Brief&Sigl 33: Schrott & Schund

Alle zwei Wochen setzt sich Rainer an seine Tastatur und schreibt dir einen Brief. Ja, dir.

Es geht um die großen, wichtigen, letzten Dinge: Sex, Tod, die Liebe, das Leben, den Sinn des Ganzen. Und um Videospiele. Große, kleine, teure, obskure, die Menschen, die sie machen, kritisieren, spielen und lieben. Kurzum: Es geht ans Eingemachte. „Brief und Sigl“ ist eine Depesche aus dem Ludoversum.

Wien, 26.2.2023 

Liebe Leserin, lieber Leser,

allein im Februar sind laut einer ungefähren Schätzung so knapp über 1000 Spiele allein auf Steam neu erschienen, und die meisten davon sind Schrott. Es ist weder keck noch originell, das zu behaupten, denn immerhin hat der SF-Autor Theodor Sturgeon genau das so ähnlich schon einmal im nach ihm benannten Gesetz postuliert: 90 percent of everything is crap. Der Mann hat das direkt als Verteidigung gegen das öfter mal von hochaugenbrauigen Kultursnobs über Science-Fiction gefällte Vorurteil gemeint: Ja, in der SF sind nur zehn Prozent qualitativ wertvoll – aber exakt das gilt allgemein auch für alle anderen (Kultur-)Produkte.

Was Schrott betrifft, ist allerdings nicht alles so klar, was genau dieses meist achtlos gefällte Urteil meinen könnte. Was heißt das, konkret in Bezug auf die Videospielschwemme? Sind kaputte Spiele damit gemeint? Solche, die allzu billig gemacht sind? Oder anders: Gibt es auch sowas wie guten Schrott? 

Schrott hat manchmal durchaus Unterhaltungswert, nicht zuletzt als Spaß für bekiffte WG-Fernsehabende oder Twitchstreams. Aber in Wirklichkeit haben es auch nur sehr wenige schrottige Filme und Spiele in sich, ihre miese Qualität sozusagen zu transzendieren. Das macht sie dann nämlich schon wieder außergewöhnlich, und dann sind sie nicht mehr wirklich schrottig. Schrott ist vor allem eins: banal.

Ums Budget geht’s dabei nicht: Ein richtig schrottiges Spiel kann „gute“ Grafik, ein ansehnliches Produktionsbudget und sogar eine professionelle PR-Kampagne haben; wenn solche Spiele sich dann per Bauchfleck als Schrott outen, wie etwa Aliens: Colonial Marines oder Rambo – The Videogame, ist das peinlicher als beim lautlosen Untergehen eines Spiels, in das drei 20-Jährige aus Shenzhen ihre Freizeit des letzten Jahres investiert haben.

Aber eben: Wenn man mit zusammengekniffenen Augen und genügend Rauschmitteln in vermeintlichem Schrott etwas Besonderes erkennen kann, ist es meistens durchaus eine Qualität, die richtig schlechtem Schrott dann doch wieder abgeht. Diese Qualität kann zum Beispiel eine gewisse Ernsthaftigkeit sein. Wer sich Kult-Trashfilme wie „The Room“ oder „Plan 9 from Outer Space“ ansieht,  lacht zwar über den absurden Abgrund, der sich hier zwischen Anspruch und Endresultat auftut, doch man muss würdigen, dass hier jemand mit Herz und ohne Witzeln dabei war.  (Auf der anderen Seite dieses Kontinuums geht mir zumindest die zwanghafte Dauerironie etwa eines Spiels wie „High On Life“ tierisch auf den Sack.)

Wenn Geld an allen Ecken und Enden fehlt, kann das Ergebnis Schrott sein. Andererseits kann auch mit sehr beschränkten Mitteln in engen Grenzen aber auch etwas entstehen, das in gewisser Weise mit viel größeren, aufwendiger produzierten Konkurrenten mithalten kann. Vor allem dann, wenn es um basale Emotionen geht.

Über den seltsamen Schrecken der Backrooms-Spiele habe ich dir ja vor kurzem schon mal etwas geschrieben, aber deren subtiler Horror ist natürlich nur eine Facette des Fürchtens vor dem Monitor. Von mir aus darf’s gern auch handfester zugehen, und das passt dann auch wunderbar zum trashigen Thema dieses Briefes: Wenn man’s richtig macht, ist Horrorschrott nämlich etwas absolut Feines. Ich behaupte: Wenn man sich in der langen, altehrwürdigen Tradition des Horror-C-Movie-Fantums bewegt, wird mit genügend Ernsthaftigkeit und Finesse aus Schrott etwas anderes, weitaus Komplexeres. Und zwar Schund.

Schund bezeichnet auch Minderwertiges, doch die moralische Beurteilung durch höhergeordnete geschmackliche und moralische Instanzen schwingt hier gleich mit. Das macht ihn besonders attraktiv. Guter Schund, das behaupte ich hier mal einfach so, ist sich seiner Minderwertigkeit bewusst, verbindet sein objektives Qualitätsmanko aber mit Attitüde und einer gewissen anarchischen Punk-Mentalität, die seine Unzulänglichkeiten achselzuckend in Style umdeuten. 

Das Kunststück gelingt nicht immer – wie viele Filme und auch Spiele beweisen, die gar zu absichtlich mit der „So schlecht, dass es wieder gut ist“-Masche ihren Schrott zu Schund adeln wollen. Ironische Rezeption macht nicht aus jedem banalen Schrott popkulturell relevanten Schund. 

So gesehen sind die Spiele aus dem Umfeld des Mini-Horror-Labels Torture Star Video echte Schundperlen. Die LoFi-VHS-Ästhetik steckt schon im Labelnamen, hinter dem Label steht das US-Studio Puppet Combo, nach eigener Definition „a game studio inspired by 80’s vhs era horror, slasher movies, and retro low-poly survival horror games“. Früher veröffentlichte Studiogründer  Benedetto „Ben“ Cocuzza unter dem Namen Pig Farmer Games. 

Die Spiele, die im kreativen Universum von Cocuzza und seinen Kollaborateuren entstehen, erheben sich über die Schrotthaftigkeit der 90 Prozent und sind selbstbewusster, qualitätsvoller Schund nicht nur für Pop-Ironiker. Spiele wie Bloodwash, Power Drill Massacre, Murder House oder Stay Out of the House sind wunderbar atmosphärische Slasher-Shocker, die auf Hochglanzgrafik verzichten und stattdessen auf rohen, grafisch der PS1-Ära verwandten LoFi-Horror setzen, Night At The Gates of Hell nimmt sich die große italienische Zombiefilm-Tradition vor. Allen gemeinsam ist eine Ernsthaftigkeit, die nötig ist, um wirklich Horror zu sein, und eine Liebe zum Detail und zu ihrer Nische, die sich in jeder Minute zeigt. 

Ein Spiel wie Bloodwash mag in knapp 90 Minuten zu Ende sein und verlässlich auf den bekannten Horrorpfaden wandern – trotzdem stellen sich Gänsehaut und wohliger Schrecken ein, und das mit einer Effizienz, die sich weitaus teurere Titel mit all ihrem Bling nie und nimmer zutrauen dürfen. Das ist den kleinen Preis absolut wert.

Die finsteren Ecken in den Schmuddelvideotheken, die Horror-Regale hinten, nahe dem Pornovorhang, waren immer schon aufregende Orte, auch nach dem 18. Geburtstag ein bisschen verboten. In der Realität sind sie weg, aber schön, dass sich diese Orte zumindest virtuell nicht ausrotten lassen. 90 Prozent von allem mögen Schrott sein; guter Schund hingegen ist rar.

Dein

Rainer Sigl Freier Autor

RS

Schreibt und spricht seit 2005 (nicht nur) über Videospiele. Lebt in Wien.

3 Kommentare


Kommentare

  1. Avatar for Lyra Lyra says:

    Auf der anderen Seite dieses Kontinuums geht mir zumindest die zwanghafte Dauerironie etwa eines Spiels wie „High On Life“ tierisch auf den Sack.

    Word.

  2. Vielleicht sollte ich es doch vorher mal selber spielen, bevor ich hier allzu bereitwillig in den Chor der Verächter einstimme :wink: , aber diese „shooting the kid“ Szene aus high life, die ich irgendwo (wahrscheinlich twitter) gesehen hab, gehört wirklich zum lahmsten und unlustigsten, was mir in letzter Zeit untergekommen ist ^^ …

  3. Danke an die bildhafte Videothekenerinnerung.

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