbeit von selbstständigen JournalistInnen angemessen entlohnen, wird der Investigativjournalismus in Deutschland auch weiterhin auf der Strecke bleiben. Und das ist fatal, weil er dringend gebraucht wird. Denn:
Auch in Deutschland werden Entwicklerinnen sexuell belästigt.
Auch in Deutschland crunchen Teams über Monate hinweg und schuften sich in den Burnout.
Auch in Deutschland gibt es talentierte Menschen, die an überbürokratisierten Förderanträgen scheitern und an Rückzahlungsforderungen bankrott gehen.
Diese Geschichten, diese Missstände, diese Leidenswege müssen nacherzählt werden, beleuchtet, eingeordnet, ihnen nachgegangen werden. Aber kaum jemand schreibt darüber, oder vielmehr: kann darüber schreiben. Eben auch, weil das niemand angemessen bezahlen will.
Und ja. Natürlich gibt es auch Ausnahmen von der Regel: Redaktionen, die zumindest in einem gewissen Spielraum Honorare anpassen und erhöhen, um die Anforderungen guter journalistischer Arbeit zu erfüllen. Um diese Ausnahmen bin ich froh. Aber es sind auch nur Ausnahmen. Das reicht nicht. Sonst würde unsere spielejournalistische Landschaft längst anders aussehen.
Muss die Crowd das Problem lösen?
Wenn die Redaktionen nicht genug zahlen, wer also soll den Bumms dann retten? Vielleicht die Leserinnen und Leser selbst? Ja, Crowdfunding könnte der Ausweg aus dem Schlamassel sein: Investigativjournalismus, der sich Zeit lässt, gründlich recherchiert, mal nachdenkt und sich erst dann mit den Ergebnissen zu Wort meldet, finanziert von Menschen, die genau das wollen – und Geduld haben.
Möglich, dass hier wirklich die Lösung liegt, aber ehrlich gesagt nervt es mich gewaltig, dass diese Aufgabe, nämlich Journalismus zu finanzieren, nicht von den Redaktionen übernommen wird, die selbst Journalismus betreiben. Fühlt sich ein bisschen so an, als würde man daheim kochen und dann ins Restaurant gehen, um dort zu essen. Macht schon satt, aber ist komplizierter, als es eigentlich sein sollte.
Und jetzt? Ich ende mit einer Forderung: Angemessene Honorare für aufwändigen Journalismus. Ganz einfach. Und ich ende mit einem Wunsch: Lasst dieses Thema nicht untergehen. Denn da hängt noch mehr dran, als nur ein frustrierter Text über den Honorarhorror in dieser Branche. Es warten, verdammt noch mal, wichtigere Geschichten als eine Vorschau auf das nächste AAA-Spiel darauf, endlich erzählt zu werden.
Gerade gelesen und wärmstens via Twitter empfohlen. Sehr guter und treffender Kommentar, lieber @R3nDom.
Gerade gelesen und wärmstens via Spielvertiefung empfohlen. Sehr guter und treffender Kommentar, lieber @R3nDom.
Fuer mich leider ein Artikel mit „leeren Forderungen“ ohne Loesungen oder Ideen. Einfach „bitte mehr Geld“ in den Wald rufen, ist etwas mau.
Wenns nicht gut genug bezahlt /honoriert wird, interessiert es vielleicht einfach nicht genug? Habe manchmal das Gefuehl, dass die Spielebranche versucht sich auf einen Podest / Stufe zu heben, die einfach nicht nachgefragt oder gedeckt ist.
Die Branche ist anscheinend einfach nicht gross / emanzipiert / wichtig genug, um mehrere Schreiers zu unterhalten.
Ich sollte hinzufuegen, dass mir bewusst das, dass dies eine relativ provokante Aussage ist und der Grossteil dies vermutlich (zu Recht) anders sieht.
Ich habe den Artikel auch mit gemischten Gefühlen gelesen. Vor allem, weil ich noch Random Pilot im Ohr habe, der mich einfach 0,0 abgeholt hat. Dafür würde ich, ehrlich gesagt, nicht bezahlen und habe den Hype in der Community nicht verstanden. Aber so ist es halt, mir kann ja auch nicht alles gefallen.
Das und Recherchen zu Crunch/Sexismus usw.usf. sind halt nur zwei paar Schuhe im investigativen Spielejournalismus. Da fehlt mir irgendwie etwas die Differenzierung im Artikel.
Am Ende läuft es wieder darauf hinaus: viele wichtige Jobs sind chronisch unterbezahlt und andere, wie meiner auch, (im Verhältnis zur gesellschaftlichen Relevanz) eigentlich überbezahlt. Was ich, abgesehen davon, meinen wasted Monatsbeitrag zu erhöhen, dagegen tun kann, weiß ich nicht. Und da muss ich mich @lnhh anschließen, hier wäre eine konkretere Forderung/Vorstellung whatever doch schon ganz cool gewesen, auch als Diskussionsgrundlage.
Leider ist dieses Problem alles andere als neu. Ich habe während meiner Selbstständigkeit im Spiele-Journalismus immer mal wieder „Fäden“ für potentielle Recherchen aufgenommen und entsprechende Ideen und Vorschläge an verschiedene Magazine herangetragen – natürlich mit der entsprechenden Warnung, dass da was bei rumkommen kann oder auch nicht; und, dass das „etwas länger dauern“ und etwas teurerer werden kann. Spätestens nach einem längeren Anruf oder der 10ten Email hatte sich das Thema aber erledigt und ich wurde gebeten, doch lieber dieses oder jenes Game zu reviewen.
Dabei lag es tatsächlich oft nicht daran, dass das Thema nicht interessant wäre, sondern das Magazin Termine kalkulieren und der Preis stimmen müsse. Nur einmal kam klar die Ansage, dass eine Story nicht machbar sei, weil gerade zu einem Game von diesem Studio in den nächsten Ausgaben dick Previews und Werbung eingeplant ist.
Das Problem ist: Das ist alles alter Kaffee und viele Games-Journalisten haben sich über die Jahre darüber aufgeregt. Und niemand hat Lösungsansätze finden oder liefern wollen.
Dabei ist es so, dass es Lösungen gäbe. Nämlich einfach einen Sinneswandel dahingehend, endlich anzuerkennen, dass die Games-Branche schon seit Jahren keine Nische mehr ist, sondern eine fette Industrie, die auch Beobachtung braucht. Immer mehr Redaktionen in Deutschland etablieren eigene Rechercheteams. Und in diesen müsste sich ein Bewusstsein dafür durchsetzen, dass Recherchen eben nicht nur Ölkonzerne, Regierungen, das Clan-Milieu, Flughäfen, Medien- und Tech-Organisationen betreffen können und sollen, sondern auch die Milliardenindustrie Games.
Ich glaube, in Teilen passiert das auch, wie zumindest ich hörte. Daher glaube ich schon, dass ein deutscher Jason Schreier möglich ist.
Ich glaube dieser Teil ist auch ausschlaggebend. Auch ein Jason Schreier ist ja nicht mehr bei Spielezeitung XY sondern bei Blomberg angestellt mittlerweile. Kenne mich hinter den Kulissen zu wenig aus ob eine zB eine Gamestar solche Berichte durch ihre Clickbaitünerschriften überhaupt stemmen kann. Da müsste eventuell schon auch „von außen“ recherchiert werden.
Ein anderes Problem ist für mich, das die Berichte die Schreier schreibt und die wir sicher auch gut in der deutschen Gamesbranche brauche können, eben keine Themen sind die sich als „interessiert unsere Leserinnen“ kategorisieren lassen weil die Leserinnen zT ja vorher evtl. gar nicht davon wussten. Es gibt hier also eher eine Notwendigkeit, aber keine direkte Nachfrage und ist somit schlecht an Geldgeber verkaufbar.
Ob es Sinn macht, diese Art der Spieleberichte über Crowdfundings anzustoßen, so dass sie sobald die Macher etabliert sind bezahlt wird? I don’t know.
faszinierend. Wenn ich zweimal Leser*innen schreibe, mache ich die Formatierung kaputt
Du machst nichts kaputt. So funktioniert Marktdown, die Formatierung, die Discourse nutzt. Die Sternchen sind Marker, um Text dazwischen fett (zwei davon) oder kursiv (einmal) zu setzen.